Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. November 2016, Teil 8

Margarete Frühling

München (Weltexpresso) - Ende des 19. Jahrhunderts: Als Louise Fullers (Soko) französischer Vater von Banditen irgendwo im Mittleren Westen in der Badewanne erschossen wird, macht sich die etwa 25Jährige auf den Weg nach New York, wo ihre Mutter Lily (Amanda Plummer) in einer Abstinenzlergruppe lebt.


Doch die Tochter will sich dort nicht unterordnen, sondern möchte gerne Schauspielerin werden. Sie ergattert einen Job als Modell für "künstlerische" Aktfotos, was ihr sehr unangenehm ist, und danach am Theater eine stumme Drei-Minuten-Rolle als Hypnose-Patientin. Da beim Auftritt der Rock zu lang ist, stolpert sie und rettet den Auftritt, indem sie mit ihrem Kleid wedelt. Dem Publikum gefällt es - deshalb überlegt Louise wie sie diese Bewegungen zu einer Tanzform ausbauen kann.

Sie legt sich den Künstlernamen Loïe Fuller zu, experimentiert mit weißem Stoff, Lichteffekten und Stöcken als Verlängerung der Arme und tritt damit erstmals in einer Theaterpause vor dem Vorhang auf. Das Publikum ist begeistert. Als Loïe merkt, dass eine Freundin ihre Choreographie nachmacht, will sie sie patentieren lassen. Dies ist aber in Amerika nicht möglich. Sie lernt den Äther-abhängigen französische Adligen Louis Dorsay (Gaspard Ulliel) kennen, der ihr rät doch nach Paris ins Folies Bergère zu gehen.

Bei einem Besuch in Louis Haus nimmt Loïe ungefragt das benötigte Geld für die Überfahrt mit. Im Folies Bergère versucht sie Monsieur Marchand (François Damiens) von ihrem Tanz zu überzeugen. Sie ist bereit, das teure Equipment - vor allem die außergewöhnlich starke Beleuchtung - selbst zu bezahlen. In den folgenden Wochen wird sie von Marchands rechter Hand Gabrielle (Mélanie Thierry) unterstützt.

Als die Show - unter Metern von Seide vor verschieden farbigen Lichtern - dann endlich auf die Bühne kommt, zieht sie das Publikum in ihren Bann und Loïe ist innerhalb ganz kurzer Zeit das Stadtgespräch in Paris. Allerdings ist sie nicht gerade diplomatisch und stößt immer wieder potentielle Geldgeber vor den Kopf. Es ist vor allem Gabrielles Vertrauen und selbstlose Unterstützung, die Loïe Fuller und ihre Show letztendlich erfolgreich sein lässt.

Louis Dorsay trifft ebenfalls in Paris ein, nachdem seine Ehe mit einer reichen Amerikanerin gescheitert ist. Der verarmte Adlige lässt Loïe in seinem etwas heruntergekommen Schloss wohnen. Sie kann dort nicht nur ihre Aufführungen planen, sondern auch einige junge Tänzerinnen trainieren, um mit ihnen zusammen auf der Bühne aufzutreten. Als eine der Tänzerinnen ausfällt, engagiert sie spontan die junge Amerikanerin Isodora Duncan (Lily-Rose Depp). Isodora ist nicht nur eine begabte Tänzerin, sie hat auch das Aussehen und Selbstbewusstsein jenseits der Bühne, das Loïe nie erreichen konnte.

Endlich erhält die Tänzerin das Angebot in der Pariser Oper aufzutreten. Allerdings hat sie immer größere Probleme mit ihrem Körper und durch die starken Lampen auch mit ihren Augen. Als Isodora dann plötzlich die Kompanie in Stich lässt, verliert Loïe langsam den Glauben an ihre Fähigkeiten. Wird sie die Aufführung doch noch schaffen?


Regisseurin von "Die Tänzerin" ist Stéphanie Di Giusto, die auch am Drehbuch mitgeschrieben hat. Als Hintergrund dient der Roman von Giovanni Lista "Loïe Fuller, danseuse de la Belle Epoque" (2007).

Loïe Fuller ist heute nicht mehr so bekannt, obwohl sie durch ihren Serpentinentanz als eine Wegbereiterin des modernen Tanzes und der Lichtspiele auf der Bühne gilt. Sie ließ sich ihr meterlanges Kostüm mit den verlängernden Armen und ihre farbigen Lichteffekte in Europa patentieren. Sie begeisterte nicht nur das Pariser Publikum sondern auch die Künstler ihrer Zeit, von denen einige wie z.B. Henri de Toulouse-Lautrec sie auch gemalt oder Bronzefiguren hergestellt haben. 1911 ist sogar eine Meissner Porzellan Figur von ihr erschienen.

Die Hauptrolle im Film spielt die französische Sängerin und Schauspielerin Soko (Stéphanie Sokolinski). Sie wirkt als ob sie absichtlich ihre Weiblichkeit hinter einem jungenhaften Auftreten verbirgt. Soko stellt sie als Künstlerin dar, die unbedingt hinter ihren meterlangen wirbelnden Kostümen verschwinden will.

Auch wenn einige der Performances wunderschön gefilmt sind, hat Regisseurin Stéphanie Di Giusto aber vermutlich weniger Interesse daran, die Karriere der Tänzerin zu zeigen. Sie zeigt sehr viel stärker die sexuelle Ambiguität Loïes. Dies wird besonders in ihrer Beziehung zu Louis Dorsay deutlich, der sie begehrt, den sie aber vor allem als Freund und Beschützer benutzt. Auch das Verhältnis zu Gabrielle ist zumindest von deren Seite eindeutig mehr als nur eine hilfreiche Freundin. Eigentlich zeigt Fuller nur an Isadora Duncan sexuelles Interesse, das diese aber schamlos ausnutzt.

Lily Rose Depp, die Tochter von Johnny Depp und Vanessa Paradis hat die elfenhafte Geschmeidigkeit, das passende Aussehen und die Selbstsicherheit der Duncan. Schauspielerisch kommt sie allerdings noch nicht an ihre Eltern heran. Insgesamt spielt sie aber ihre Rolle ganz ordentlich, auch wenn sie nicht selbst sondern die Tänzerin Fanny Sage die Performances der Duncan getanzt hat. Gaspard Ulliel als etwas abgehalfterter Aristokrat Louis Dorsay, der Loïe Fuller nicht nur unterstützt sondern ihr auch persönlich näher kommen möchte, und die etwas unterbeschäftigte Mélanie Thierry als allzeit bereitstehende Gabrielle füllen ihre kleineren Rollen sehr gut aus.

Insgesamt ist "Die Tänzerin" ein interessanter Film über eine leider vergessene Tänzerin und Pionierin des modernen Tanzes der Belle Epoque, der aber an einigen Stellen bedauerlicherweise etwas unausgeglichen ist. Trotzdem ist er auf jeden Fall nicht nur für Tanzinteressierte sehenswert.

Foto: Loïe Fuller, die Erfinderin des Serpentinentanzes (Soko) © Prokino Filmverleih GmbH

Info:
Die Tänzerin (Frankreich, Belgien 2015)
Originaltitel: La Danseuse
Genre: Biopic
Filmlänge: 111 Minuten
Regie: Stéphanie Di Giusto
Drehbuch: Stéphanie Di Giusto, Sarah Thibau, Thomas Bidegain.
Darsteller: Soko, Gaspard Ulliel, Mélanie Thierry, Lily-Rose Depp, François Damiens u.a.
Verleih: Prokino Filmverleih GmbH
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 03.11.2016