Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Dezember 2016, Teil 3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schaurig. Aber wohl wahr und sowieso ein Thema für einen Film, der die Psyche der Männer und der Frauen unter die Lupe nimmt. Wie klingt das doch so wohltuend: die Hände meiner Mutter. Man stellt sich vor, wie sie das weinende Kind in den Arm nimmt und hält, beschützt und das Böse wieder gut macht. Aber nein. Im Gegenteil. Die Hände sind das Böse.


Man denkt sich aber erst mal nichts Böses, wenn man der weitverzweigten und ein bißchen sehr norddeutschen Familienfeier – der Vater/Großvater hat Geburtstag - beiwohnt, die auf einem Ausflugsschiff stattfindet. Norddeutsch ist allein unsere Vokabel, weil es ein bißchen steif zugeht. Schnell wird deutlich, daß es um den kleinen Jungen namens Adam von Monika (Jessica Schwarz) und Markus (Andreas Döhler) geht, der sich die Stirn aufgeschlagen hat, aber niemand weiß Genaues. Und – das sagen wir schon mal gleich – um den kleinen Jungen geht es im Kern auch nicht, sondern um das, was auf einmal, als Markus seinen verletzten Sohn sieht, in ihm selbst aufbricht.

Tja, das ist schon sehr bemüht und nicht leicht vermittelbar, daß da  etwas Dramatisches in Markus verschüttet war, was jetzt mit Macht ans Licht will. Aber für das Kino schon etwas Altbekanntes. Das haben vor allem Regisseure aus dem Norden vorgeführt und ihre Literaten schon im vorvorigen Jahrhundert aufgedeckt. Man muß einfach an den Norweger Ibsen und den Schweden Strindberg denken und dann an den schwedischen Regisseur Ingmar Bergman, der im Dänen Thomas Vinterberg einen Zuspitzer fand, der 1997 mit DAS FEST dem heilen Familiengedanken den letzten Rest gab.

In der Tat kann Familie die Hölle sein und in der Familie erfahren die meisten erstmals solche Gefühle, die sie dann in der Welt weitereinüben: Angst, äußere und innere Verletzungen, also Gewalt und die Strategien, damit umzugehen. Familientherapeuten benutzen dafür auch die Familienaufstellung, ein Verfahren, das schnell deutlich macht, wie dysfunktional eine bestimmte Familie agiert, deren Störungen aber längst tiefe Wunden geschlagen haben. Das ist graue Theorie. Markus nun ist die schwärzere Praxis.


Aber noch sind wir auf dem Schiff. Markus erläutert seinem noch unverletzten Sohn die Verwandtschaft und bringt das Gegenteil der Familienaufstellung zum Tragen: das Rollenspiel. Denn er läßt den Kleinen als eine Art Castingagentur nun für einzelne Verwandte eine passende Rolle aussuchen, bzw. nennt die Rolle wie Prinzessin oder Kasperl, auch den Polizisten und Adam soll sie mit den Verwandten besetzten.

Da ahnt man schon, daß irgendwas nicht stimmt, daß da noch was kommen wird.  Aber ahnt überhaupt nicht, woher die Gefahr droht. Da muß Adam aufs Klo, Markus' Mutter geht mit ihm, und kommt eben mit dem leicht verletzten Jungen zurück, ohne das erklären zu können. Und jetzt, siehe oben, klickt es, in Markus' Erinnerung öffnet sich eine Tür in ein schwarzes Gemacht, das da heißt, Mißbrauch durch die eigene Mutter. Theoretisch weiß man, daß es das gibt, aber praktisch wird wenig darüber geredet, auch deshalb, weil die Infragestellung der Liebe zur Mutter und die der Mutter zu ihren Kindern eines der stärksten gesellschaftlichen Tabus geblieben ist. Denn irgendetwas muß in dieser erschütterten und durchgeschüttelten Welt doch noch stabil und heil sein. Pustekuchen.

Und in der Folge müssen wir auch gar nicht unsere Phantasie bemühen, was denn dem armen Markus von seiner Mutter angetan wurde. Wir sehen es. Denn das Verdrängte liegt nun offen, wird benannt und ist somit in der Welt. Wie nun erst einmal Ehefrau Monika alles erfährt, Markus an seine Mutter einen Brief schreibt und die Aufarbeitung in Gang kommt, ist das eine, was den Film nach vorne treibt. Das andere sind die Rückblenden in die Kindheit, damit verständlich wird, wovon Markus spricht, wenn er das Wort Mißbrauch benutzt.

Und hier hat Regisseur und Drehbuchschreiber Florian Eichinger, der übrigens mit diesem Film  nach BERGFEST von 2008 und NORDSTRAND von 2013 eine Trilogie über die Folgen familiärer Gewalt abschließt, hier hatte der Regisseur eine richtig gute Idee. Die Kindheitsszenen zeigen nicht einen Kinderschauspieler – wäre auch sehr fragwürdig, ob man so was ein Kind spielen lassen dürfte, eindeutig: nein -, sondern der erwachsene Markus spielt sich als Kind. Das geht absolut und geht zudem auch viel tiefer. Das Ganze gewinnt eine Surrealität, die nicht die Wirklichkeit verdrängt, sondern eher sichtbarer macht. Schaurig, wie gesagt.

Wie allerdings die Mutter Renate, gespielt von Katrin Pollitt, ihre Rolle als Buhfrau – es ist unglaublich, widerlich, gemein, was sie dem Kind antut – durchzieht, da friert es einen. Denn sie gibt einerseits sofort alles zu, ist aber andererseits einfach da und bleibt da.

Was wir uns überlegten ist, ob dieser Film bei potentiell Betroffenen auch ein Faß aufmacht, so daß danach was passiert – oder ob lieber weitergeschwiegen wird.

 

Foto: (c)

 

Info:

Schauspieler

Markus                 Andreas Döhler
Monika                 Jessica Schwarz
Mutter Renate       Katrin Pollitt
Vater Gerhard       Heiko Pinkowski
Sabine                 Katharina Behrens
Johannes             Sebastian Fräsdorf

Regie und Buch    Florian Eichinger
Kamera               Timo Schwarz
Schnitt                Jan Gerold
Musik                  André Feldhaus
Kostüm               Maren Esdar
Szenenbild          Tamo Kunz
Ton                     Urs Krüger
Maskenbild          Roman Bartl