Verfilmung durch Otto Schenk aus dem Jahr 1973, Teil 3/3

Helmut Marrat

Weltexpresso (Hamburg) - Und die folgende Szene zeigt auch, dass der 'Ehemann' keineswegs selbst während dieser Ehe-Begattungs-Pausen selbst untätig sei: Er hat sich ein junges Mädchen aufgegabelt, im Text als das 'süße Mädel' bezeichnet, von dem man nicht viel erfährt, dass wohl vor allem einen Anhang sucht und damit mehr oder weniger jedem offensteht, nicht nur im einfachen Sinn, gespielt von Maria Schneider.

Sie setzt ihre Rolle aus dem "Letzten Tango" nahtlos fort: Das naive, anschmiegsame, natürlich auch hübsche Mädchen, das sich dabei nichts denkt, vorher nicht, nachher nicht; die Verkörperung des Weiblich-Zugänglichen, den Trieben sich hingebenden, eben wirklich süßen Mädchens, weniger triebhaft als sich hingebend, ein weiches Kissen für jeden Mann.  Das kommt in der Szene danach mit dem 'Dichter', Michael Heltau (*1933), noch deutlicher zum Ausdruck. Vor allem deswegen, weil Heltau temperamentvoll, fast aggressiv spielt, sie dadurch eine kaum begrenzbare Verletzlichkeit ausstrahlt, und das alles in einer Ruhe und bescheidenen Selbstlosigkeit, die berührt.  Miou-Miou (*1950) spielt 1974 in "Les Valseuses"/"Die Ausgebufften" ebenfalls eine jedem offenstehende Frau; aber aus völliger Gleichgültigkeit und Empfindungslosigkeit heraus.

Maria Schneider dagegen, durch ihre Rolle in "Der letzte Tango von Paris" gleichsam die Verkörperung von völliger sexueller Lust und Hingabe, grenzend an eine Schlampe, von der man annehmen würde, dass sie nie eine Ahnung gehabt habe, wie man das Wort 'Jungfrau' schreibt, gerade sie, sonderbar, hat im Leben genau den gegenteiligen Weg genommen. Sie hatte ihren sozusagen ganz einseitigen Erfolg nur sehr schwer verkraftet. Drogen- und Alkoholprobleme kamen auf. Ein Foto, aufgenommen auf einem Filmfestival 2001 in Paris, zeigt sie als gezeichnete, beschädigte, aber doch auch immer noch mädchenhaft wirkende Frau, die ernsthaft daran arbeitet, aus einer belastenden, schmutzigen Vergangenheit heraus zum Reinen zu gelangen. Maria Schneider ist dann früh an Krebs erkrankt und schon mit 58 Jahren gestorben. Sie ließ ihre Asche im Meer unterhalb des "Rocher de la Vierge", des "Jungfrauenfelsens", im atlantischen Ozean nahe Biarritz verstreuen.


Es ist aber auch über ihren Partner, Michael Heltau, noch etwas zu schreiben. In der Szene mit der 'jungen Frau' war mein Eindruck seines Spiels: "sehr künstlich, aber gekonnt. Mein erster Eindruck: Sebastian Koch." - Und über die Szene mit Maria Schneider: "Heltau spielt, wirkt fast brutal. Sehr fesselnd, weil unklar und zu allem, so scheint es, fähig." - Und etwas weiter: "Sehr gut und eindrucksvoll Maria Schneider, vor allem zusammen mit Heltau. - Heltau mit Erika Pluhar weniger gut; beide letztlich zu künstlich spielend und gegeneinander gestellt (...)"

Erika Pluhar (*1939) spielt die 'Schauspielerin', die zuerst mit dem Dichter, dann mit dem Grafen konfrontiert wird - "(...) wobei er in der Szene besser wirkt als sie. Er erinnert in seiner voraktigen Umständlichkeit an Peter Weck. - Die Pluhar nahm ihn als Partner wohl auch nicht ganz ernst. - Schon der Anfang der Szene am Fenster zum See zeigt, dass beide nicht gut miteinander spielen. Da fehlt es an Kontakt. Beide spielen isoliert. - Was bei ihr in der Szene, nein in beiden Szenen fehlt, ist das Spiel der 'Schauspielerin als Geliebte', also eine Doppelung. (Da ist Senta Berger ihr überlegen, auch in der bewussten Differenzierung des Spiels.)" - Was die Pluhar sehr gut spielt, so dass es einem nachgeht, ist der Akt selbst: Wie sie sich mit ihren Händen festzuhalten sucht, während 'es' geschieht, ist schon sehr gut beobachtet und gebracht und scheint Privates, private Selbstbeobachtung in die Darstellung deutlich einfließen zu lassen, ganz unabhängig hier vom Partner.

