Verfilmung durch Otto Schenk aus dem Jahr 1973, Teil 1/3

Helmut Marrat

Weltexpresso (Hamburg):  "Mit leisem Zauberschlag erscheint eine schmerzlich-süße Welt, voll freudig-schalkhafter Grazie, voll ironischer Melancholie, voll leiser, lachender Innigkeit. Sie ist von zartem Leichtsinn durchweht, von schwermütigem Zweifel umwittert, von holdem Betrug umspielt. Voll süßesten Elends und stummen Schluchzens. Schumann mag die Stimmung angeben;

doch bei näherem Hinhören umklingt sie in der Ferne, von Geigen gespielt, eine wiegende Walzermelodie, traurig-lustig (...) Alles flutet durcheinander: Innigkeit und Eleganz, Weichheit und Ironie, Weltstädtisches und Abseitiges, Lyrik und Feuilletonismus, Lebensraffinement und volksmäßige Schlichtheit, Österreichertum und Halbfranzösisches, Schmerz und Spiel, Lächeln und Sterben. (...) Das ist die unvergleichliche Hand Arthur Schnitzlers.", schrieb Alfred Kerr (1867 – 1948) anlässlich der "Liebelei"-Aufführung im Deutschen Theater Berlin im Februar 1896. - Auf den "Reigen" trifft diese Charakterisierung nicht minder zu.

 

Spannende Rezeptionsgsgeschichte

Alfred Kerr war es, der Schnitzler (1862 – 1931) riet, sein Stück nicht, wie ursprünglich geplant, "Liebesreigen" zu nennen, sondern lediglich "Reigen", da nicht die Liebe im Vordergrund stehe, sondern die Paarung. Über das fertige Stück schrieb Kerr: "Das Buch enthält Szenen. Jede zwischen einer Frau und einem Mann. Jedes Mal mittendrin eine Zeile von Gedankenstrichen (...) Ein Mann, welcher die seelische Magie der Liebe in anderen Werken leise walten ließ, giebt hier lächelnd die Komödie der unteren Zonen. Er zeigte früher die Herzen: diesmal die ... Willenscentren. Einst hob der diable boiteux" – der 'hinkende Teufel' - "die Häuserdecken ab; Schnitzler nur die Bettdecken. - Es ist ein wundervolles Buch. Sein Wert liegt in den Lebensaspekten und der komischen Gestaltung. Die komische Kraft ist ein neuer Zug bei Schnitzler. Er hat eine Schauspielerin auf zwei, nicht immer geschlossene Beine gestellt, deren Wesen in dunklen Situationen erschütternd wirkt. Er giebt einen kostbaren Poeten, der sich pseudonym Biebitz nennt und das süße Mädel als Unterlage für Betrachtungen ansieht. Man schreit beim Lesen. Es ist ein kleines Dekameron unserer Tage. Die Vergänglichkeit, auch des unterirdischen Lebens, klingt durch das Ganze. Nichts rascher, meint Lessings Faust, als der Übergang vom Guten zum Bösen. Vielleicht giebt es Rascheres; in Hogarths zwei Bildern 'Before' und 'After' ist es dargestellt. Bei Schnitzler auch." (Neue Deutsche Rundschau, Jg. 1900)

Das Stück wurde von Schnitzler in einem Privatdruck, da S. Fischer (1859 - 1934) seinen Verlag dazu nicht hergeben wollte – dort erschien der "Reigen" erst ab der 101. Auflage, 1931 –, von 200 Stück im Jahr 1900. - Erst drei Jahre später erschien das Stück im Wiener Verlag, wurde aber schon 1904 wieder in Deutschland verboten; ebenso übrigens in Polen. Bis dahin hatte sich das Buch aber bereits etwa 40 000 mal verkauft. - Eine erste Teil-Aufführung, als Vereinsaufführung vor der Zensur geschützt, fand bereits im Juni 1903 in München statt; dafür wurde dann anschließend vom bayrischen Kulturminister der ganze Verein aufgelöst. 

Eine von Schnitzler nicht authorisierte Aufführung fand im Münchner Kabarett "Die elf Scharfrichter" noch im selben Jahr statt. Eine Lesung des Stückes, die Hermann Bahr (1863 - 1934) in Wien veranstalten wollte, wurde polizeilich untersagt; während eine parallel dazu in Breslau veranstaltete Lesung ohne Schwierigkeiten vonstatten ging. - Die Uraufführung war in Deutschland erst nach dem 1. Weltkrieg möglich, - in Budapest hatte es eine Aufführung in ungarischer Sprache gegeben -, und dann auch da nur mit großen Schwierigkeiten und letztlich der Übertretung des polizeilichen Aufführungsverbots. Sie fand am 23.12.1920 im Berliner Kleinen Schauspielhaus statt, dem Vorstellungssaal der Hochschule für Musik in der Hardenbergstraße, das zu der Zeit von der Reinhardt-Schauspielerin Gertrud Eysoldt (1870 - 1955) geleitet wurde. Kurz vor der Premiere war das Aufführungsverbot ergangen. Die Eysoldt trat vor den Vorhang, erläuterte dem Publikum den Umstand und verkündete, - gleichwohl für die Freiheit der Kunst eintreten zu wollen! Obwohl das Aufführungsverbot am 3.1.1921 aufgehoben wurde, weil die Richter sich die Aufführung angesehen und sogar als eine "sittliche Tat" eingestuft hatten, kam es im November 1921 doch zum "Reigen"-Prozess, der für alle Beteiligten mit Freispruch ausging. -

Zwischenzeitlich hatten "Reigen"-Aufführung in Hamburg, Königsberg, Leipzig, Hannover, Frankfurt am Main sowie in Paris und auch in Norwegen ohne größere Schwierigkeiten stattgefunden. Eine Aufführung am Münchner Schauspielhaus wurde indessen im Februar 1921 verboten. Ein Aufführungsverbot erging auch 1923 in den USA; 1926 in Budapest; 1928 in Teplitz/Böhmen/Sudetenland. - Im Februar 1921 war der "Reigen" auch in Wien gezeigt worden – und löste antisemitische Stimmungen aus, Saalschlachten und einen Theaterskandal. Schnitzler wurde als Pornograph beschimpft, als "jüdischer Schweineliterat".

Schon Schnitzlers Schulkamerad und Freund Richard Beer-Hofmann (1866 – 1945) hatte, nachdem er das Stück kennengelernt hatte, geäußert, Schnitzler habe damit sein "erectiefstes" Werk geschrieben; während Hugo von Hofmannsthal (1874 – 1929) ihm schrieb: "Denn schließlich ist es ja Ihr bestes Buch, Sie Schmutzfink." - Das waren eher graduelle Unterschiede; aber manchmal entscheiden eben nur Grade. --- Jedenfalls war Schnitzler die Streitereien um sein Stück leid – und untersagte alle weiteren Aufführungen. Sein Sohn Heinrich (1902 - 1982) verlängerte dieses Verbot über den Tod des Vaters hinaus. Bis zum 1.1.1982 blieben Theateraufführungen des "Reigen" verboten. - Daher gab es 1982 sofort eine fast explosionsartige Häufung von "Reigen"-Inszenierungen. Die ersten – nämlich Basel, München Manchester, London - starteten bereits in der Silvesternacht 1981/82; Basel genau um 0:25 Uhr am 1.1.1982! - Es folgten das Residenztheater München; das Schillertheater Berlin; das Schauspiel Frankfurt und das Akademietheater in Wien ...

Fortsetzung folgt

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