Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. September 2016, Teil 4

Claudia Schulmerich


Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Aus Pflicht bin ich in die Pressevorführung gegangen, um dem Leser mitteilen zu können, was es mit ALICE UND DAS MEER auf sich hat, berührt bin ich nach den 97 Minuten dieses wunderlichen Films auf eine Straße voller lärmenden Autos getreten, wo doch das Meer und die Stille einen verändert hatte.


Wunderlich sagen wir deshalb zu diesem Film, weil man weder beim Zuschauen noch beim Darübernachsinnen in sich erfährt, was einem da so gefallen hat. Aber, er hat gefallen, dieser Film, weil man mit einer Frau zu tun hat, die so ganz anders ist, nicht nur als man selber, sondern eigentlich als all die Frauen, die man kennt. Das fängt schon mit dem Beruf an. Alice (Ariane Labed) ist Mechanikerin. Und sie liebt das Meer. So lernen wir sie kennen, schwimmend und selbstvergessen in den Wogen.

Hat sie das Land satt oder ihren ausländischen Freund Felix (Anders Danielsen Lie) , oder beides? Auf jeden Fall heuert sie als zweite Mechanikerin auf einem Frachtschiff der Handelsmarine an, das wir erst dämonisch in der frühen Dämmerung auf uns zustampfen und dann gesittet am Kai liegen sehen, wenn sie ihre große Fahrt beginnt, die sie monatelang über die Weltmeere führen wird – als einzige Frau in einer Männercrew.

FIDELIO heißt das Schiff, und man weiß nicht genau, ob die Anspielungen auf die Beethovensche Oper hier richtig und wichtig sind, wo es einmal um Gattentreue, dann aber auch um eine Frau in Männerkleidung geht. Denn die hübsche Alice vom Land wird an Bord zur Schiffsmechanikerin im Arbeitsdress. Und die Blaumänner machen die Menschen eigentlich gleich. Dennoch läßt sich ihre Weiblichkeit auch da nicht verleugnen, die sie völlig unprätentiös ausstrahlt.

Das hat Folgen, vor allem, wo auf diesem Schiff der Erste Offizier Gael (Melvil Poupaud) heißt und ihre erste große Liebe war – auch auf See, als sie Kadettin war. Als sie in ihrer Kabine auf eine Art Tagebuch ihres Vorgängers stößt, bekommt sie erst nach und nach mit, daß sie deshalb eingestellt wurde, weil er über den Jordan ging. Sie liest seine Niederschrift und fühlt sich ihm verwandt, denn er schreibt von dem, was sie erlebt: die Sehnsucht nach dem je anderen, nach den Menschen an Land, die Gewißheit, daß sie aber auf dem Schiff inmitten des großen Wassers besser aufgehoben ist, weil das nie vergeht, dieses Meer. Sie liest auch, wie verantwortungsvoll ihr Job ist, wieviele Menschen sie durch verantwortliches Handeln schützen muß – und wie man nur einmal lebt, weshalb der Spruch: „Was auf dem Meer geschieht, bleibt auf dem Meer“ ihre Hoffnung ist, denn sie ist längst in die Liebesgeschichte mit Gael wieder reingerutscht, hält aber den Kontakt mit Felix über den Rechner, als sei nichts gewesen.

Ach, was heißt reinrutschen, das ist schon mehr, aber sie weiß nicht, was sie will und läßt sich treiben, so wie die Wellen das Schiff bewegen. Aber immer wieder wird sie aufgeschreckt durch das, was sie über ihren Vorgänger herausbekommt. War es Selbstmord? Aber nein, es war ein Unfall, der vertuscht wird, wie alles hier vertuscht wird, denn der ganze Kasten ist längst Schrott, ihn aber weiterfahren zu lassen, bringt viel Geld.
Das geht so lange gut, bis...aber nein, das muß jetzt nicht erzählt werden, denn die Schau auf Alice auf dem Meer ist viel interessanter. Immer noch geht es um ihr Reflektieren über das, was im Tagebuch steht, was sie genauso kennt, die vielen Gefährdungen im Maschinenraum, ihr persönlicher Wechsel von der ölverschmierte Handwerkerin zur gut duftenden, nackten Gespielin im Bett des Vorgesetzten, die wechselnden Gefühle, Treue und Untreue…

Regisseurin Lucie Borleteau legt mit diesem Film ihr Debüt vor. Das mag man gar nicht glauben, so souverän führt sie uns dies schwankende Leben auf See vor, wo die Gefühle und Stimmungen der Protagonisten wechseln wie der Wind und sich Alice bemüht, Kurs zu halten, wobei das ja schwierig ist, wenn man gleichzeitig seinen Kurs im Leben erst sucht und ihn gleichzeitig halten will. Ein schöner Film, ein wunderlicher Film, hervorragend gespielt dazu.