Verfilmung durch Otto Schenk aus dem Jahr 1973, Teil 2/3

Helmut Marrat

Weltexpresso (Hamburg) - Aber es war möglich gewesen, das Theater-Aufführungsverbot im Film oder Hörspiel zu unterlaufen. Diese Möglichkeit ließen sich die Film- und Hörspiel-Regisseure selbstverständlich nicht entgehen. Den bekanntesten "Reigen"-Film schuf Max Ophüls (1902 – 1957), in dem er das Perpetuum Mobile des Stückes (und Titels) darstellte, indem er einen Erzähler einführte, der auf einem Karussell sitzt und immer wieder überleitend und kommentierend ins Geschehen eingreift.

Dieser Kommentator wurde von Adolf Wohlbrück (1896 - 1967) gespielt. 

 

Die Otto-Schenk-Version

Diesen Gedanken des Karussells hat auch Otto Schenk (*1930) für seine Verfilmung aufgegriffen, wenn auch nur für die Schriftzüge des Abspanns, die wie auf einer Walze durch das Bild gedreht werden. - Diese Verfilmung entstand 1973, sozusagen im Zuge der sexuellen Revolution, ohne jedoch je plump-anstößig zu werden, und ist hoch besetzt! - Vertrieben wird sie durch die österreichische Künstler-Agentur Georg Hoanzl GmbH (gegründet 1991). - Die Musik zu dieser Verfilmung komponierte Francis Lai (*1932), der durch seine Filmmusik zur "Love Story" (1970) weltberühmt wurde. Schenk hat seinen Film durchweg mit österreichischen Schauspielern besetzt. Nur zwei, eigentlich schon drei internationale Stars erweitern diesen Rahmen: Sidney Rome (*1951), die in Akron/Ohio geboren wurde und in Upper Sandusky/Ohio aufwuchs (woher auch die von Marilyn Monroe gespielte Figur 'Sugar Kane' aus Billy Wilders "Some like it hot"/"Manche mögen's heiß" stammt); Maria Schneider (1952 – 2011), die durch Bernardo Bertoluccis (*1940) "Der letzte Tango von Paris" (1972) weltberühmt wurde; und schließlich Helmut Berger (*1944), der durch seine Zusammenarbeit mit Luchino Visconti (1906 – 1976) international bekannt wurde. Qualitativ stehen die österreichischen Stars den internationalen allerdings nicht nach.

Das ist eine sehr gute Verfilmung; satt; auch in den Farben; im Spiel der Schauspieler, der Kostümierung,; üppig auch in der Ausstattung und Auswahl der Drehorte. Otto Schenk hat sich da ziemlich genau am Theaterstück orientiert, ohne dass sein Film etwa 'abgefilmtes Theater' wäre! Es ist eine Verfilmung oder anders gesagt: eine filmische Umsetzung eines Theaterstückes. Ein Vorhang kann da nicht fallen; eine Kamera kann ausblenden. Peter Beauvais (1916 – 1986) verwandelte "Das weite Land" in einen Spielfilm mit Ausblendungen als optischen Zäsuren. Otto Schenk gibt, dem Stück entsprechend, einzelne Szenen, deren Personal sich jeweils in zwei Szenen überschneidet; mit Ausnahme der 'Dirne', die in der ersten und allerletzten (zehnten) Szene zu sehen ist und mit der sich der Kreis schließt. - 10 Szenen und 10 Figuren; jeweils 2 Figuren für 1 Szene, aber jede Figur taucht in je 2 Szenen auf. - Über jede Szene hat Schenk die jeweils auftretenden Figuren wie einen Titel über die beginnende Szene gesetzt.

