Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. Dezember 2016, Teil 11

N.N.

Los Angeles (Weltexpresso)  -  Ein weiteres Thema des Films liegt ihm besonders am Herzen, gibt Ford zu: „Mich reizte die Auseinandersetzung mit dem Thema Maskulinität in unserer heutigen Kultur und Gesellschaft sehr. Sowohl Edward als auch sein Alter Ego Tony besitzen die stereotypisch männlichen Eigenschaften nicht, die gerade von Helden immer wieder erwartet werden. Am Ende allerdings triumphieren sie beide trotzdem.

Auch ich entsprach in meiner Jugend in Texas so gar nicht dem, was als klassisch maskulin galt, worunter ich häufig gelitten habe. Ich fühle mit Tony und Edward mit und gerade ihr Durchhaltevermögen spricht mich sehr an.“


Die Geschichte innerhalb der Geschichte, die auch im Film die Erzählung vorantreibt, ist von einer Spannung durchzogen, die den Atem stocken lässt. Im Rückblick scheint es beinahe so, als sei sie eigens für einen packenden Kinofilm geschrieben worden. Letztlich ist in der Leinwand-Adaption allerdings vor allem das Bedürfnis der Figuren danach, bestimmte Kapitel ihres Lebens zu einem Ende zu bringen, der Motor der Geschichte. Einige von ihnen haben dafür schon alles in die Wege geleitet, bevor wir ihnen begegnen. Andere sehen sich unbeabsichtigt dazu genötigt.


Schon in A Single Man ging es darum, auf eindringliche Weise die Auswirkungen von Erkenntnissen und Entscheidungen des Protagonisten zu zeigen. Doch NOCTURNAL ANIMALS ruht nun auf den Schultern von gleich drei Figuren, die wiederum nur von zwei Darstellern verkörpert werden. Dafür suchte Ford nach zwei Schauspielern, die sich nicht nur beim Publikum, sondern auch im Verkörpern einer ganzen Bandbreite von Emotionen bereits etabliert hatten.


Für die mehrfach Oscar®-nominierte Amy Adams begeisterte sich der Filmemacher vor allem „dank ihrer spektakulären Fähigkeit, auch ohne Dialog Gefühle zu transportieren, einfach über ihr Gesicht und ihre seelenvollen Augen. Amy ist wirklich eine großartige Schauspielerin. Irgendetwas in ihrem Blick wirkt einfach ungekünstelt und wahrhaftig. Mir war es wichtig, dass Susan sympathisch herüberkommt. Gerade weil es so einfach wäre, sie zu hassen, schließlich hat sie – wie sie selbst sagt – alles und ist trotzdem unglücklich. Sie hat im Leben einen Weg eingeschlagen, der entgegen ihrer wahren Natur verläuft. Letztlich
ist sie ein Opfer ihr Herkunft und Erziehung und dessen, was in unserer Welt häufig von Frauen erwartet wird.


Über weite Strecken des Films sehen wir nur, wie Susan liest und stumm auf das Gelesene reagiert“, führt Ford aus. „Genau in diesen Szenen zeigen sich meiner Meinung nach die außerordentlichen darstellerischen Fähigkeiten von Amy Adams. Ihre Darstellung ist durch und durch ehrlich und sie hat sich auf eine Weise in Susans Schmerz eingefühlt, durch die wir sie nicht hassen, sondern Empathie empfinden. Ihr Spiel ist unglaublich subtil und nuanciert, dabei ist ihre Rolle eigentlich die schwierigste des ganzen Films. Denn sie kann sich weder auf große Gesten noch auf sonderlich viele Worte verlassen um zu zeigen, was in ihrer Figur vorgeht.“


Schon in Filmen wie The Master oder American Hustle hatte Amy Adams bewiesen, dass sie es schafft, ihren Figuren eine Vielzahl von Grautönen abzuringen, aber dennoch den Zuschauern als Identifikationsfigur zu dienen. Dadurch, so Ford, war es für sie auch ein Kinderspiel, „Susan mit jeder Menge komplexen, auch widersprüchlichen Emotionen und Facetten zu zeigen, aber nach außen dennoch die ruhige, gefasste Oberfläche zu wahren“, wie Ford schwärmt.

