Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Dezember 2016, Teil 9

Filmheft

Paris (Weltexpresso) - Die Geschichte von Mohammed Assaf klingt unglaublich – und doch ist sie wahr. Der 22- ja?hrige pala?stinensische Flu?chtling aus Gaza eroberte eine ganze Region im Sturm, als er 2013 die Castingshow „Arab Idol“ (die arabische Ausgabe von „American Idol“ bzw. „Deutschland sucht den Superstar“) gewann. U?ber Nacht wurde Mohammed zu einem Symbol fu?r Frieden und Freiheit.

Er wuchs im Gazastreifen auf, der bis 2005 von Israel besetzt war, sang auf Hochzeiten und verdiente sich sein Studium als Taxifahrer. Während der Besatzung und blutigen Kämpfen zwischen Israelis und Palästinensern verlor er Freunde und Angehörige, aber niemals die Hoffnung, in seinem Leben etwas erreichen zu können. Allen Widrigkeiten zum Trotz gelang Mohammed die Flucht aus Gaza – und er schaffte es tatsächlich bis zum „Arab Idol“-Casting in Kairo. Allerdings nicht mehr ganz rechtzeitig: Er wurde abgewiesen. Doch Mohammed akzeptierte kein Nein, sprang über die Absperrung und gelangte in das Hotel, wo das Vorsingen stattfand. Dort sang er für die Kandidaten, die bereits zugelassen waren. Einer von ihnen war so fasziniert von Mohammeds Stimme, dass er ihm gern seine Startnummer überließ. Der Rest ist Geschichte.


Kaum ein Event in der arabischen TV-Geschichte hatte so hohe Einschaltquoten wie das Finale von „Arab Idol“. Schon bei den Ausscheidungsshows erlebten mehrere zehn Millionen Zuschauer im gesamten Nahen Osten mit, wie der junge Sänger aus Gaza mit ein paar Liedern ein ganzes Volk seine Probleme vergessen ließ und ein Lächeln auf Millionen Gesichter zauberte.


Mohammed Assafs wahre Geschichte ist ein Ausnahme-Ereignis, das einem Volk ein Gesicht und eine Stimme verleiht, das allzu oft zur Randgruppe degradiert wird. Mohammeds sensationeller Aufstieg vom Hochzeitssänger in Gaza zum größten Nachwuchsstar der arabischen Welt spielte sich allwöchentlich vor aller Augen ab – und das in einer Zeit beispiellosen Umbruchs, geprägt von Revolutionen, Bürgerkriegen und Extremismus. Aber jeden Freitag- und Samstagabend konnte das Publikum für ein paar Minuten alles vergessen und sich mit Mohammed freuen.
Mohammed Assaf steht für die Hoffnung auf eine bessere Welt, in der Träume wahr werden und das Unmögliche wenigstens für einen kurzen kostbaren Moment möglich wird.


Nach seinem Triumph ernannte das Hilfswerk der Vereinten Nationen Mohammed Assaf zum ersten Sonderbotschafter für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten. Er besitzt einen Diplomatenpass und tritt weltweit vor Fans auf. Trotzdem braucht er jedes Mal eine Sondergenehmigung, um in Gaza ein- und ausreisen zu dürfen.

 

INTERVIEW MIT MOHAMMED ASSAF


Wie ist das für Sie, Ihr eigenes Leben auf der Leinwand zu sehen?


Auf jeden Fall wundervoll! „Arab Idol“ war noch nicht einmal drei Jahre her, als EIN LIED FÜR NOUR gedreht wurde. Das ist definitiv eine sehr kurze Zeitspanne für ein Biopic. Ich bin mit diesem Film sehr glücklich. Aber ich hätte mir nie träumen lassen, dass mein Leben eines Tages verfilmt wird. Das wäre mir im Traum nicht eingefallen.

 


Sie haben sich in Jordanien mit Hany Abu-Assad getroffen. Wie hat er Sie überzeugt, dass er der richtige Regisseur ist?


Er war von Anfang an Feuer und Flamme für das Projekt. Selbst als dann die Dreharbeiten begannen, konnte ich noch immer nicht fassen, dass er einen Film über mich machen wollte. Ich meinte noch zu ihm: „Solche Filme werden doch sonst nur über Künstler gedreht, die schon verstorben sind. Ich will aber nicht sterben!“

 


Hany Abu-Assad hat sich einige künstlerische Freiheiten genommen. Was halten Sie von seinen fiktiven Ergänzungen?