Befindet man sich ganz zuerst in einem unfertigen Eisen- oder Vorortbahntunnel? Mit schwacher Beleuchtung und zahlreichen Kabeln an den Wänden entlang geführt? Nein, man befindet sich auf einer kastenartig gebauten Brücke, der Augartenbrücke in Wien, und sieht, wie die 'Dirne' den 'Soldaten' anspricht. Otto Schenk hält die Szenen auf einer Mitte zwischen Dokumentar- und Spielfilm. Gertraud Jesserer (*1943) gelingt der Ton der 'Dirne' nicht ganz; sie bleibt etwas steif-zurückhaltend, zu fein, zu kultiviert, zu bürgerlich, sogar zu prüde, auch wenn sie alles spielend zeigt, was darzustellen ist. Denn der Film Otto Schenks behandelt die delikaten Stellen anders, als es das Theaterstück tut: Dort wird gewissermaßen das Techtelmechtel und Vorspiel gezeigt, auch das 'Danach', aber der eigentliche Akt wird nicht dargestellt, ist im Buch durch eine Reihe von Strichelchen nur angedeutet.

In Schenks Verfilmung wird der Akt durchaus gezeigt. Nicht bis ins Pornographische gehend; nicht einmal ausreichend für einen Sex-Film; aber doch so weit, dass keine Frage mehr an das wo und wie offen bleibt. - So auch hier: Man sieht, wie sich die Jesserer auf die Uferböschung unterhalb der Brücke legt, wie sie ihren Rock hochzieht, wie sie dann etwas später ihr eines Bein über den Rücken des Soldaten legt; aber es kommt keine erotische Spannung dabei auf, dazu ist es zu technisch praktiziert.

Den 'Soldaten' spielt Hans Brenner (1938 – 1998), der noch kurz vor seinem Tode in dem Breloer-Film "Todesspiel" (1997) bleibend beeindruckend Hans Martin Schleyer spielte; Hans Brenner trifft den Ton durchaus, den eiligen Soldaten, der rechtzeitig in der Kaserne zurück sein muss, aber nichts dagegen hat, kurz davor noch ein Liebesangebot anzunehmen. In der Szene mit der 'Dirne' sieht man ihn vor allem an. - In der nachfolgenden Szene mit Synde Rome, dem 'Dienstmädchen', die er auf der Wiener Dauer-Kirmes, dem Prater, kennengelernt hat. Er tanzt heiß mit ihr, da gibt es keinen Zweifel, worauf er hinsteuert, zieht sie mit sich ins Grüne, da liegen allerorts schon sich vergnügende Pärchen am Boden. Er zeigt sie ihr, sie schreckt zurück, aber lässt sich dann doch mit ihm ein. Man kann sich eine laue Sommernacht vorstellen. Und es ist nichts dabei, so scheint's, schließlich tun alle es!

Die Szenen sind immer ähnlich gebaut: Der Weg bis zum Akt ist lang ausgeschmückt, dauert; Bedenken gilt es zu zerstreuen; oder überhaupt erst einmal die Aufmerksamkeit zu erregen, wie es zwischen dem 'Dienstmädchen' und dem 'jungen Herrn' im nächsten Bild der Fall ist. Der Soldat hat sie schnell verlassen, - hinterher tritt bei den meisten Paaren eine Entfremdung und Distanzierung auf -, und der Soldat eilt nun zu einer andern, vielleicht wieder einem Dienstmädchen, zu der, wie es im Stück heißt, 'mit dem schiefen Gesicht'. Er wird mit ihr tanzen, und wahrscheinlich noch einen zweiten Geschlechtsakt am selben Abend, wieder auf dem Rasen, erleben. Oder er begleitet seine fast schon Ehemalige doch noch nach Hause, wie er es ihr widerstrebend angeboten hat.

In der folgenden Szene sieht man sie, laut Stück, am Sonntag in der Küche sitzen und einen Liebesbrief an den Soldaten schreiben. Die Anstöße gehen im Stück vom 'jungen Herrn' aus, der sich über seinen Büchern langweilt und immer wieder – und in sich verkürzenden Abständen – nach dem Dienstmädchen ruft, sich ein Glas Wasser bringen lässt oder die Roulaux hinunterzulassen bittet, weil ihn das Sonnenlicht blende. Das sind natürlich auch Vorbereitungen. Schließlich bleibt nicht mehr offen, womit er sich nun beschäftigen möchte, und Sydne Rome und Helmut Berger spielen das recht gut. - Hier spielt aber auch die stilechte Einrichtung der Wohnung durch die Wiener Werkstätten eine nicht unwichtige Rolle. - Auch in der nächsten Szene, der mit der 'jungen Frau', die mit dem 'jungen Herrn' zum ersten Mal die Ehe bricht, sieht man Helmut Berger seinen internationalen schauspielerischen Rang nicht an. Er ist gut, deckend für die Rolle besetzt; aber Daniel Gélin (1921 - 2002), der in Max Ophüls' "Reigen"-Film den 'jungen Herrn' spielte, war um einiges besser, vor allem beweglicher.

