Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. November 2016, Teil 5

N.N.


Zürich (Weltexpresso) – Was waren deine Inspirationen für “ALOYS”?

Ein Mann der das Leben durch seine Kamera beobachtet bis jemand den Spieß umdreht und die Kamera auf ihn richtet. Ich spürte darin eine filmische und aktuelle Fragestellung, erzählt über eine extrem unzeitgemäße Figur: Heute kämpft jeder um größtmögliche Sichtbarkeit und Anerkennung, wahrgenommen und “likes” zu sammeln ist die Selbstflucht der digitalen Generation. Aloys ist das pure Gegenteil, er hat weder eine E-mail Adresse noch ein menschliches Gegenüber, er überwacht das Leben der Anderen, das ist sein Beruf und hat ihn zu einem isolierten Mann deformiert. Er ist wie ein Geist.


Was auch der Grund war warum er mich sofort faszinierte. Seine Angst vor Eindringlingen und somit einem möglichen Wandel, sein Festhalten an den Prinzipien seines Vorfahren, das ist eine archetypische Lebenseinstellung, die ich mit der Kraft der Fantasie und Liebe herausfordern wollte. Das ist der Punkt wo das zweite Schlüsselelement dazukam, das „Telefonwandern“ aus Japan. Das Treffen in diesem „Zwischenraum“, sprich im Kopf, wollte ich mit dem Kino erforschen, wie eine innere Wohnung mit Kammern und Türen.

Der Fakt, dass das Universum in unserem Kopf so viel größer ist als die physische Wirklichkeit in der wir leben, fasziniert mich immens.


Georg Friedrichs Spiel ist ein sehr zentrales Element. Wie wichtig war es für dich, mit genau diesem Schauspieler zu arbeiten?

Dass ein Schauspieler von seinem Kaliber mir vertraut und das in einem Film, der riskiert komplett zu scheitern, bedeutet mir sehr viel. Georg Friedrich ist für mich einer der besten seines Fachs. Er hat eine Magie, eine Aura die mich fesselt und ich bis heute nicht durchschaue. Auf der Oberfläche wirkt er so hart, während sein Inneres zerbrechlich ist.
Er ist ein Geschenk für das Kino.

Das Beste an ihm ist sein selbstloser Charakter. Zum Casting in Wien brachte er mir zwei verstaubte Schauspielbücher mit und bat mich, die zu lesen, damit ich dann aus ihm einen besseren Schauspieler für ALOYS machen könne. Das ist Georg Friedrich. Ein roher Diamant.

Genauso wie Tilde von Overbeck, sie hat eine ähnliche Gabe, eine magnetische Ausstrahlung, etwas Wesenhaftes, Rohes, Echtes. Sie hat zuvor noch nie gespielt, doch als ich sie durch die Kamera beobachtete, quasi in letzter Minute vor dem Dreh, nachdem ich zuvor endlos viele Profis gecastet hatte, war der Fall klar.

Die Kamera kann sich ihr nur schwer entziehen und genau dieses Gefühl suchte ich für Aloys, der sich schlußendlich von seiner Projektion von Vera losreißen muss.



Der Film vermischt zwei Welten – die Wirklichkeit und die Vorstellung. Wie hast du das gemacht?

Ich suche immer Ideen die explizit die Mittel des Kinos brauchen, um erzählt zu werden. Bei dieser Geschichte war die Montage zentral. Dass ich mit einem Schnitt Raum und Zeit bezwingen kann, ist unglaublich mächtig, auch eine Sucht, die ich manchmal wohl übertreibe. Aber es ist das Kind in mir, dass ich im Film eine Türe in Zürich öffnen kann und in Tokio wieder rausspaziere, mit Hilfe eines Umschnitts. Die Möglichkeiten der Träume, das ist der ursprüngliche Grund warum ich Kino machen will.

Was die Gestaltung der Imagination anbelangt, war die Regel, dass die Vorstellung so real wie die Wirklichkeit sein sollte. Oder fast und teilweise realer, wie zum Beispiel die Hand auf dem Moos und das hyperrealistische Sounddesign. Wir versuchten die Imagination trotzdem eher nüchtern-­‐konservativ zu halten, so wie Aloys Adorns
Charakter, konsequent aus ihm heraus erzählt. Ihm treu zu bleiben war das oberste Gebot. Diese „Trockenhaltung“ der Imagination war zudem nötig um die Grenzen zur
Wirklichkeit zu verwischen, damit sich der Zuschauer auch tatsächlich fragen muss wo die Grenze zwischen Projektion und Wirklichkeit liegt


Der Film ist ein Detektiv Thriller und eine Liebesgeschichte zugleich. Welche hast du lieber?

