Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. Oktober 2016, Teil 11


Claudia Schulmerich


Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Nach diesem Film kann keiner mehr sagen, die Bundesrepublik Deutschland sei ein funktionierender Rechtsstaat. Hier ist kein Fremdschämen angesagt, sondern man schämt sich persönlich, daß es dort unten am Bodensee ein gutbürgerliches Umfeld gibt, daß es einem Arzt möglich macht, erst seine Stieftochter zu mißbrauchen, dann zu ermorden, aber ganze 30 Jahre straflos davonzukommen, weil Polizei und Staatsanwaltschaft trotz massiver Hinweise aus Frankreich diese Honoratiorengesellschaft deckte.

Das mußte gesagt sein, denn dieser Spielfilm, der nichts von einem Dokumentarfilm an sich hat, aber eben auf einer wahren Begebenheit beruht, führt uns in tiefe menschliche Abgründe, zu denen auch gehört, wie man sich verhält, wenn man weiß, daß jemand die eigene Tochter umgebracht hat, dies aber nicht verfolgt wird. Zum Wahnsinnigwerden ist das und so ruhen natürlich alle Sympathien auf diesem Vater André Bamberski (Daniel Auteuil), dessen Leben dadurch bestimmt wird, die aufklärerische Arbeit der Polizei und der Justiz zu übernehmen, damit der Mörder, der Arzt Dieter Krombach (Sebastian Koch), gefaßt und bestraft wird. Denn strafverschärfend kommt hinzu, daß dieser Mörder mit seiner Exfrau Dany (Maie-Josée Croze) verheiratet ist, die ihren Mann schützt und dafür dem Exmann Eifersucht vorwirft. Sagten wir doch, zum Wahnsinnigwerden.


Von vorne, so wie es sich im Film abspielt. Wir erleben einen Überfall, in dem ein Mann in Deutschland gekidnapt und über die französische Grenze gebracht wird. Der Franzose André Bamberski wird deshalb 2009 in Mulhouse verhaftet. Er wird der Entführung, der Körperverletzung und der Anstiftung zu verschiedenen Straftaten bezichtigt und kommt in Untersuchungshaft. Vor Gericht sagt er aus, daß sein eigenmächtiges Handeln nur der Situation entsprungen sei, daß die französische Justiz einen Mord an einer französischen Staatsbürgerin, seiner Tochter, nicht verfolgt habe, sondern sich feige dahinter versteckt habe, daß dies im Ausland geschehen sei. Feige, weil Frankreich die politischen Unwägbarkeiten scheute, die ein Auslieferungsverfahren mit sich bringt.


Nach diesem Auftakt geht es zurück an den Anfang dieser Geschichte. Wir sind im Jahr 1974 in Marokko, wo der französische Finanzfachmann Baberski mit seiner Frau und seinen Kindern Richard und Kalinka lebt. Kalinka hat eine Mitschülerin, deren Vater der deutsche Arzt Krombach ist, der ein attraktiver Mann ist und ein Frauenversteher dazu. Auf jeden Fall gibt Frau Barberski den Avancen des Arztes nach. Sie will aber ihre Ehe und die Familie nicht gefährden, und geht mit ihrem Mann zurück nach Frankreich. In Nizza findet sie sogar eine Stelle, aber ihr Mann durchschaut ihr angepaßtes Verhalten und stellt fest, daß der deutsche Arzt der Familie gefolgt ist und das Verhältnis der beiden sich fortsetzt.


Die Scheidung, bei der Baberski die Kinder erhält, ist seine Antwort und acht Jahre später setzt die Handlung in Lindau am Bodensee wieder ein. Er hat eine neue Gefährtin  Cécile (Christelle Corni), der er Marokko zeigen möchte, weshalb die Kinder bei der Mutter Urlaub am Bodensee machen sollen, wo Dany mit Krombach lebt. Tage später ist das 14jährige Mädchen tot. Krombach hat sie tot im Bett gefunden, erst auf Drängen wird eine Autopsie durchgeführt, die kein sicheres Ergebnis der Todesursache bringt. Trotzdem wird keine polizeiliche Ermittlung aufgenommen und die Akte geschlossen.


Hier setzt der Film mit seiner eigentlichen Geschichte ein, dem Nichtaufgeben des Vaters, der den Mord an seiner Tochter gerächt sehen will. Denn er ist von Anfang an überzeugt, in Krombach den Mörder zu haben. Wir müssen die 30 Jahre der Verfolgung der Tat durch den Vater nicht im Detail nachvollziehen, wohl aber die seelische Qual, die das bedeutet, wenn die Staaten Deutschland und Frankreich einen so offensichtlichen Mord decken, eben auch, weil die Honoratioren am Bodensee keinen Skandal wollen, die ein Prozeß mit sich brächte.


Stationen sind nach der Wiederaufnahme des Falls in Deutschland und dem erneuten ad acta Legen, die Exhumierung in Frankreich, die den Mordverdacht bestätigt. In einem Verfahren wird der abwesende Krombach des Mordes, nicht aber des sexuellen Mißbrauchs angeklagt und verurteilt. Doch die Auslieferung seitens Deutschlands wird nicht beantragt.


Längst ist die Beziehung des Vaters mit seiner neuen Lebensgefährtin zerstört, aber auch Ex-Ehefrau Dany sieht inzwischen in Krombach eine Gefahr, was aber eher mit seinen unentwegten erotischen Abenteuern zu tun hat und dem Wissen, daß er Patientinnen vergewaltigt hat, weshalb ihm seine Approbiation entzogen wird. Ein sauberes Früchtchen, dieser Arzt, der sich zudem einfach woanders als Arzt wieder einstellen läßt.


Dann aber schlägt Kalinkas Vater zu. Es wiederholen sich die Bilder, die wir am Filmanfang sahen. Krombach wird überwältigt, entführt, in Frankreich vor Gericht gestellt und verurteilt. In der Wirklichkeit sitzt der 81jährige noch immer in einem Pariser Gefängnis.

 
Das Verfahren gegen den Vater, den Entführer, war zuvor mit einer Verurteilung zu einem Jahr auf Bewährung ausgegangen.


Der Zuschauer ist zumindest zufrieden, daß Gerechtigkeit waltete, auch wenn sie durch private Initiative zustandekam und der Vater durch Fahrlässigkeit französischer und deutscher Behörden zum Rächer werden mußte. Aber Gerechtigkeit ist das eine. Institutionen interessieren sich mehr für das formale Recht, wobei die Hauptfrage bleibt, ob ein aus seinem Heimatland Entführter wegen seines nachgewiesenen Verbrechens überhaupt vor Gericht gestellt werden darf. Na, wenn schon, denkt man sich.


Foto: Sebastian Koch und Daniel Auteuil

Info: Ein schöner Zufall, daß in Frankfurt beides zusammentrifft. Sebastian Koch tritt als Arzt Krombach ab Donnerstag auf die Leinwände, in Frankfurt ist er am Samstag als Gast im Deutschen Filmmuseum, siehe darunter stehenden Artikel