Zur heutigen Aufführung auf ARTE von zwei Kommissarverfilmungen von Henning Makell, der am 5. Oktober vor einem Jahr starb
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Jetzt habe ich aber genug. Jede Nacht kann man auf irgendeinem Fernsehsender irgendeine Wallanderfolge sehen mit irgendeinem Schauspieler, wobei die Übersicht zu behalten deshalb so schwer ist, weil man sie überhaupt nie hatte. Wer ist Kurt Wallander – und wenn ja, wie viele?
Bevor man sich dieser schwergewichtigen Frage nähert, die ja, wenn es um das eigene Ich geht, eine philosophische Reise genannt wird, muß zuerst KOMMISSAR BECK drankommen. Den kennen Sie nicht? Kaum glaubhaft oder Sie schauen nie des Nachts in die Mattscheibe. Aber dieser Kommissar ist deshalb so wichtig, weil mit ihm in Schweden die ganze Krimichose begann, die auf Europa überschwappte. KOMMISSAR BECK war die Erfindung des schwedischen Autorenduos und Ehepaars Maj Sjöwall und Per Wahlöö, in Deutschland bekannt geworden in den Siebziger Jahren, die in einer zehnteiligen Romanserie von 1965 – 1975 die relevanten und kritischen Antworten auf die gesellschaftlichen Veränderungen im blühenden Spätkapitalismus gaben. Soll sagen, mit dem Obertitel ROMAN ÜBER EIN VERBRECHEN haben die beiden in zehn Büchern eine neue Art des Kriminalromans kreiert, den man ab da den sozialkritischen Krimi nennt, weshalb es beim Stichwort Skandinavien immer um Krimi und beim Stichwort sozialkritischer Krimi immer um Skandinavien geht.
Was nun Martin Beck angeht, Leiter der Stockholmer Kriminalpolizei, so wird er derzeit von dem Schauspieler Peter Haber dargestellt, wobei wir auf die früheren Gesichter des Kommissars nicht eingehen, auf jeden Fall taucht Peter Haber seit Jahr und Tag, nein, des Nachts als Kommissar Beck auf, aber das Fiese daran ist, daß es nicht um die originalen Fälle geht, sondern, nachdem es schon einmal die Serie von 24 Fälle gab, diesem beim Zuschauer schon eingeführten und positiv besetzten Beck nun 34 (!!) neue Fälle untergeschoben wurden, die gemeinsam von Schweden, Deutschland. Dänemark und Norwegen auf Schwedisch produziert worden sind und derzeit ausgestrahlt werden, seit 25. April 1998 im deutschen Fernsehen , im Zweiten Programm. Und das wiederum Fiese daran ist, daß ab der 2. Staffel in der Überschrift aus BECK dann KOMMISSAR BECK wurde, weil sich die schwedischen Kommissare Beck und Wallander in ihrem Kommissarsein dann gegenseitig hochschaukelten.
Damit sind wir endlich bei Kommissar Wallander angelangt, um den es heute auf ARTE geht, der aber, darum der Vorspann, nichts anderes ist, als eine Kopie des mit Martin Beck eingeführten sozialkritischen Ermittlers, der im südschwedischen Ystad seine Arbeit über alles, auch über seine persönlichen Belange wie Familie und Kinder stellt, also selbstverständlich geschieden sein muß, aber Kinder haben darf, ja muß. Nachdem also Henning Mankell an Kommissar Beck andockte, wurde sein Kommissar Wallander weitaus populärer, was auch daran lag, das ihm ja die Romane (12-20) aus der Jetztzeit zu Grunde lagen, die Jahr für Jahre erschienen, und die Leser bei Stange hielten, die nun auch die Fernsehfilme verfolgen.
Und bevor wir nun auf die drei uns bekannten Verkörperungen des Kommissar Kurt Wallander kommen, ein Wort zu seiner literarischen Person. Er ist das alter ego aller älter werdenden, das Gute beschützenden, das Böse verfolgenden und bestrafenden Ermittler. Er ist nach innen gewandt, manchmal fast verhaltensgestört, auf jeden Fall das Gegenteil von extrovertiert und verbeißt sich in seine Fälle, wobei auch die Sozialbeziehungen innerhalb seines Kommissariats (stark in jeder Folge: Mikael Persbrandt, der den testosterongesteuerten, aber schlauen und mutigen Gunvald Larsson gibt) eine Rolle spielen. Insgesamt wird Wallander wesentlich privater dargestellt, bzw. sein Privatleben nimmt größeren Raum ein, als dies beim Vorbild Beck der Fall ist. Wie dieser hat er Macken, er hat Probleme mit dem Alkohol, bzw. zu viel Alkohol, mit dem Gewicht, Zucker etc. und dann wird er auch noch alzheimerkrank. Was ihn auszeichnet, das ist, daß er kein Held ist, sondern ein Mensch wie Du und ich sein soll, womit wiederum 'normal' gemeint sein soll.
