Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. Dezember 2016, Teil 10
N.N.
Los Angeles (Weltexpresso) - "NOCTURNAL ANIMALS zeigt uns, was es bedeutet, irgendwann mit seinen Lebensentscheidungen ins Reine zu kommen – und ist gleichzeitig eine Warnung, dass nichts, was wir im Laufe unseres Lebens tun, ohne Konsequenzen bleibt. In einer immer mehr von der Wegwerf-Kultur geprägten Welt, in der wir selbst unsere Beziehungen ohne mit der Wimper zu zucken einfach entsorgen, handelt diese Geschichte bewusst von Loyalität, Hingabe und Liebe.
Sie erzählt von der Vereinsamung, die wir alle spüren und davon wie wichtig es ist, die persönlichen Beziehungen wertzuschätzen, die uns im Leben Kraft geben." Tom Ford, Regisseur, Drehbuchautor und eigentlich ein berühmter Modedesigner.
ÜBER DIE PRODUKTION
Nach seinem von der Kritik gefeierten und mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten Debüt A Single Man ist NOCTURNAL ANIMALS der zweite Film von Regisseur und Drehbuchautor Tom Ford. Mit ihm nimmt er auf ebenso raffinierte wie mutige Weise die psychologischen und emotionalen Umbrüche im Leben von Männern und Frauen unter die Lupe, die – so gut es ihnen möglich ist – ihren eigenen Weg durchs Leben gehen.
NOCTURNAL ANIMALS handelt von einer Frau, gefangen zwischen ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart, die eine Geschichte ihres Ex-Ehemanns verschlingt – und gleichzeitig von ihr verschlungen wird. Einmal mehr konzentrierte sich Ford bei der Adaption des Romans „Tony & Susan“ von Austin Wright, aus dem Jahr 1993, deswegen gleichermaßen intensiv auf das geschriebene Wort und das bewegte Bild.
„Das Schreiben gehört zu den Aspekten des Filmemachens, die ich am meisten liebe. Während man am Drehbuch arbeitet, ist man noch ganz auf sich allein gestellt und der Film existiert zu diesem Zeitpunkt ausschließlich in meinem Kopf, in seiner perfektesten Form“, betont der Filmemacher. „Mein Schreibprozess beginnt zunächst damit, dass ich Bilder sammele, die ich mit den Figuren und ihrer Welt assoziiere: Orte, Innenaufnahmen, echte Menschen, die in diesen Welten leben. Dann fange ich an zu schreiben und integriere in das Drehbuch nicht selten konkrete Details, auf die ich bei meiner Foto-Recherche gestoßen bin. Mit beiden Welten, in denen NOCTURNAL ANIMALS spielt, bin ich außerdem persönlich enorm vertraut. Als jemand, der in Texas und New Mexico aufgewachsen ist, fiel es mir besonders leicht, den in West Texas spielenden Teil der Geschichte zu schreiben. Und auch die durchgestylte Welt, in der Susan in Los Angeles lebt, kenne ich nur allzu gut.
Ich male mir jeden Ton und jedes Bild im Vorfeld ganz genau aus und schreibe das dann nicht selten Aufnahme für Aufnahme auf“, fährt Ford mit Blick auf seine Arbeitsweise fort. „Wenn es dann schließlich ans Drehen geht, habe ich in der Regel schon fast alle Details ausgearbeitet, die ich auf der Leinwand einfangen will. Doch das Wunderbare an der Zusammenarbeit mit einem starken Produktionsteam und ebensolchen Schauspielern ist es, dass sich während der Arbeit gar nicht so selten spontan Dinge ergeben, die ich mir nie hätte ausmalen können. Das bereichert das Endprodukt natürlich meistens noch, deswegen finde ich es immer so wichtig, bei der Arbeit stets offen für Neues zu sein und sich einen frischen Blick zu bewahren. Selbstverständlich weichen die Momente, die auf diesem Weg entstehen, in der Regel von dem ab, was ich mir im Vorfeld am Schreibtisch vorgestellt hatte. Doch fast immer wird der Film dadurch nur noch komplexer und nuancierter!“
Weil es ihm nicht nur um das simple Motiv einer Geschichte innerhalb einer Geschichte, sondern um eine vielschichtige Untersuchung menschlichen Begehrens, Ehrgeizes und Schwäche ging, musste Ford sich noch einmal ganz anderen Herausforderungen beim Schreiben und Inszenieren stellen als bei seinem Debütfilm. Während es in A Single Man, der 1962 spielte, zwar etliche Rückblenden gab, ging es dabei letztlich doch ausschließlich um die Welt und Sichtweise eines einzigen Protagonisten. Im Gegensatz dazu mussten in NOCTURAL ANIMALS die Geschichten dreier Protagonisten miteinander verbunden und gleichzeitig voneinander ferngehalten werden.