Auch wenn sie noch nie gemeinsam vor der Kamera gestanden hatten, erschien ihm der ebenfalls Oscar®-nominierte Jake Gyllenhaal als idealer Gegenpart zu Adams. „Es ist ganz allgemein schwer, zwei etablierte und talentierte Schauspieler zu finden, die sowohl Figuren in ihren Zwanzigern als auch mit Anfang 40 verkörpern können“, meint Ford. „Jake und Amy aber gelingt das hervorragend und es ist wirklich meisterlich, wie sie mit winzigen Änderungen in ihren Manierismen und Sprachmustern schlagartig einen Altersunterschied herstellen konnten. Ich ziehe meinen Hut vor ihnen.“


Daran, dass Gyllenhaal auch die qualvoll herzzerreißenden Szenen der Geschichte innerhalb der Geschichte ohne Schwierigkeiten meistern würde, hatte sein Regisseur keine Zweifel: „Jake kam mir für die Doppelrolle von Edward und Tony in den Sinn, weil ich wirklich bewundere, welche Risiken er bei seiner Rollenwahl immer wieder eingeht. Hier ging es nicht nur um eine, sondern gleich zwei wirklich harte, emotional anspruchsvolle Rollen und ich hatte das Gefühl, dass er brillant darin sein würde. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht.“


Als Lieutenant Bobby Andes und Ray Marcus – zwei Nebenfiguren von enormer Wichtigkeit, die vermeintlich auf gegensätzlichen Seiten des Gesetzes stehen – verpflichtete Ford den Oscar®-nominierten Michael Shannon und Aaron Taylor-Johnson. Beide waren ihm mit ihrer Vielseitigkeit ins Auge gefallen, mit der sie immer wieder hinter Figuren unterschiedlicher Zeitalter, Milieus und Nationalitäten verschwinden. So weit geht ihre Wandlungsfähigkeit, dass es immer wieder passiert, dass sich Kinogänger nur mit Mühe daran erinnern, in welchen Rollen sie Shannon oder Taylor-Johnson zuletzt gesehen haben. In diesem Fall war dieses besondere Talent vor allem deswegen wichtig, „um diese Männer wirklich dreidimensional wirken zu lassen“, betont der Filmemacher. „Zwar existieren beide eigentlich nur als Figuren in dem Manuskript, das Susan liest. Doch sie mussten durch die Darsteller so wahrhaftig werden, dass sich nicht nur ihre Phantasie, sondern auch die Aufmerksamkeit des Kinopublikums kapern würden.“


Eine ganze Reihe weiterer hochkarätiger Schauspieler rundet das erlesene Ensemble von NOCTURNAL ANIMALS ab. Einige von ihnen waren letztlich nur ein oder zwei Tage am Set, doch Ford freute sich über die Gelegenheit, mit ihnen die Cameo-Auftritte zu echten Ereignissen zu gestalten. Er schwärmt von seinen Darstellern: „Ich bin wirklich ein Glückspilz, dass mir solche Schauspieler zur Verfügung standen. Armie Hammer etwa war wirklich brillant und hat Susans Ehemann Hutton Morrow perfekt verkörpert. Andrea Riseborough und Michael Sheen waren als Alessia und Carlos genau das moderne Paar, das ich beim Schreiben im Kopf hatte. Beide hatten ja wirklich nur relativ kurze Szenen zu ihrer Verfügung, doch das reichte ihnen, um sofort herüberzubringen, wer diese Figuren sind und dass sie eine gemeinsame Ebene mit Susan haben. Das war unglaublich hilfreich, um den Kontext von Susans Umfeld und ihrem Privatleben zu verstehen.“