Das Wallandersyndrom hat sehr viele Menschen befallen, die Kombination von angeschlagenem gutwilligen Mordermittler und einem vielfältigen sozialen Umfeld der Morde, hat etwas, was eigentlich jeden Zuschauer erreicht. Anders ist die Vielfalt und zusätzlich der Umfang der Kurt-Wallander-Serien nicht zu begreifen.
Während heute auf ARTE zwei der mit Kenneth Branagh verfilmten und 2015 produzierten BBC-Serie laufen, hatte die BBC diese 12teilige Serie seit 2008 aufgelegt, die dann im Mai 2016 mit der 4.Staffel endete. Dies wurde in Deutschland in der ARD gezeigt. Diese Serie erhielt im Laufe der Jahre eine Menge Auszeichnungen und wir sehen nun die Wiederholungen.
Parallel hatte aber das schwedische Fernsehen sogar schon ab 2005 eine eigene Serie, genannt MANKELLS WALLANDER, zu drehen begonnen. Das Besondere daran ist, daß der erste Fall noch die Verfilmung eines Wallanderromans darstellt, die weiteren Folgen aber Erfindungen, also neue Drehbücher bedeuten, an deren Erstellung aber teilweise ebenfalls Henning Mankell beteiligt war. In MANKELLS WALLANDER wird der schwedische Schauspieler Krister Henriksson zu Kurt Wallander, was er 32Mal tun wird. Die Serie endete 2014, bleibt aber durch dauernde Wiederholungen in der Diskussion und in der Erinnerung.
Bleibt noch, nach Krister Henriksson und Kenneth Branagh, den ersten Leinwanddarsteller vorzustellen. Immerhin neun Wallander-Romane wurden zwischen 1994 und 2007 vom Schwedischen Fernsehen (SVT) verfilmt. Den Part des Kommissar Wallanders übernahm darin der schwedische Schauspieler Rolf Lassgård. In Deutschland wurden diese Filme zwischen 2003 und 2007 ausgestrahlt und sind auch heute noch in Wiederholungen präsent. Und wenn Sie dann noch hören, daß dieser Rolf Lassgård noch 1993/94 den Gunvald Larsson in der allerersten Fernsehserie KOMMISSAR BECK darstellte, fühlt man das Durcheinander anwachsen, weshalb wir auch davon schweigen, daß damals ein gewisser Gösta Ekman den Martin Beck spielte, woanders aber schon Karl Evert Hjelm oder Walter Matthau den so sympathischen Polizeiknochen verkörpert hatten.
Das als kurze Genealogie der Hauptdarsteller und Verfilmungen von den 12 Romanen um Kommissar Kurt Wallander (1991-2009) von Henning Mankell, die in manchen Angaben bis 20 Roman anwachsen, der seinen großen Ruhm noch mitbekommen hatte. Er starb mit 67 Jahren am 5. Oktober 2015 an Krebs. Eigentlich wäre die Darstellung seines Leben und auch seiner Ehen, die dritte und letzte mit einer Tochter von Ingmar Bergman, sowie seiner Theaterstücke, Theaterinszenierungen, Theatergründungen, Projekte und weiterer Romane interessanter als sein etwas dröger Kommissar Wallander, aber...
Kommentar: Erst nach dem Schreiben dieses Textes, der aufgrund von eigenen Erfahrungen, Sehen und Lesen sowie Recherchen zustandekam, stießen wir auf folgende Information, die unsere Vermutungen stützen, sogar weit darüber hinaus gehen:
Maj Sjöwall, stellte 2005 denn auch fest: „Henning Mankell ist einer, der sich an unseren Figuren orientiert hat. Er schickte mir sein erstes Buch mit einer Widmung; ‚Danke für die Inspirationen‘.“ Allerdings hielt sich ihre Begeisterung über die Adaption in Grenzen: „Mankells Bücher beschreiben nur den Zustand der Gesellschaft. Die Missstände, die er aufzeigt, sind so deutlich, dass jeder sie erkennt. Außerdem gibt er vor, realistisch zu schildern. Aber er überzieht stark, ist sehr brutal und schreibt ohne Humor.“, gelesen bei Wikipedia
Foto: Kenneth Branagh als Kommissar Kurt Wallander
Info: Heute ARTE