Helmut Lohner (1933 – 2015) spielt in Otto Schenks Film den 'Graf', der gleichzeitig Offizier ist. - "Helmut Lohner spielt mit der Pluhar besser zusammen, als es Heltau tat. Aber den 'Grafen', also den Klassenunterschied zur 'Schauspielerin', später zur 'Dirne', bekommt er nicht ganz hin (oder wurde ihm von Schenk nicht abverlangt)." Auch hier nämlich wäre das ein doppeltes Spiel: Der Herr Graf, der auf die attraktive Schauspielerin trifft. Sonderbar, immer denke ich an Senta Berger in dieser Rolle, die ja dabei Erika Pluhar spielt, aber sonderbar farblos hierin bleibt. "Da war Pauly Wessely um einiges besser. - Eine schöne Sequenz gibt es in dieser Szene zwischen Lohner und Erika Pluhar: Sie hat die Aufmerksamkeit, auch durch den Text, auf sich gezogen, und er hat nun einen bemerkenswerten Trick, sich die Aufmerksamkeit wieder zurück zu erobern, indem er mit seiner linken Hand – er wird von links gefilmt – über sein Haar streicht und diese Geste ausbaut zu einer nachdenklichen Bewegung an seiner Stirn, die seine Melancholie unterstreicht; und schon wechselt man als Zuschauer von ihr zu ihm über. - Lohner gewinnt dann wieder im Spiel mit Gertraud Jesserer, - im 10. und letzten Bild 'Graf – Dirne' -, die hier mehr das 'arme Mädel' als die 'Dirne' spielt. Übrigens hier die einzige Szene im Stück, in der kein Liebesakt angedeutet oder gezeigt wird. Ob er stattfand oder nicht, bleibt offen. Vielleicht. Nicht entscheidend. Die Möglichkeit besteht, das genügt." 

Die Szenen-Ausstattungen sind immer ganz naturistisch gegeben; oft hat man den Eindruck, man hat echte, zur Verfügung stehende Räumlichkeiten als Drehorte genutzt und nicht umständlich im Studio eine Wirklichkeit nachgebaut. Es ist ja ein Film und soll ein sich gut verkaufender unterhaltsamer Film, Spielfilm sein, den Schenk hier mit dieser auffälligen Star-Besetzung geschaffen hat.

Ganz rund ist das nicht geworden. Aber als Versuch mehr als achtbar! Und, - es soll nicht verschwiegen werden -, auch Max Ophüls' legendäre Verfilmung von 1950 hatte mancherlei Schwächen. - Vielleicht simmt auch irgendetwas an dem Stück nicht. Es dreht sich wie ein Karussell und bewegt sich doch nicht vorwärts! - Vielleicht ist nicht einmal das Bild des Reigens, des Karussells, der wiederkehrenden Umdrehung hilfreich. Vielleicht ist es ehr ein hierhin und dorthin Ins-Leben-Greifen in einer bedeutenden Stadt, die selbstverständlich nicht notwendig Wien heißen muss. Eine Durchquirlung des alltäglichen Lebens, in das hier und da hineingegriffen wird, schon etwas dekadent. "Der Reigen" ist auch mit einem erotischen Totentanz verglichen worden. So von dem Theaterkritiker Georg Hensel (1923 – 1996).

Das Verhalten der meisten Paare ist gleich, und hier ist auch der Punkt, der einzige Punkt, das Stück als "klassenlos" zu bezeichnen. Die Mädchen und Frauen sind erst abwehrend bis hinhaltend, die Männer dagegen erfindersich, tätig, verführend – vor dem Akt; nach dem Akt zeigt Schnitzler das gegenteilige Bild: Die Frauen wollen sich nicht so rasch trennen, werden anhänglich; die Männer suchen jetzt nach Distanzmöglichkeiten, Abstand zu gewinnen, sich zu trennen, ihr eigenes Leben weiterzuleben. Mit Variationen und Einschränkungen natürlich. Der 'Graf' der letzten Szene etwa hat das gar nicht nötig; die 'Dirne' liegt im Bett, ist zwar aufgewacht, aber wird noch einige Zeit weiterschlafen wollen, während er sich über die Geschehnisse der letzten Nacht durch ihre Erinnerungen nach und nach klar geworden ist, ihnen nachsinnt und sich auf den Weg nach Hause aufmacht, die Zeit noch nicht wieder ganz im Griff habend. Er grüßt die Aufwartefrau auf der Stiege mit "Gute Nacht" – es ist heller Morgen.

