Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963

Helga Faber

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - So lange die tolle Ausstellung über das Kino von gestern, das moderner ist und vor allem viel besser als lange gesagt wurde, sind die Filme, die darin eine Rolle spielen, noch sehenswerter als sonst. Diesen Monat läuft die Fortsetzung der Reihe mit Werken aus der Retrospektive des Festival del film Locarno im Kino des Deutschen Filmmuseums von Dienstag, 1., bis Dienstag, 22. November.


"Großartig und irritierend" nannte der Tagesspiegel die vom Deutschen Filminstitut mitveranstaltete Retrospektive zum bundesdeutschen Nachkriegskino, die im August dieses Jahres beim Festival del film Locarno zu sehen war. Und Daniel Kothenschulte schrieb in der Frankfurter Rundschau: "Man kommt kaum heraus aus dem Kino, um ja nichts zu verpassen." Um auch dem Frankfurter Publikum die Möglichkeit zu geben, an dieser Retrospektive teilzuhaben, zeigt das Kino des Deutschen Filmmuseums auch im November eine Auswahl wichtiger Filme der Reihe, ergänzt um weitere entdeckungswürdiger Werke.


Das Anliegen dieser Schau: zu zeigen, dass das Kino der Adenauer-Ära sich bei genauerem Hinsehen als vielgestaltiger, ambivalenter und brüchiger erweist als gängige filmhistorische Erzählungen glauben machen; dass es politischer und poetischer, ästhetisch ambitionierter und abgründiger, wilder und sinnlicher war als sein Ruf. In der November-Auswahl sind mit Helmut Käutner und Robert Siodmak zwei äußerst renommierte Regisseure des deutschen Nachkriegskinos vertreten. Ruth Leuwerik, eine der vielseitigsten Schauspielerinnen der Ära, ist gleich zweimal in Hauptrollen zu sehen (DIE ROTE; DOROTHEA ANGERMANN). VIELE KAMEN VORBEI von Peter Pewas gehörte in Locarno zu den meistbeachteten Wiederentdeckungen. Mit dem formal experimentierwilligen und weithin unbekannten Omnibusfilm MAYA. DER FILM VOM DEUTSCHEN FILMNACHWUCHS endet die Reihe: passenderweise mit Lars Henrik Gass als Gast, dem Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, jenem Festival, bei dem 1962 das "Oberhausener Manifest" verlesen wurde, das das Kino der Adenauer-Ära für tot erklärte.

Dienstag, 1. November, 20:30 Uhr
Sonntag, 13. November, 18 Uhr
Einführung am 13.11.: Winfried Günther (Deutsches Filminstitut)
VIELE KAMEN VORBEI
BRD 1956. R: Peter Pewas


D: Harald Maresch, Frances Martin, Christian Doermer. 80 Min. 35mm
Ein Mord(versuch), erzählt aus drei Perspektiven: der des radfahrenden Serientäters, der des Opfers und der des ermittelnden Beamten. VIELE KAMEN VORBEI ist ein gestalterisch eigensinniger, zwischen poetischem Realismus und abstrakten Bildwelten fiebrig oszillierender Thriller, der seinerzeit bei der Kritik viel Aufsehen erregte. Produziert wurde der Film von Gerhard T. Buchholz, einem der faszinierendsten Irrlichter der damaligen Kinolandschaft.



Dienstag, 8. November, 20:30Uhr
Einführung: Gary Vanisian (Filmkollektiv Frankfurt)
NACKT, WIE GOTT SIE SCHUF
BRD/Österreich/Italien 1958. R: Hans Schott-Schöbinger
D: Marisa Allasio, Rik Battaglia, Carl Wery. 94 Min. 35mm


Ungefähr von 1956 an ging es mit dem Heimatfilm rasch abwärts. Interessantes findet sich danach vor allem im ewig-schillernden Geschmacksniemandsland der Exploitation. NACKT, WIE GOTT SIE SCHUF gehört zu den thematisch reichsten Exemplaren dieser letzten schönen Berg- und Meerfilmjahre: Ein angehender Priester gerät in Glaubenskonflikte durch die Avancen einer jungen Frau, die ihrerseits im Bann jener derben Bauarbeiter steht, mit denen das Kloster erbittert um die Wasserzufuhr streitet. Der Film basiert auf einer Schrift von Johannes Mario Simmel, eines Linksliberalen der deutschsprachigen Nachkriegs-Bestsellerliteratur.



Donnerstag, 10. November, 18 Uhr
Einführung: Andreas Beilharz (Deutsches Filminstitut)
WALDWINTER - GLOCKEN DER HEIMAT
BRD 1956. R: Wolfgang Liebeneiner
D: Claus Holm, Sabine Bethmann, Rudolf Forster. 97 Min. 35mm


Schon in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs begann eine gewaltige Fluchtbewegung aus Teilen Mittel- und Osteuropas. Wer als deutsch galt oder sich als Deutsche/r verstand, machte sich auf den Weg. Am Ende waren mehrere Millionen Menschen unterwegs, mit dem Ziel, in der BRD eine neue Heimat zu finden. WALDWINTER - GLOCKEN DER HEIMAT zeigt klug, dass Heimat nichts Statisches ist, sondern etwas, das man in sich trägt, eine Haltung, eine Hoffnung und auch eine Sehnsucht.



