Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Dezember 2016, Teil 8
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ob deutsche Filmbesucher wissen, unter welchen Bedingungen im Gazastreifen Filme gemacht werden? Und werden sie überhaupt dort gemacht? Auf jeden Fall zeigt dieser ambitionierte Film, welchen Traum vom Leben die Leute haben, der für den einen in Erfüllung ging.
Eigentlich ist es die wahre Geschichte von Mohammed Assaf, der 2013 die Castingshow ARAB IDOL gewonnen hatte. Aber wir wollen zuvor etwas Grundsätzliches betonen. Es ist immer schwierig, wenn man Filme ohne den Hintergrund des Zustandekommens einfach bespricht. Da wir in der Regel glatte Hollywoodproduktionen haben, die immer glatter werden, wofür mit den neuen technischen Möglichkeiten die Schauspieler mit ihren Großaufnahmen über die Kinoleinwand hinaus immer häßlicher werden, zeigen einem diese Fehlentwicklung, die durch das US-Kino in die Welt kommt, daß so ein kleiner feiner Film aus einer ganz anderen Welt sich mehr als behaupten kann, er zeigt auch, daß es im Kino nicht darum geht, so genau in die Gesichter zu schauen, daß man die Pickel und Leberflecke auf der Haut im Großformat sieht, sondern daß ein Film von der Geschichte lebt, die uns in etwas hineinzieht, in eine Welt, die wir nicht kennen und in der es für uns auf einmal ganz wichtig wird, wie das denn genau war, zum Beispiel mit Nour.
Und unter solchen Gesichtspunkten ist EIN LIED FÜR NOUR ein guter, ein sehr guter Film. Nun ist Regisseur Hany Abu-Assad kein Unbekannter. Immerhin war er schon zweimal für den Auslandsoscar nominiert: im Jahr 2005 für PARADISE NOW und 2013 für OMAR. Aber das interessiert die immer stärker von dem reißenden Strom von US-Filmen zugedröhnten Kinozuschauer leider nicht – und so muß man um unsere verdienstvollen Programmkinos stolz sein, die solch einem Film eine Chance geben – und auch das Fernsehen, daß auf einmal in den Spätprogrammen für Zuschauer sorgt.
Aber so weit wir noch nicht, denn am Donnerstag ist dieser Film, der 2015 von Palästina, Großbritannien, Katar, Niederlaqnde und Vereinigte Arabische Emirate herausgebracht wurde, erst einmal bei uns angelaufen. Die zweite Besonderheit am Film ist, daß er auf einer wahren Geschichte beruht. Das ist wichtig zu wissen, denn ohne diesen Hintergrund käme man leicht auf den Gedanken, hier wolle einer einem gequälten Volk vormachen, daß Rosinen gewissermaßen doch in den Himmel wachsen und man sie sich pflücken kann. Und man käme auf den Gedanken, hier wolle einer mit Rührseligkeit ein Filmgeschäft machen.
Nein, diese Geschichte, wie aus einem kleinen armen Palästineniserkind ein in der ganzen arabischen Welt bekannter Gesangsstar wurde, ist Mohammed Assaf wirklich passiert. Er wurde im Jahr 2013 in der Castingshow ARAB IDOL, die dem – genau! - US-Vorbild AMERICAN IDOL, was bei uns als DEUTSCHLAND SUCHT DEN SUPERSTAR genauso abläuft, Sieger. Und das bedeutet in der arabischen Welt sehr viel mehr als bei uns, wo ja täglich die Superlative stattfinden. Schon bei der Zwischenauswahl traf er auf mehr als zehn Millionen Zuschauer, wo seine Geschichte das allesbeherrschende Thema wurde, das von mal zu mal, mehr Zuschauer brachte, Und zu dieser Geschichte gehört, daß er die geschlossene Grenze zu Gaza einfach genial überwand, um zum Austragungsort nach Kairo zu gelangen.
