12. Todd-AO 70mm-Festival in Karlsruhe
Claus Wecker
Karlsruhe (Weltexpresso). Die gebogene Leinwand ist wichtig. Allein mit ihr erhält man das originale 70mm-Breitwand-Erlebnis. Und das gibt es in Deutschland nur noch im Großen Saal der Schauburg in Karlsruhe, wo am vergangenen Wochenende das 12. Todd-AO 70mm-Festival stattfand. Dort war die gebogene Leinwand ein beherrschendes Thema.
So war auch die Karlsruher Vorführung der 70mm-Kopie von THE HATEFUL EIGHT, Tarantinos blutrünstiger STAGECOACH-Version, derjenigen in der Essener Lichtburg vor einiger Zeit vorzuziehen, wo es eben die 110° Krümmung der Leinwand nicht gibt. Die Schärfe wird übrigens mithilfe des Projektionsfensters reguliert, klärte mich Veranstalter Herbert Born auf. Er ist der Fachmann in Deutschland auf diesem Gebiet, er weiß immer wieder Kopien aus diversen Archiven zu beschaffen. Im Oktober spielt er den Gastgeber, der auch mit Frühstück morgens und Snacks in den Pausen aufwartet. Für ausgiebige Mahlzeiten bleibt bei dem straffen Programm ohnehin keine Zeit.
In ihrer Begeisterung und ihrem Fachwissen stehen ihm die Besucher kaum nach. Über die Filmtechnik, über Formate allgemein und bei bestimmten Filmen im Besonderen kennen sie sich aus. Viele Aufnahmetechniken, um das Bild breiter zu machen, gab es. Neben der gängigen vertikalen – auf 35mm breiten Zelluloidstreifen mit gestauchten Bildern (CinemaScope beispielsweise) – auch horizontale (VistaVision), die sich nicht durchgesetzt haben. Es ist eine Wissenschaft für sich, und bei den digitalen Festplatten geht es weiter: 2K, 4K – ein Ende ist nicht abzusehen.
Aber mit dem digitalen Kram darf man dem Karlsruher Publikum nicht kommen. THE HATEFUL EIGHT in der digitalen, der allgemein in den Kinos gezeigten Fassung gilt hier als „nicht gesehen“. Das leicht körnige Bild, das nur vom Zelluloid geliefert wird, ist das einzig wahre. Der Kratzer, der sich durch die komplette Kopie von JAGD AUF ROTER OKTOBER zog, diesem U-Boot-Thriller mit Sean Connerys als einem in den Westen überlaufenden sowjetischen Kapitän, wurde ohne Murren hingenommen.
Nun muss ich aber auch zugeben, dass die Vorführung von Warren Beattys bonbonfarbener Comic-Verfilmung DICK TRACY ein Hochgenuss war. Das 1:1,85 Format des ursprünglichen 35mm-Kameranegativs wurde glücklicherweise beibehalten, so dass oben und unten nichts abgeschnitten war. Ein Aufgebot prominenter Darsteller, die hinter ihren verformten Gesichtern kaum zu erkennen waren, lud zum heiteren Ratespiel ein.
Dass bei den meisten Filmen des Festivals 35mm-Negative zu 70mm-Vorführkopien aufgeblasen worden waren, dürfte manchen Fan vom Besuch in diesem Jahr abgehalten haben. Doch wenn es um die Themen ging, um englischen Snobismus aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg (WIEDERSEHEN IN HOWARDS END) mit überragenden Schauspielern (u.a. Emma Thompson, Anthony Hopkins, Helena Bonham Carter) oder um Testpiloten, die zu Astronauten ausgebildet werden (DER STOFF AUS DEM DIE HELDEN SIND), um Sigourney Weaver als Beschützerin der Berggorillas in (GORILLAS IM NEBEL), um den kleinen Jim, der in Steven Spielbergs chinesischen Kriegsmärchen DAS REICH DER SONNE seine Eltern sucht, oder um Neues von zwei Superhelden (BATMAN V SUPERMAN: DAWN OF JUSTICE), für praktisch jeden Zuschauer war etwas dabei. Soviel Abwechslung gibt es an einem Wochenende selten. Eben Kino satt für die wahren Experten.
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Info:
http://www.in70mm.com/schauburg
Anm.: Der dt. bzw. engl. Titel steht für die jeweils vorgeführte Fassung.
Foto: Fassade und Straßenzug der Schauburg