Bei der Umsetzung seines Drehbuchs setzte Ford in NOCTURNAL ANIMALS auf visuelle Extreme um zu zeigen, wie isoliert und verloren die Protagonistin Susan Morrow wirklich ist. Doch er betont: „Wenn ich einen Film drehe, geht es mir nicht in erster Linie um die Gestaltung. Stil und Eleganz ohne Substanz dahinter sind bloß hohl und leer. Doch trotzdem achte ich sehr genau auf den Look eines Films, denn natürlich hängt er eng mit den Figuren und ihrer Geschichte zusammen. Die Kulissen und Kostüme verhelfen nicht nur dem
Publikum zu mehr Einsicht, sondern sind auch für die Schauspieler enorm hilfreich. Ein stimmiger Tonfall ist mir beim Erzählen der Geschichte sehr wichtig und natürlich muss die Gestaltung der Bilder Hand in Hand mit der Filmmusik und dem Sounddesign gehen, um
eine in sich geschlossene Welt zu kreieren. Ich war immer der Ansicht, dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte und Film ein wahrhaftig visuelles Medium ist. Im Idealfall kann man einen Film auch ohne Ton sehen und verstehen. Worte und Sprache sollten deswegen
immer nur dann zum Einsatz kommen, wenn sie wirklich nötig sind um die Geschichte voranzutreiben.
Trotzdem habe ich mir übrigens sagen lassen, dass ich sehr lange Szenen schreibe“, lacht der Filmemacher. „Mir ist das selbst noch nie bewusst aufgefallen, aber ich vermute mal, dass das an meinem Wunsch liegt, echte Verbindungen zwischen den Figuren herzustellen. Im echten Leben liebe ich nichts mehr, als ein wirklich gutes Gespräch, deswegen neige ich wohl dazu, immer wieder auch Szenen mit viel Dialog zu schreiben. Wobei die sich natürlich mit solchen abwechseln müssen, in denen das Publikum den Protagonisten nur dabei zusieht, wie sie wichtige Dinge tun, ohne dabei zu sprechen.“
Für die komplexe Adaption des Romans „Tony & Susan“ brauchte Ford eine ganze Weile und letztlich weicht sein Drehbuch zu NOCTURNAL ANIMALS an zahlreichen Stellen von der Vorlage ab, wie er erklärt: „Das Buch von Austin Wright ist wundervoll geschrieben, und die Geschichte ist wirklich großartig. Das Konzept einer moralischen Allegorie mittels eines Kunstwerks – also dem Buch innerhalb des Buches – empfand ich als ausgesprochen originell und raffiniert. Ich liebte es vom ersten Moment an und wusste sofort, dass dies der Stoff für einen tollen Film wäre. Es stellte sich dann allerdings heraus, dass es nicht unbedingt ein leicht zu adaptierender Roman ist. Ich brauchte eine ganze Weile, um mich zu entscheiden, was die beste Herangehensweise ist. Ein Buch und ein Film sind nun einmal fundamental unterschiedliche Dinge und eine allzu vorlagentreue Adaption funktioniert häufig auf der Leinwand nicht. Letztlich war es mir deswegen vor allem wichtig, jene Themen des Romans zu extrahieren, die mir besonders am Herzen lagen und diese dann für den Film besonders unter die Lupe zu nehmen und auszubauen. In diesem Sinne wird NOCTURNAL
ANIMALS dem Buch durchaus gerecht, auch wenn einige Elemente der Geschichte von mir hinzugefügt wurden und zum Beispiel das Setting ein vollkommen anderes ist.
