Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. Dezember 2016, Teil 6

Filmheft

Berlin (Weltexpresso) – Das folgende Interview mit Produzent, Autor und Regisseur Werner Herzog entnehmen wir mit Vergnügen dem Filmheft. Es zeigt, wieviel Vorbereitungsarbeit hinter diesem Thriller SALT AND FIRE steckt.


Allgemein stehen Sie für eine gewisse „Kühnheit“ beim Filmemachen, für einen radikalen Zugang zum Erzählen. Empfinden Sie sich selbst als außergewöhnlich mutig?

Es gibt keinen Plan, nach dem ich besonders kühn vorgehe, die Gegebenheiten sind immer relativ einfach: Ich stoße auf eine Geschichte, von der ich sofort weiß, dass sie etwas ganz Besonderes ist, und will sie unbedingt verfilmen. Dann stellen sich Fragen wie „Wo sind die Widerstände?“ und „Welche Risiken gibt es“? In dieser Hinsicht sind meine Grenzen vermutlich weiter nach vorne verschoben als bei anderen.


Welche Größe und Grenzen haben Sie zu SALT AND FIRE motiviert? Welche besondere Relevanz sahen Sie in der literarischen Vorlage?

Wenn ich über etwas wie „Aguirre, der Zorn Gottes“ oder „Grizzly Man“ stolpere, weiß ich, dass das etwas ganz Großes ist, etwas, das ich anpacken muss. Die Story „Aral“ von Tom Bissell hat mich sofort beeindruckt, auch wenn im Film nur die Ausgangssituation übrig geblieben ist: Eine mysteriöse Aktion, bei der drei Wissenschaftler entführt werden. Die Kurzgeschichte bezieht sich auf den Aralsee, der völlig ausgetrocknet ist und eigentlich  gar nicht mehr existiert. Ganze Fischereiflotten sitzen auf dem Sand und rosten vor sich hin. Das alleine fand ich faszinierend, ansonsten geht Bissell in seiner Erzählung lange nicht so weit, wie ich es für den Film gedacht habe.


Hatten Sie überlegt, am Originalschauplatz zu drehen?

Das war tatsächlich meine erste Wahl. Ich bin nie dort gewesen, habe aber meinen besten Mann, Szenenbildner Ulrich Bergfelder, nach Kasachstan geschickt. Er berichtete von fast unmöglicher Logistik, einem 400 Kilometer entfernt liegenden Hotel, chinesischen Konsortien, die die gestrandeten Schiffe in Altmetall zerlegen und anderen Widrigkeiten. Der Schauplatz sei sterbenslangweilig geworden. Hier zeigt sich, wie ich Risiken angehe: Wenn etwas so schwierig wird, dass es den Film beeinträchtigen würde, gehe ich gedanklich in eine andere Richtung. Das führte mich diesmal in die Salzwüste Boliviens.
Begleitet haben sie jahrelange Weggefährten – in einer neuen Produktionskonstellation. Das ergibt sich bei jedem meiner Projekte neu und sorgt für neue Frische, neue Elemente. „Königin der Wüste“ spielte in Marokko, es waren viele lokale Crewmitglieder involviert. Diesmal hatten wir einen Partner aus Mexiko, der sich bestens in Bolivien auskannte.


Was hat Sie zu der Besetzung der Hauptrolle mit Veronica Ferres inspiriert?

Ich bin der Ansicht, dass sie der einzige weibliche Star ist, den wir in Deutschland haben.
Was macht ihre Star-Qualitäten aus? Das kann man sehr schwer beschreiben. Was machte Marilyn Monroe zum Star? Man merkt es sofort, ohne sich um Definitionen bemühen zu müssen.

Gleichzeitig ist Veronica auch eine großartige Schauspielerin, was aufgrund ihrer Starqualitäten leicht übersehen wird. In den Filmen, die sie bisher in Deutschland gemacht hat, war sie meiner Meinung nach nicht angemessen gefordert.


Diese Herausforderung hat sie bei Ihnen bekommen?

Ich glaube nicht, dass sie in irgendeinem ihrer anderen Filme besser war. In ihrer Rolle als Wissenschaftlerin fühlt sie sich plötzlich einer Grenzsituation ausgesetzt, in der ihr ihre Daten nicht mehr weiter helfen können. Damit versetzt der Film sie und auch die Zuschauer in eine völlig neue Situation. In der Salzwüste, wo sie mit zwei blinden Jungen ausgesetzt ist, wird ihr klar, dass nicht alles organisier- und regelbar ist. Überhaupt kann man kann nie vorhersehen, was als nächstes passiert. Bei Hollywoodfilmen ist von der fünften Minute an klar, wie sich die Story entwickeln wird. SALT AND FIRE ist schwer ausrechenbar – das wollte ich bereits mit seiner Struktur zeigen.


Welche Art von Regie haben Sie für die beiden Jungen gebraucht?

Bei jedem Film braucht jeder Darsteller einen eigenen Zugriff, eine eigene Hand und eine eigene Sprache, in der ich mich verständlich mache. Mit den Jungs ging das ganz einfach, ich hatte sie schnell auf meiner Seite. Das hat sich schnell auf Veronica übertragen. Man musste diesen beiden Jungen ihre eigene Art lassen. Darauf musste sie reagieren können und machte es klasse. Ihre eigene Erfahrung als Mutter half. Sie ist sozusagen frisch von der Arbeit, eine Tochter großzuziehen, zur Aufgabe gekommen, zwei blinde Jungen in der Einsamkeit einer Salzwüste durchzubringen.


Was hat Sie bewogen, den „echten“ Wissenschaftler Lawrence Krauss als Mitglied des Entführerteams zu besetzen?

Ein sehr intelligenter Mann mit intensiver Außenwirkung - ganz abgesehen davon, dass er tief denkender Mensch und Kosmologe ist. Er hat das, was auch einen Schauspieler essentiell ausmacht. Man muss solche Leute in einer Menge von Menschen auch erkennen! Er fiel mir immer auf, natürlich auch „Zack“ Michalowski und Gael García Bernal. Es hilft ja nichts, einen oder zwei Stars zu haben, entscheidend ist der Kontext, die Chemie der Figuren auf der Leinwand. Das macht auch Casting aus. Aus dieser Kenntnis heraus griff ich auf jemanden zurück, der eigentlich Kosmologe und theoretischer Physiker ist – um einen Bösewicht zu besetzen.


„Angst ist nicht länger in ihrem Vokabular“, sagten Sie bei der Premiere. SALT AND FIRE handelt dennoch von einer schwelenden Naturkatastrophe und einer globalen Gefahrensituation.

Es handelt sich um eine fiktive ökologische Katastrophe und fiktive Landschaften, die der Fantasie entsprungen sind. Man kann sie natürlich auf die Austrocknung des Aralsees, die Ausweitung der Wüste in der Sahel-Zone und vieles mehr zurückführen.


Foto: (c) comingsoon.net

Info: aus dem Filmheft