Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. September 2016, Teil  4

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Mit seinem geheimnisvollen Drama um die Wunden des Krieges und die Wunder der Lügen gelingt Ozon sein stärkster Film seit Jahren.


Was bringt einen Franzosen dazu, Blumen auf dem Grab eines deutschen Soldaten niederzulegen? Der Erste Weltkrieg ist zwar vorüber, aber Deutschland und Frankreich sind 1919 noch stark verfeindet. Adrien schlägt folglich viel Hass entgegen, als er plötzlich in Quedlinburg, einem kleinen Ort im Harz, auftaucht. Auch die Eltern des Gefallenen gehen  auf Distanz zu dem Fremden, bis sie erfahren, dass er ein enger Studienfreund ihres Sohnes war.

Mit seinen Erinnerungen an Frantz, mit dem er gemeinsame glückliche Jahre in Paris verlebte, beschert der Schöngeist den alten Leuten und Anna, der Verlobten des Verstorbenen, großen Trost, ihre Trauer macht aus ihnen innige Freunde. Ihnen verbieten sich freilich die Gedanken, die sich allmählich beim Zuschauer festsetzen könnten, ob da nicht mehr war zwischen Adrien und Frantz – eine heimliche Liebe? Aber das erweist sich als falsche Fährte.  Adrien hat ein anderes Geheimnis.


Mysteriöse Stimmungen zählten schon immer zu den Spezialitäten François Ozons, denkt man an Werke wie Unter dem Sand, Swimming Pool oder In Ihrem Haus. Mit Frantz, eine Replik auf Ernst Lubitschs Drama  Der Mann, den sein Gewissen trieb (1931), nun belegt Ozon, dass er auch in einer universellen Geschichte um Verlust, Schuld und Vergebung brillant mit düsteren Elementen zu spielen vermag. Sie offenbaren sich in unspektakulären Details, etwa auch in der Kunst. Adrien erwähnt ein Bild, das er fasziniert mit Frantz lange im Louvre betrachtet haben will, das Porträt eines Mannes von Edouard Manet. Seinen lasziven Beschreibungen nach stellt man es sich romantisch vor, aber nein, später stellt sich heraus, gemeint war der „Selbstmörder“.


Eben darum geht es auch: Um die Lüge in ihrer Ambivalenz zwischen unheilstiftender und heilsamer Kraft. Unmerklich rückt Anna, die Entscheidendes verschweigt, damit aber bewirkt, dass die Eltern von Frantz ihren inneren Frieden finden, mehr und mehr ins Zentrum des Films. Paula Beer, in Venedig verdient als beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet, spielt sie nuancenreich als eine Frau, die ihren Weg und ihre Eigenständigkeit finden muss. Bei ihren Landsleuten, die sich am Stammtisch zusammenrotten und patriotische Lieder anstimmen, fühlt sie sich ebenso wenig aufgehoben wie bei den nationalstolzen Franzosen, die nur elegantere Lebensformen pflegen und die Marseilleise singen. Zwar bewegt sich Ozon mit solchen Genrebildern dicht am Klischee, aber da sie nur als historische Kulisse dienen, fällt das nicht ins Gewicht.


Mit schwarzweißen Bildern von kühler Eleganz, sparsamen Dialogen und der passenden Musik bietet Frantz bei alledem ästhetisch anspruchsvolle, poetische Filmkunst.  

 

Info:

Drama, Deutschland/Frankreich 2016

Regie und Drehbuch: François Ozon, Kamera: Pascal Marti, Schnitt: Laure Gardette, Musik: Philippe Rombi, Szenenbild: Michele Barthélémy
Mit: Paula Beer, Pierre Niney, Ernst Stötzner, Marie Gruber, Johann von Bülow, Anton von Lucke u.a.
Verleih: X –Verleih, 113 Min.