Sie sind wunderbar gelungen. Obwohl mir Wahrheit und Wirklichkeit im richtigen Leben über alles gehen. Ich verstehe nicht viel von Film, ich bin ja kein Kritiker. Aber natürlich sehe ich mir viele Filme an und mir ist klar, dass es die Aufgabe eines Regisseurs ist, das Publikum von seiner Geschichte zu überzeugen. Da darf man schon mal von den Fakten abweichen und etwas hinzudichten. Er muss die Zuschauer ja vor allem auf der Gefühlsebene erreichen. Das verstehe ich absolut.

 


Wie finden Sie die Darsteller, die Sie im Film verkörpern – und haben Sie ihnen Ratschläge gegeben?


Als ich Tawfeek Barhom sah, war mein erster Gedanke: Der hat ja gar keine Ähnlichkeit mit mir. Aber ich meine es völlig ernst, wenn ich sage: Er spielt die Rolle ganz toll. Ich bin ein sehr ruhiger, zurückhaltender Mensch, und das sehe ich auch bei Tawfeek. Durch ihn habe ich alle glücklichen und traurigen Momente noch stärker mitgefühlt.

 


Wie war es, Ihre Schwester auf der Leinwand zu sehen?


Ich vermisse sie sehr. Tatsächlich war meine Schwester herzkrank. Sie liebte es, mich auftreten zu sehen. Sie wollte, dass ich ein berühmter Sänger werde. Die Filmszenen im Krankenhaus gehen mir besonders nahe. Ich habe meine Schwester noch vor Augen, als wäre das alles erst gestern passiert. Sie war nur ein Jahr älter als ich, und wir waren wirklich gute Freunde. Aber so ist das Leben.

 


Hätten Sie sich in EIN LIED FÜR NOUR gern selbst gespielt?


Ehrlich gesagt, nein. Ich bin Sänger und möchte den Kurs, den ich eingeschlagen habe, auch nicht verlassen. Aber nachdem ich den Film nun gesehen und inzwischen noch ein wenig weitergesungen habe, wäre ich schon neugierig darauf, in einem Film mitzuspielen.


Sind Sie denn ein Film-Fan?


Oh ja. Mein Lieblingsfilm ist „Braveheart“. Den habe ich mir ganze Nächte lang immer wieder angesehen, wirklich wahr. Ich liebe dieses Genre.

 


Wie hat „Arab Idol“ Ihr Leben verändert?


Das war das größte, wichtigste Ereignis in meinem Leben – und wird es wohl auch immer bleiben. Selbstverständlich war es überwältigend, als ich gewonnen habe, aber auch zweischneidig. Ich hatte meinen großen Traum verwirklicht. Ich wollte singen, und nun sangen die Menschen in der ganzen arabischen Welt meine Lieder. Wenn ich auf der Straße Fans treffe und sie grüßen mich – es gibt nichts Schöneres, was will ich mehr? Der Nachteil ist, dass ich kaum noch Privatsphäre habe. Ich fühle mich verantwortlich und deshalb vielleicht manchmal älter, als ich bin.

 


Wo leben Sie inzwischen?


In Flugzeugen! Ich bin ständig auf Konzerttournee. Derzeit wohne ich in Dubai, aber ich war noch nie vier Wochen am Stück zu Hause.


In Ihrer Heimat sind Sie ein Symbol der Hoffnung.


Das ist auch eine Bürde. Es ist gut, den Menschen Hoffnung zu schenken – und sei es nur ein Funke. Seit ich bei „Arab Idol“ gewonnen habe, machen viele Palästinenser bei der Show mit – und sie sind wirklich starke Konkurrenz. Das gibt mir Hoffnung. Es zeigt, dass jeder seinen Weg gehen und sich nicht von äußeren Umständen abhalten lassen sollte. Nur aus diesem Grund bin ich heute da, wo ich bin.

 


Wissen Sie eigentlich, dass Sie aussehen wie Cristiano Ronaldo?


Ja, das höre ich nicht zum ersten Mal. Und der Vergleich ist mir recht: Ich bin ein Riesenfan von Real Madrid!

 

Foto: (c) thenational.ae

 

Info: Abdruck aus dem Filmheft