Er fährt fort: „Laura Linney ist in ihrer einen Szene schlicht umwerfend und ihr und Amy in dieser Restaurant-Rückblende zuzusehen, war ein einziges Vergnügen. Eine tolle Leistung lieferte auch Isla Fisher ab, die das Publikum wirklich überraschen dürfte. Denn man kennt sie ja in der Regel aus eher komödiantischen Rollen, dabei zeigt sie hier, dass sie auch eine hervorragende dramatische Schauspielerin ist. Karl Glusman ist als Lou richtig Furcht einflößend und trotzdem nuanciert. Seine eigene Persönlichkeit könnte kaum weiter entfernt von dieser Rolle sein, was für mich immer ein Zeichen für die Qualität eines
Schauspielers ist. Ellie Bamber ist nicht nur eine echte Schönheit, sondern wird auch darstellerisch mal eine ganz Große sein. Als India verströmte sie geradezu jugendliche Unschuld und Authentizität, die das besagte Verbrechen noch erschreckender macht. Und dann war da auch noch Rob Aramayo, der sich ebenfalls als vielversprechender Nachwuchsdarsteller empfiehlt.“

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Die überraschendste Erfahrung beim Filmemachen sei bei A Single Man die im Schneideraum gewesen, gibt Ford im Rückblick freimütig zu, doch nicht zuletzt deswegen hatte er für NOCTURNAL ANIMALS von Beginn eine Vorstellung davon, wie er gemeinsam mit Sobel den Film formen könnte. „Joan ist meine engste Mitarbeiterin, denn ich bin von der alten Redensart überzeugt, dass ein Film so wirklich erst im Schnitt entsteht“, erklärt er. „Sieben Monate saßen wir beide Seite an Seite in einem dunklen Raum in meinem Londoner Büro und schnitten den Film. Und was soll ich sagen? Joan ist wirklich eine Meisterin. Wir teilen die Liebe zum Kino und viele Lieblingsfilme, deswegen konnte es schon passieren, dass wir uns im Schneideraum in lange Gespräche über Filme verstrickten, für die wir beide mit Leidenschaft brennen“, fügt der Regisseur hinzu. „Joan hatte entscheidenden Anteil daran, NOCTURNAL ANIMALS auf der Leinwand zum Leben zu erwecken, und ich kann es nicht erwarten, bald wieder für sieben Monate mit ihr in diesem dunklen Raum zuverschwinden.“


Besonders stolz ist Ford letztlich darauf, dass NOCTURNAL ANIMALS für das Publikum nicht nur ein faszinierender, spannender Blick auf die Figuren und die Entwicklung ihrer Geschichten ist, sondern im Idealfall einer in die eigene Psyche. Zumindest, so sagt er, „würde ich hoffen, dass die Zuschauer offen dafür sind, sich in meinem Film mit mehr als einer Figur zu identifizieren.“

Foto:  Die beiden Hauptdarsteller Amy Adams und JakeJake Gyllenhaal, der ihren ersten Mann in den Rückblenden spielt, aber auch den Helden in den Filmsequenzen, die die Handlungen im von ihm geschriebenen Buch zeigen (c) Verleih

 

Info:

BESETZUNG


Rolle Schauspieler Synchronstimme
Susan Morrow AMY ADAMS Giuliana Jakobeit
Tony Hastings JAKE GYLLENHAAL Marius Clarén
Edward Sheffield JAKE GYLLENHAAL Marius Clarén
Bobby Andes MICHAEL SHANNON Oliver Stritzel
Ray Marcus AARON TAYLOR-JOHNSON Alexander Doering
Laura Hastings ISLA FISHER Maria Koschny
Lou KARL GLUSMAN Patrick Roche
Hutton Morrow ARMIE HAMMER Sascha Rotermund
Anne Sutton LAURA LINNEY Katrin Fröhlich
Alessia ANDREAS RISEBOROUGH Anna Grisebach
Carlos MICHAEL SHEEN Markus

 

Buchvorlage: Austin Wright, Tony § Susan, Luchterhand Literaturverlag 2012

 

Foto:  Die beiden Hauptdarsteller Amy Adams und JakeJake Gyllenhaal, der ihren ersten Mann in den Rückblenden spielt, aber auch den Helden in den Filmsequenzen, die die Handlungen im von ihm geschriebenen Buch zeigen (c) Verleih

Info: Abdruck aus dem Filmheft Seiten 9, 10, 11