Ab heute startet dieser wichtige und absolut spannende Film erneut in den Kinos!, Teil 1

Elke Eich

Berlin (Weltexpresso) - Jan Philipp Albrecht, Europaabgeordneter der deutschen Grünen und Berichterstatter für das neue EU-Datenschutzgesetz, bereitet sich im Januar 2014 in Athen auf eine Ministerratssitzung vor. Zum Binden seiner Krawatte folgt er vor dem Spiegel den Anleitungen von einer Smartphone-App. ,,Das wird der Knoten meines Lebens. Ich sag's dir.“ beschwört er ein Gefühl von Selbstsicherheit.


Daten sind das Öl unserer Zeit, erfahren wir aus dem Off gleich zu Beginn des neuen, atmosphärisch dichten und höchst spannend inszenierten Dokumentarfilms von David Bernet (“Raising Resistance“). Klar: Wissen ist Macht! Heutzutage dreht sich doch alles um Profile und Profiler; wie in jedem guten Krimi. Ein Hubschrauber kreist über dem Sitzungsgebäude. In der Ferne ist die Akropolis zu sehen. Davor Kräne: Griechenland und sein Neuaufbau! Durch die monochrome Stimmung ist so etwas wie ein Film Noir entstanden. Der Auftritt der in ihren Limousinen ankommenden Minister und Mitarbeiter erinnert an das Treffen eines Mafia-Clans und das EU-Bürger-Bauchgefühl denkt spontan: „Oje!“ – Bis zu dieser Eingangs-Szene begleitet uns der Film des in Berlin lebenden Schweizers Bernet  über den zweieinhalb Jahre andauernden Gesetzfindungsprozess hinweg durch den alltäglichen Brüsseler EU-Wahnsinn, für den es Verrücktheit, Leidenschaft und Beharrlichkeit braucht.  

Dank Edward Snowdens Enthüllungen wach gerüttelt, geht es in Zeiten von Big Data und kommerziellem Daten-Rausch mehr denn je um ein Veto für die Privatsphäre. Auch wenn wir oft unsere Daten selbst leichtsinnig preisgeben, wissen wir, dass es besser für uns ist, wenn Server in Europa, bzw. in gewissen europäischen Ländern stehen. Die Internet-Giganten arbeiten aber von den USA aus in Höchstgeschwindigkeit und schaffen ständig neue Fakten in der digitalen Welt. Aber allein schon aufgrund ihrer komplexen Struktur braucht die EU viel Zeit, um per Gesetz nun EU-verbindlichen Schutz zu etablieren.
"Das Schneckentempo ist das normale Tempo jeder Demokratie." mahnte uns der diese Woche verstorbene Altkanzler Helmut Schmidt. Und diese EU-Schnecke ist halt riesig und besonders schwerfällig!

Ein neues EU-Gesetz durchläuft immer einen vielschichtigen Prozess, und das wird in Bernets  „Democracy“-Film exemplarisch gezeigt: Erst macht die Kommission einen Vorschlag, den anschließend in ein speziell ernannter Berichterstatter (in diesem Fall der sympathische Krawatten-Binder Jan Philipp Albrecht) minutiös im eigenen Team ausarbeitet und mit Vertretern aller politischen Fraktionen im Parlament bespricht.  Dazu gehören ganz selbstverständlich auch “Shadow Meetings“ (“Schatten-Treffen“) und Unterredungen mit Lobbyisten. An Albrechts Seite und pragmatisch erdend im Hintergrund immer sein patenter Ratgeber und Bürovorsteher Ralf Bendrath. Auch Viviane Reding, die aus Luxemburg stammende ehemalige Vizepräsidentin der Kommission und bis Mitte 2014 dort sehr engagiert zuständig für das Ressort Justiz, Grundrechte und Bürgschaft, spielt eine wichtige Rolle im Plot: Von ihr stammt die entscheidende Initialzündung für den Prozess.

Ist Albrechts Gesetzesentwurf-Katze aus dem Sack, schlagen die Wellen hoch und es werden Details in der Presse thematisiert, wird wieder auf allen Ebenen erneut verhandelt und am Gesetz weiter geschliffen, bis darüber im EU-Parlament abgestimmt werden kann. Eine Nervenzerreißprobe, denn über 4000 Änderungsvorschläge drohen den Prozess extrem zu verlangsamen.
Der EU-Bürger-Kopf erkennt beunruhigt, dass so doch jederzeit Gesetze blockiert werden können! Doch jetzt obsiegt das Glück und eine Konsensfassung der Datenschutzverordnung wird zügig abgesegnet. Über die wird dann noch, in sogenannten Trilog-Sitzungen des nicht gerade transparenten EU-Ministerrats zu befinden sein, in dem dann wieder verstärkt nationale Interessen der einzelnen “Clan“-Mitglieder greifen: Kleinteilig wird da erneut alles genau abgeklopft. Die EU ist halt kein Nationalstaat!


Anlässlich der Berliner Premiere von „Democracy – im Rausch der Daten“ zeigte Viviane Reding ihre Wut: „Was mich stört am Ministerrat, ist, dass sie in Sonntagsreden in ihren Staaten halten und völlig anders in Brüssel verhandeln.“

Der für den Deutschen Filmpreis nominierte Film von David Bernet hatte seine Premiere, als noch nicht alles in trockenen Tüchern war. Es noch tröstete sehr, zu wissen, dass der kämpferische Jan Philipp Albrecht als für den Entwurf Verantwortlicher bei den Trilog-Verhandlungen mit dabei sein würde und aus der Jetztzeit gesprochen: mit dabei war! Mit perfekt geknoteter Krawatte! – Und alles ist gut gegangen! Wenn er und wir etwas gelernt haben in diesem sinnlich spürbar gefilmten Prozess, dann, dass bei der EU keine gordischen Knoten zerschlagen werden können, sondern der Weg nur über Einigung geht!

Das Thema Datenschutz ist weiterhin brisant. Auch wenn derzeit in der EU weniger darüber gesprochen als viel mehr über terroristische Gefahren und den damit einhergehenden Wunsch nach Ausdehnung von mehr Überwachungsmöglichkeiten, über das Fremdeln vieler im Umgang mit „Artfremden“ Flüchtlingen, über TTIP und CETA, über den Brexit-Schock und weitere Ausstiegs-Bestrebungen, über den allerorten zu verzeichnenden politischen Ruck nach Rechts ins Reich des Populismus mit seinen Angst und Hass schürenden Polemik. Und doch schiebt sich das Thema des Datenmissbrauchs und der Überwachung immer wieder neu in den Vordergrund, z.B. gerade auch durch Oliver Stones aktuell in den Kinos gestarteten Film über Edward Snowden, ohne dessen Offenlegungen die Datenschutz-Aktivisten in Europa wohl auf verlorenem Posten gestanden hätten.

 

Foto: Der EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht (c) democrazy-film.de

Info: Weltexpresso hatte zum Anlaufen des Films in deutschen Kinos folgende Filmkritik gebracht:

https://www.weltexpresso.de/index.php/kino/5946-democracy-im-rausch-der-daten