„Tony & Susan“ ist über weite Strecken lediglich ein innerer Monolog und spielt somit in Susans Kopf“, ergänzt Ford. „Ich musste mir also Szenen ihres Lebens einfallen lassen, um die gleichen Gefühle und Eindrücke zu vermitteln, die es im Buch nur in ihrer Vorstellung
gibt. Ich hatte kein Interesse daran, den gesamten Film über eine Off-Erzählung spielen zu lassen, deswegen war die Herausforderung, Bilder zu finden, die ihre Emotionen auch ohne Worte verständlich machen. Abgesehen davon empfand ich Edwards Roman im Roman
thematisch ein bisschen zu vage, weswegen ich das für die Leinwand ein wenig zuspitzen wollte.“
Doch die Veränderungen, die er gegenüber der literarischen Vorlage vornahm, hatten auch andere Gründe, fährt er fort: „Zum Teil ging es da es da um ganz handfeste, praktikable Dinge, etwa was das Setting angeht. Der Roman wurde schließlich in den frühen Neunziger
Jahren geschrieben, als Handys natürlich noch kaum verbreitet waren. Um das Verbrechen, um das es hier geht, einigermaßen unverändert zu lassen, musste ich es in unserem Zeitalter der Smartphones und Online-Kommunikation in eine Gegend verlegen, in der
unsere Geräte keinen Empfang haben. Deswegen spielt dieser Teil der Geschichte nun im westlichen Texas statt im Nordosten der USA. Dort findet man auch heute noch Landstriche, wo mobiles Telefonieren unmöglich ist. Davon abgesehen kenne ich mich in der Ecke
ziemlich gut aus – und wie heißt es doch so schön: schreib worüber du Bescheid weißt.
„In ‚Tony & Susan“ sagt Edward Sheffield einmal, dass niemand je wirklich über etwas anderes schreibe als sich selbst. Das habe ich in den Film übernommen, denn ich gebe ihm dabei vollkommen Recht“, erklärt Ford weiter. „Jeder von uns sieht das Leben
durch seinen eigenen Filter. Wenn Edward seinen Roman NOCTURNAL ANIMALS schreibt, dann besteht der natürlich aus jeder Menge Details und Emotionen aus seiner Vergangenheit mit Susan. Die meisten davon habe ich mir ausgedacht, aber ich wollte hervorheben, dass Edward eine wirklich persönliche Geschichte geschrieben hat, die ohne Frage auf seinem Leben mit ihr basiert. Für sie dient sie als Erklärung dafür, was er angesichts ihres damaligen Verhaltens gefühlt hat.“ Der Filmemacher wartet auch gleich mit konkreten Beispielen auf: „In einer der Rückblenden sehen wir, wie Susan eine von Edwards Kurzgeschichten liest und fürchterlich gelangweilt ist. Er ist davon am Boden zerstört. Dass sie dabei auf einem roten Sofa liegt, brennt sich ihm ein und als er später in seinem Roman die Figur umbringt, die für Susan steht, platziert er ihre Leiche nicht ohne Grund auf einem roten Samtsofa. Oder nehmen wir das Auto des Mörders in seinem Buch: das ist ein grüner Pontiac GTO aus den Siebzigern, wie er auch in jener Rückblende zu sehen ist, in der Susan Edward verlässt. Solche Details aus ihrem gemeinsamen Leben haben sich in seinem Bewusstsein festgesetzt und finden sich so auch in seiner fiktiven Geschichte wieder. Genauso wie sich sicherlich viele Details aus meinem eigenen Leben in mein Drehbuch für diesen Film eingeschlichen haben.“ Fortsetzung folgt
Foto: Tom Ford (c) Verleih
Info: Abdruck aus dem Filmheft Seiten 6, 7, 8