Auf jeden Fall wurde Mohammed Assaf dort in der Auswahl die RAKETE AUS GAZA, eben auch ein Symbol dafür, daß ein palästinensischer Junge nicht Verlierer bleiben muß, sondern Gewinner werden kann. Und auch, wenn man darüber streiten kann, ob ein Einzelschicksal im Film für die derzeitige jämmerliche Existenz der allermeisten Palästinenser so was wie ein Surrogat sein könnte, also der Erfolg gerade damit zusammenhängt, daß andere aus Palästina dies nicht erreichen können, so spricht doch auch sehr viel dafür, daß es den Menschen dieser Region Mut gemacht hat und weiterhin Mut macht, daß sie stolz auf ihn sind – und das das alles mit Mitteln der Musik möglich ist.
Und damit sind wir beim Film, der mit spielenden Kindern im Gazastreifen 2005 beginnt, die mit allem, was für Töne taugt, Musik machen. Anführerin ist Nour (Hiba Attalah) , die ältere Schwester von Mohammed (den jungen Mohammed spielt Quais Attalah, den Jüngling Tawfeek Barhom), die mit weiteren Jungen eine Kinderband gründet, die sich erfolgreich Auftritte bei Hochzeiten, Familienfeiern und sonstigen Gelegenheiten sogar Geld erspielen, mit dem sie endlich richtige Instrumente kaufen können. Es ist einfach Nour, die mit Witz und Energie die unmöglichsten Sachen versucht und zu Erfolgen führt. Und diese Energie speist sich auch aus ihrer Gewißheit, daß die Truppe eines Tages groß herauskommt.
Doch das Leben entwickelt sich völlig anders. Nour wird nierenkrank, eine Spenderniere wäre mit 15 000 Dollar viel zu teuer, es muß bei der wöchentlichen Dialyse bleiben. Aber sie ist so krank, daß sie stirbt. Vorher verspricht ihr der Bruder, dessen Stimme immer schöner geworden ist und der mit dem Vorsingen weiteres Geld für die auseinandergefallene Band sammelt, daß er ihren Lebenstraum, eben Gewinner des ARABIC IDOL zu werden, erfüllen wird.
Weiter braucht man die Geschichte eigentlich nicht zu erzählen, die im Film selbstverständlich dann Hauptsache wird, wie es dem inzwischen 22jährigen gelingt, das Gefängnis GAZA zu überwinden und sich mit Intelligenz und Chuzpe tatsächlich in den Wettbewerb noch hineinzuschmuggeln. Es wird auch nicht verschwiegen, mit welchen persönlichen Versagungsängsten er gleichzeitig konfrontiert ist.
Die Kunst des Regisseurs, der auch am Drehbuch mitgeschrieben hat, erweist sich an einigen Widerhaken, die die Geschichte zusammenhalten, hinterfüttern und bunt machen. So wird das erste Verdienst der Kinderband, stolze 437 Schelkel, rund 100 Euro, einem berüchtigten Hehler übergeben, damit er Instrumente besorgt. Der denkt nicht dran und steckt es selber ein. Die Kinder erfahren also wieder einmal die Gemeinheit der Erwachsenen und ihre eigene Ohnmacht. Aber genau dieser Mann iwird es sein, der inzwischen bürgerlich geworden im Grenzschutz arbeitet, wider die Bestimmungen Mohammed beim Grenzüberqueren hilft.
EIN LIED FÜR NOUR wude von der Deutschen Film-und Medienbewertung (FBW) mit dem Prädikat 'besonders wertvoll' ausgezeichnet.
In der Begründung heißt es: „Er zeigt das Lebensgefühl der Bewohner von Gaza, die bei der alltäglichen Not und Gewalt, die sie erleben müssen, nicht die Freude am Leben verlieren und sich dennoch mit ganzem Herzen für Mohammed und seinen Gesang begeistern können.“