Ansonsten aber sind doch alle Figuren des Stückes genaue Vertreter ihres Standes. Und meist sind es 'schiefe Verhältnisse', die hier dargestellt werden. 'Soldat' und 'Dirne' im ersten Bild unterscheiden sich nicht wesentlich. 'Soldat' und 'Stubenmädchen' im zweiten nur leicht; das 'Stubenmädchen' hat durch ihre Tätigkeit Zugang zur Herrschaft, die dann im 3. Bild dargestellt wird. Dass der 'junge Herr' eben auch ein 'Herr' ist, also Teil ihres Arbeitsgebers, spielt für die Hingabe des 'Stubenmädchens' sicherlich eine Rolle.

Im 5. Bild begegnen sich der 'junge Herr' und die 'junge Ehefrau' wieder etwa auf einer Ebene, mit dem Unterschied, dass sie bereits, im Gegensatz zu ihm, verheiratet ist. Wie er später als Ehemann sein wird, zeigt der 'Ehemann' der 'jungen Frau', hier also der Übergang in das Haus der bürgerlichen Ehe. - Das 'süße Mädel' ist dagegen eine fast asoziale Figur, mit kleinbürgerlichem Hintergrund, der aber nicht wirklich in Erscheinung tritt. - Sie begegnet im 'Dichter' einem Intellektuellen, der sich vom Bohème-Leben im Übergang zum erfolgreichen Bühnenautor befindet. - Wäre er nicht erfolgreich und also zukunftsträchtig, die gefeierte Schauspielerin würde sich so leicht mit ihm nicht einlassen. - Vielleicht spielt sie mit dem Gedanken einer Heirat in den Adel hinein, also mit dem Ziel, nicht mehr arbeiten zu müssen; und insofern steht der 'Graf' ebenfalls über ihr; sozusagen als zweite oder später zukünftige Möglichkeit.

Damit ist gesellschaftlich die Höhe des Stückes erklommen – als der 'Graf' wieder auf die 'Dirne' trifft, und damit wieder auf die unterste Stufe und den Anfang des Kreiselspiels. - Dieses richtungslose, drehende Sich-Immer-Wiederholen, verbunden mit der Darstellung des seriell um sich greifenden Intimsten, hat die Zeitgenossen wohl vor allem auf den Plan gerufen und für die zahlreichen Theaterskandale gesorgt. Wäre das gesamte Stückpersonal am Ende wie durch eine Sintflut weggefegt worden, das moralische Gewissen hätte ruhig bleiben können. Hinweg gefegt wurde Schnitzlers Welt erst 1914, mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges.

Das schreibt sich so selbstzufrieden hin! Stimmt denn das überhaupt? Ist unser Blick zurück hier nicht ganz falsch? Denn die wesentlichen Theaterskandale erfolgten ja erst nach dem 1. Weltkrieg! Und sie veranlassten die Schnitzlers, das Stück für weiter Aufführungen für über 60 Jahre zu verbieten. Die Übergänge waren stufenweise. Aus dem Blickwinkel von vor 1914 gesehen war die Zeit bis zum 2. Weltkrieg wohl noch eher der Versuch, die Vergangenheit wieder aufleben zu machen, während sie uns heute, im Rückblick, als Vorstufe zu unserem 2. Nachkriegsleben erscheint. - Und letztlich war es die sexuelle Revolution der 1960er und 1970er Jahre, die jeden Anstoß an diesem Stück (oder auch Film) genommen hat; die uns der Anforderung an unser Verhalten und an unsere Moral enthoben hat, die die Zeitgenommen zwischen 1900 und, sagen wir, Anfang der 1970er Jahre noch so überbeanspruchte. Geblieben ist der Genuss am Spiel der Schauspieler, in dieser Hoanzl-Verfilmung von 1973 ganz bestimmt. Und Gedanken darüber, ob die Sexualität die Menschen ebenso klassenlos mache wie der Tod.    

Fotos: Maria Schrader in ihrem Welterfolg Der letzte TANGO von Paris  und fast dreißig Jahre 2001 später vor ihrem frühen Tod.