Freitag, 11. November, 18 Uhr
Einführung: Julian Bodewig (Junger Filmclub Treppe 41)
DIE LANDÄRZTIN
BRD 1958. R: Paul May
D: Marianne Koch, Rudolf Prack, Margarete Haagen. 92 Min. 35mm


Paul May zeigt sich hier von seiner entspanntesten Seite: Die schlichte Geschichte von der Städterin mit den modernen Ideen und Methoden, die sich gegen die geballten Vorurteile eines Bergdorfes durchsetzen muss, hat er mit einem guten Ohr für amüsante Nuancen und einem wachen Auge für inszenatorisch schlanke Lösungen umgesetzt. Im Übrigen ist DIE LANDÄRZTIN ein Muss für jeden Dominik-Graf-Interessierten, war der Film doch die Inspirationsquelle für dessen Dorffarce DR. KNOCK (DE/AT 1996).



Samstag, 12. November, 18 Uhr
Mittwoch, 16. November, 18 Uhr
Einführung am 16.11.: Carolin Weidner (Filmkritikerin)
DIE ROTE
BRD/Italien 1962. R: Helmut Käutner
D: Ruth Leuwerik, Rossano Brazzi, Gert Fröbe. 100 Min. 35mm
Regisseur Helmut Käutner reflektierte später seine Wahl von Ruth Leuwerik für die Hauptrolle seines Filmes DIE ROTE kritisch: "Ruth Leuwerik war von vornherein verloren für diesen Stoff. Obwohl sie (...) eine ideale Interpretin war. Wenn man sie überhaupt nicht gekannt hätte, hätte damit eine Karriere begonnen. Aber sie, (...) die untadelige Dame der deutschen Gesellschaft, (…) war hier eine moderne, gebrochene Figur, eine Sekretärin, die mit zwei Männern lebte und einem dritten anheimfiel in Venedig - das war etwas, was die Leute von ihr nicht wissen wollten. Ich wollte das nicht einsehen und (...)

habe damit den Film leider aufs Spiel gesetzt."

Freitag, 18. November, 18 Uhr
Sonntag, 20. November, 20:30 Uhr
Einführung am 18.11.: Rudolf Worschech (epd Film)
DOROTHEA ANGERMANN
BRD 1959. R: Robert Siodmak
D: Ruth Leuwerik, Bert Sotlar, Alfred Schieske. 105 Min. 35mm


Pastor Angermann fürchtet, seine Tochter Dorothea sei im Inneren genauso verdorben wie ihre Mutter, die ihn für einen anderen Mann verließ, und erzieht sie deshalb mit eiserner Strenge. Als sie vom Koch Mario ein Kind erwartet, erzwingt er die Hochzeit, obwohl auch der Ingenieur Michael Sever um ihre Hand anhält. So übergibt er seine Tochter einer unglücklichen Ehe, aus der die junge Frau sich zu befreien versucht.


Dienstag, 22. November, 18 Uhr
Einführung: Lars Henrik Gass (Direktor der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen)
MAYA. DER FILM VOM DEUTSCHEN FILMNACHWUCHS
BRD 1957. R: Franz Schömbs, Haro Senft, Wolf Schneider, Herbert Vesely, H. C. Opfermann, Walter Koch. 104 Min. 35mm


MAYA ist ein Kuriosum: der Versuch, mithilfe eines gemeinsamen Filmprojektes einen bundesdeutschen Filmnachwuchs zu schaffen - und in die Industrie zu integrieren. Die Idee dazu kam von einem Urgestein der Amateurfilmaktivisten: Walter Koch. Zwei der Regisseure, Haro Senft und Herbert Vesely, gehörten fünf Jahre darauf zu den Unterzeichnern des Oberhausener Manifests.
Vorfilm: EINE MELODIE - VIER MALER
BRD 1955. R: Herbert Seggelke. 14 Min. 35mm

Foto: Viele kamen vorbei(c) dfm


Info:
Deutsches Filminstitut - DIF e.V.
Deutsches Filmmuseum
Schaumainkai 41
60596 Frankfurt am Main

Tel: +49 69 961 220 222
Fax: +49 69 961 220 999
E-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

www.deutsches-filminstitut.de | www.deutsches-filmmuseum.de
www.filmportal.de | www.europeanfilmgateway.eu

SONDERAUSSTELLUNG:

DIE KUNST VON AARDMAN. WALLACE & GROMIT, SHAUN DAS SCHAF & CO
Ausstellung und Begleitprogramm
12. Juni bis 30. Oktober 2016

RETROSPEKTIVE:

GELIEBT UND VERDRÄNGT. Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963
Oktober und November im Kino des Deutschen Filmmuseums
http://geliebt-und-verdraengt.deutsches-filmmuseum.de/