Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. November 2016, Teil 4
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein sehr interessanter Film um einen sehr merkwürdigen Mann, der sich ständig im Beobachtungsstatus befindet, berufshalber, denn er hat mit seinem dominanten Vater eine Detektei, wobei er der Außenposten war, der dauernd mit der Kamera alles dokumentiert. Er war es. Denn der übermächtige Vater ist gestorben und der übriggebliebene Privatdetektiv bleibt hilflos zurück.
Der Anfang ist sensationell. Da weiß man wirklich nicht, was los ist. Eine leere Wohnung, nein, dort liegt eine Kamera. Und jetzt abrupt: Da filmt ein junger Lebender einen alten Toten. Unentwegt, von allen Seiten. Der Tote liegt im Sarg und die Kamera kennen wir schon. Man hat weiterhin keine Ahnung, was das soll. Hat der den Alten umgebracht, will er nun den Tod dokumentieren? Nein, nach und nach entschlüsselt sich, daß es sich um Vater und Sohn handelt und der Sohn nicht Abschied nehmen kann, weil der Vater ihm den Weg durchs Leben zeigte mit einer Autorität, der Sohn Aloys Adorn gerne nachkam. Diese Filmaufnahmen vom toten Vater schaut er im Verlauf des Filmes ständig an. Er war einfach kein eigener Mensch und muß nun einer werden. Dabei sind wir anwesend und das geht skurill zu.
Aber damit sind wir schon weiter in der Geschichte und je weiter der Film voranschreitet, desto stärker verliert sich das Rätselhafte, das Kryptische, weshalb auf diese Wucht, die die Szenen auslösen, ausdrücklich verwiesen werden sollte. Das geht so weit, daß man in der Erinnerung diese Szenen sich vor Augen holt, aber dann gar nicht mehr genau weiß, was einem so toll vorkam, so daß man richtig gerne den Film noch einmal sehen möchte. Aber nicht den ganzen Film durch, sondern so lange niemand weiß, was los ist. Denn beim zweiten Mal haben wir ja keinen unschuldigen Blick, sondern wissen,was kommt. Und erst dann, wenn man zwar weiß, was einen erwartet, aber dennoch neugierig bleibt, dann ist es ein richtig guter Film!
Höchste Zeit von Georg Friedrich zu sprechen, der den Aloys gibt und einfach so tut, als ob er der Typ Aloys sei. Es gibt ja viele Arten der Schauspielerei und die höchste Kunst ist jeweils, sich in die Person so hineinzuversetzen, daß man immer glaubt, nicht den Schauspieler, sondern die Verkörperung zu sehen. Wir kennen alle, wenn das schief geht, und allzu sehr das Unechte vorherrscht. Hier aber gehört das Unechte zum Programm. Der Kerl ist derartig linkisch und schräg, daß er eben nicht gut geschauspielert erscheint, sondern als Original. Heftig.
Die Geschichte, die sich Tobias Nölle ausgedacht hat und sie in Szene setzt, geht so weiter: Der aus dem Tritt geratene Aloys betrinkt sich, schläft seinen Rauch in einem Linienbus aus, in dem er alleine an der Endhaltestelle erwacht – ohne seinen Koffer mit den Überwachungsbändern....und spätestens hier fragt man sich, ob wir eine Wirklichkeit miterleben, oder ob es ein Traum, ein Alptraum des zurückgebliebenen Aloys ist, der aufgrund seiner Verlassenheit und Einsamkeit ins Bewußtsein tritt, weil die Angst im Unterbewußten lauert. Aber es kann sich auch genauso zugetragen haben. In diese Ambivalenz stürzen uns auch die nächsten Szenen, wenn eine Anruferin nun den Spieß umdreht und Aloys zum Gejagten macht, in dem sie droht, das alles zu veröffentlichen, Aloys aber doch nur dringend sein Eigentum zurückhaben will und noch mehr.
Das mehr ist eine interessante eigene Geschichte, von der wir keine Ahnung hatten: Das Telefonwandern. Die Anruferin Vera (Tilde von Overbeck) geht nämlich auf seine Bitten nicht ein, sondern erklärt Aloys, wie man Telefonwandern macht und tatsächlich hebt Aloys ab. Dazu muß man gut in den Hörer hineinlauschen. Ein Neurologe aus Japan soll das entdeckt haben, was nun passiert. Wenn man ganz innig und konzentriert dem lauscht, was im Hörer rauscht und knackt, dann hebt der Geist ab und man wird in andere Welten versetzt, die letzten Endes der eigenen Phantasie entspringen. Wir finden Aloys also im Wald und unvermittelt in einer schäumenden Party. Und glauben nun genau zu wissend daß wir seiner magischen Welt zuschauen. Aber, wer weiß. Der Vater erscheint, aber Aloys ruft auch andere Personen und wenn wir nun auf die Frau in seinem Leben warten, tun wir das, was heimlich Aloys schon lange getan hat....
So ist der Schluß ein bißchen zu hoffnungsfroh geraten, denn so schnell kann sich einer aus der Umklammerung seines Vaters auch nicht lösen. Und wie diese Symbiose vom Sohn zum Vater in Wirklichkeit funktionierte, gehört zu den stärksten Szenen, wie gesagt, am Anfang. Im Auto setzt sich Aloys immer auf den Beifahrersitz, denn den Wagen fährt ja in der Imagination der Vater auch weiterhin. Dort ist er sein Brot und unterhält sich mit dem Fahrer. Aber fahren tut dann er. Und er fühlt sich auch immer noch als 'wir', wenn er Anrufern erklärt, was die Detektei machen wird. Den Typ auf jeden Fall vergißt man so schnell nicht!
Heute erreichte uns zusätzlich die Nachricht vom Preis für ALOYS
ALOYS WINS THE PRIZE FOR BEST DEBUT FILM AT CAMERIMAGE!
The prize for best film, in the Directors Debut Competition, was given by jury president and lgendary DOP Anthony Dod Mantle. In this sense we dedicate this price to Simon Guy Fässler. Without his old_images/resizedImages/small_images ALOYS would have never travelled this far.jpg, so honoured to win at this prestigous festival! And by the way: Aloys has been released this weekend in 40 cinemas all over Poland and will open on 23 screens in Germany on November 24. So if you haven’t seen Aloys yet, this is your chance! Spain and more countries will follow soon.. Stay tuned.
http://camerimage.pl/en/Camerimage-2016-Winners.html
Info:
ALOYS
Regie: Tobias Nölle
Darsteller: Georg Friedrich, Tilde von Overbeck u.a.
Schweiz 2016 90 Minuten Scope 2,35 : 1
Kinostart: 24. November 2016