 

Es ist daher folgerichtig, dass Otto Schenk die Aktivität hier an Sydne Rome übertragen hat; wie sie ja in der folgenden Szene ohnehin bei der 'jungen Frau' liegt. Diese wird von Senta Berger (*1941) gespielt – und ausnehmend gut gespielt. Sie lässt keine Wirkung aus: Schleier, Verhaltenheit, scheinbare Scheu, Neugierde, Spiel, Witz. Spielerisch liegt hier ein erster Höhepunkt im Film. Alle Beweglichkeit, ebenso gutgläubige Naivität wie auch Durchtriebenheit, bietend, aufbietend; nicht aber so, dass man betrübt feststellen müsste, die Schauspielerin sei hier etwa an ihre Grenzen geraten. Davon kann nicht die Rede sein. Früher hätte man gesagt, - beim Film gab es diesen Ausdruck, zumindest in Berlin -, sie liegt auf der Rolle. Hier in der Szene nun auf dem 'jungen Herrn', der sich als Versage entpuppt, bis sie denn doch Beer-Hofmanns Diktum vom "erectivsten" Stück Schnitzlers wahr macht.

Am besten ist Senta Berger immer, wenn sie Senta Berger spielt: Die alles verstehende, sanft lenkende, hervorragend aussehende Partnerin, Ehefrau und Mutter, milde, humorvoll und doch zielstrebig, ohne je laut oder gar penetrant zu sein. Auf der Bühne ist man verblüfft, ja betroffen über ihre einfache, fast primitiv-proletarische Ausstrahlung; da ist man auf einem Hinterhof in einem Wiener Arbeiterbezirk. Man ist verblüfft. Aber im Foyer dann, auf der selben Ebene, ist sie wieder die kultivierte, verständnisvolle, kluge, gebildete, bürgerlich-gutsituierte Frau, die Moderatorin Senta Bergers, eben also Senta Berger, die hier als 'junge Frau' fesselnd spielt.

Die Szene danach zeigt sie im ehelichen Doppelbett. Ihr 'Ehemann', Peter Weck (*1930), bekannt durch etliche nervös-aufgescheuchte Lehrer in zahlreichen Paukerfilmen der 1960er und 1970er Jahre, überzeugt ebenfalls. Spielt Umständlichkeit und moralischen Spagat. Dass er vor der Ehe seine Amouren hatte, wird zugegeben, ist auch der 'jungen Ehefrau' schon bekannt; Genaueres erfährt sie natürlich nicht von ihm. Er versucht die Liebe von der nur körperlichen Liebe fast so ähnlich zu scheiden wie Kleists Jupiter gegenüber seiner Alkmene im "Amphitryon" (um 1803); bedauert die berufsmäßigen Dirnen, spielt dagegen die eheliche Treue aus, - und seine Frau, die inzwischen auch die andere Seite kennengelernt hat -, staunt mitunter, wird zu Widerspruch gereizt, den sie natürlich allenfalls nur andeutet. Würde sie nicht so oft brachliegen, hätte sie kein Gefühl von Mangel; denn ihr Mann wendet sich ihr immer nur sporadisch zu, spricht davon, dass sie während ihrer Ehe schon mehrere Flitterwochen erlebt hätten, aber dass sie diese auch nur erleben könnten, wenn dazwischen wochenlange Pausen lägen. "Wochenlang" wird nicht ausgesprochen, das muss man sich denken. Fortsetzung folgt.

 

Foto: Österreich ist seine Schauspieler etwas wert. Überhaupt findet sich der gesamte Kulturbereich häufiger auf Briefmarken als in Deutschland oder der Schweiz. Hier also Senta Berger.