Vielleicht die Thrillerphase, wobei die eher kurz gehalten ist, und nach der Exposition übernimmt die Lovestory. Ich mag den Mix: Film Noir Elemente kombiniert mit Boy meets Girl, aber übers Telefon. Ich suchte nach meinem ganz eigenen Weg und der führte mich zu dieser seltsamen Kombo. Die einen schreckt es ab, die anderen beflügelt es.



Die Natur spielt eine wichtige Rolle in deinem Film – hat sie dich beim Schreiben inspiriert?

Wenn immer es geht, drehe ich Elemente meiner Filme im Wald. Ich liebe die mystische Atmosphäre, die Textur, das Moos. Im Wald scheint noch alles möglich, auch das
Unerklärliche oder gar ein Wunder. Der Wald ist auch eine Metapher für die Komplexität und das Dickicht unseres Unterbewusstseins, unserer Ängste und Sehnsüchte, Finsternis und Hoffnung.

Die Tiere schlichen sich von alleine in den Film. Sie sind die einzigen die Aloys sehen dürfen, wie ein Spiegel, sie wissen was in ihm abgeht und er spürt es. Sie sind allwissend, aber können nicht sprechen, sie fordern nicht. Das ist vielleicht der Grund warum Vera im Zoo arbeitet.

In ihren Geschichten der Tiere im Zoo, suggeriert sich auch ihre Backstory, ohne konkret zu werden. Ich wollte, dass sie eine Projektion bleibt, eine Stimme, und die Wahrheit dahinter sich Aloys erst zeigen wird, falls er sich für die Wirklichkeit entscheidet.


Du hast in Locarno gewonnen mit deinem Kurzfilm, was dir sicher viele Türen öffnete. Warum hast du entschieden diese Geschichte zu erzählen?

Vielleicht musste ich etwas zu Ende führen, was ich beim Kurzfilm angefangen hatte, etwas über Einsamkeit und die Flucht in die Innenwelt und eine gewisse formale Phase, die assoziative Erzählweise, der Versuch ein Gefühl mit Bild und Schnitt zu „malen“. Bei HEIMATLAND stellte sich aber eine Weiche, zwar ging es wieder in den Kopf, aber im Unterschied zu Aloys mit Plot. Seither schreibe ich in eine neue, mehr handlungsgetriebene Richtung. Ich muss an meine Rente denken. Nein. Aber lyrische
Filme zu machen die sich in erster Linie über die Atmosphäre erzählen ist so verdammt anstrengend, das Gefüge ist so fragil. Wenn die Handlung nicht laut ist, spürt man jede falsche Note, jeden Takt der daneben ist, jede Farbe die nicht stimmt. Das Erlebnis kann aber gleichzeitig umso traumartiger sein.

Inhalt:

Der verschrobene Privatdetektiv Aloys Adorn filmt und beobachtet durch seine Kamera das Leben anderer, bis der Tod seines Vaters ihn aus seiner geordneten Bahn wirft. Als er nach einer durchzechten Nacht in einem Bus aufwacht, ist der Schock groß: Seine Kamera und Observierungsaufnahmen wurden gestohlen. Kurz darauf ruft ihn eine mysteriöse Frau an und erpresst ihn zu einem obskuren Experiment. Dies ist der Anfang einer magischen Reise, auf der sich Aloys in die Stimme am anderen Ende des Telefons verliebt und die Kraft finden muss, seine Einsamkeit endgültig zu durchbrechen.


ALOYS feierte seine Weltpremiere in der Sektion PANORAMA auf der diesjährigen BERLINALE (2016)und gewann dort den FIPRESCI Preis.

„Tobias Nölle ist ein genauer Beobachter menschlicher Verhaltensweisen in Relation zu ihrer Umwelt– und ein Filmemacher, den es im Auge zu behalten gilt.“
kino-zeit.de


Info:

ALOYS

Regie: Tobias Nölle
Darsteller: Georg Friedrich, Tilde von Overbeck u.a.
Schweiz  2016    90 Minuten  Scope 2,35 : 1
Kinostart: 24. November 2016

Aus dem Filmheft zu ALOYS