Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. Oktober 2016, Teil 7

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nicht schlecht, das originale Märchen zuvor im Kopf zu aktualisieren, denn dann erkennt man besser, was der Film daraus macht: neben dem Geld und dem Ansehen, wird die Liebe zentral und die im Märchen implizit ausgedrückte Kritik am Wirtschaftswesen wird deutlich antikapitalistisch.


Und darin tut der Film gut, denn die sozialen Verhältnisse sind es, die in den Vordergrund rücken, genauso wie aus der Nebenbeiehegeschichte eine echte Liebesgeschichte wird. Für uns hätte Letzteres nicht sein müssen, sie gibt dem Ganzen dann doch mehr als einen Hauch von Kitsch, der die knallharte Realität, mit denen uns der Film über die Verhältnisse zu der Zeit, als die Wünsche mit Hilfe von Zauberern noch geholfen haben, aus gutem Grund konfrontiert.

Wir erleben Anfang des 19. Jahrhundert, als der Kapitalismus auch in den Schwarzwald zog, wie der Sohn des schwer arbeitenden braven Köhlers (André Hennicke), Peter (Frederick Lau) revoltiert gegen seine Rolle, die ihn als armen Köhler auf Lebenszeit zwar zum Arbeiten, aber nicht zum Leben verdammt. Denn zum Leben gehört Geld, Ansehen und auch eine Frau. Peters Mutter, die die Familie zusammenhält, erzählt ihm vom Glasmännlein (Milan Peschel), dem Guten, aber auch vom Bösen, dessen Werk ein Holländermichel (Moritz Bleibtreu) genannter Ungeist im Wald ausübt.

Uns gefällt gut, wie realistisch die Verhältnisse und auch die Köhlerei im Schwarzwald geschildert ist. Nicht romantisch, obwohl der Wald so schön aussieht, sondern dreckig, laut und das alles für wenig oder gar keinen Lohn. Die Gesellschaft ist dichotomisch und Peter hat Sehnsucht nach einem besseren Leben. Das Glasmännlein, an das er sich mit Hilfe der Mutter wendet, kann ihm nicht helfen, was nur an Peter selbst, an seinen dummen Wünschen liegt, also macht er sich auf den Weg zum Holländermichel, der eigentlich ein Riese im Wald ist. Hier aber ist es der mit allerlei zusätzlichen Attributen aufgemotzte virile Moritz Bleibtreu, der der Rolle sogar etwas Animalisches gibt, auf jeden Fall etwas flackernd Gefährliches, was die Zuschauer merken, nur der dumme Peter nicht.

Es kommt, wie im Märchen vorgegeben, der Handel von Herz gegen Geld/Ansehen findet statt. Dafür hat Regisseur Johannes Naber ein besonders schönes Bild gefunden. Die Herzen hängen alle in dieser Nebenkammer und man sieht sie schlagen und bekommt ziemlich schnell im Verlauf mit, welcher der Zeitgenossen auf die gleiche Weise sein Herz beim Holländermichel ließ. Diese Szene zwischen dem Ungeist und dem dummen Peter wird zum Herzstück des Films und uns hat die Inszenierung dieses Brimbamborium mächtig gefallen. Dem Film gelingt es, das Märchenhafte trotz Realitätsbezug in skurrilen Bilden glaubwürdig zu machen. Schaurig ist es, fürwahr.

Liest man das Märchen, durchfährt es einen nicht so, wie beim Schauen des Films, daß wir hier mitten in Goethes Faust sind und den Handel von Mephistopheles und Faust erleben. Das ist erlaubt, eher sogar eine raffinierte Zutat zum Geschehen, das jetzt wie im Märchen weitergeht. Das ist das eine. Das andere denkt man sich hinzu, wenn man an Nabers grotesken Film ZEIT DER KANNIBALEN denkt. Waren es dort die Blüten im Spätkapitalismus, bzw. dem globalen Turbo-Kapitalismus, wie die neueste Benennung lautet, so ist es diesmal der Frühkapitalismus, dessen Einzug wir Mann gegen Mann im Schwarzwald erleben.
Und wenn wir jetzt erst auf die Lisbeth (Henriette Confurius) eingehen, die von Anfang an im Film eine Rolle für Peter spielt, so hat das mit dem Unbehagen zu tun, daß diese Liebesgeschichte doch etwas Aufgedrücktes, Ablenkendes hat. Der Film nimmt seinen Märchenverlauf, Peter schlägt seine Frau tödlich nieder. Und als er sich auf den Weg macht, sein Herz wieder zu erobern, damit es in seiner Brust schlägt, da sind es erneut tolle Bilder, die uns für diesen Film einnehmen. Die Herzen sind wirklich zentrales Element und uns wird fast schlecht, wenn man sie von der Decke baumelnd mit all dem Madengetier und Käfern groß auf der Leinwand sieht. Sofort kommt einem Hieronymus Bosch in den Sinn. Und da ist noch ein winzig kleines Stück Märchen und ein großes von nacktem Horror.

Je länger wir jetzt an dieser Filmrezension schreiben, um so besser gefällt uns der Film im  Nachhinein. Seine Bilder sind beim Anschauen berauschend, man fühlt sofort  mit, warum dieser Wald Schwarzwald heißen muß, aber auch die lichten Momente, wenn die Sonne den Wald erhellt und erwärmt, haben etwas Gleichnishaftes. Und wir haben auch nichts dagegen, daß der dumme Peter seine Fehler und Verbrechen rückgängig machen kann. Das würden wir nur gerne für allerhand Sachen auch beim Regisseur in Auftrag geben. Also, ein deutsches Märchen neu wiederentdecken und einen deutschen Film mit klassischem Gehalt und doch wie von heute goutieren.

 

Foto: Der Kohlenmunk-Peter (Fredrick Lau)