Arthur Schnitzler: "DAS WEITE LAND", ORF, 1969, Teil 1/3 

Helmut Marrat

Weltexpresso. (Hamburg) -  Die Erfahrung sagt: 'Männer schlafen mit anderen Frauen, um bei ihrer eigenen Frau bleiben zu können; Frauen schlafen mit einem anderen Mann, um ihren Mann verlassen zu können.' -- Dieser Umstand spielt eine wesentliche Rolle in Arthur Schnitzlers Theaterstück "Das weite Land" (von 1910).

Mit einer entscheidenden Abweichung, die die weibliche Hauptrolle betrifft. - Im Oktober 1911 wurde "Das weite Land" bereits am Wiener Burgtheater uraufgeführt. Es gehört zu Schnitzlers bekanntesten und am häufigsten gespielten Stücken. Auch Schnitzler selbst, wie man nachlesen kann, hielt das Stück für besonders gelungen. -- Das Stück dreht sich um Ehebruch, um Liebe und auch Liebelei, um Jugend und Älterwerden. Otto Brahm (1856 – 1912) verglich das Stück mit der Malweise des Pointilismus, einer Spielart und Weiterentwicklung des Impressionismus, also einer gekonnten Ansammlung von hingetupften Farb-Punkten, die erst im Auge des Betrachters ein fertiges Bild ergeben und so gekonnt durchaus, dass von skizzenhaften Szenen nicht mehr gesprochen werden kann. 

Was geschieht eigentlich? Man erfährt zuerst von einem Selbstmord. Der junge Pianist Korsakow hat sich überraschend erschossen. Der Film, um den es sich hier ja handelt, geht noch über die praktikablen Möglichkeiten des Theaterstücks hinaus und  zeigt zuerst die Beerdigung, unter strömendem Regen, mit schwarzen Regenschirmen. Das rote Auto dagegen des Bankiers-Ehepaars Natter - Nomen est Omen in diesem Stück bei Schnitzler - wird nur erwähnt, erscheint, wie auch im Stück, nur als akustischer Farbkontrast, um die Zeit nicht durch die technische Bestimmbarkeit festzulegen.

Und doch ist die Zeit natürlich festgelegt. Die Gartenanlagen und Gartenarchitekturen, die Art zu sprechen und sich zu bewegen, die Kleidung im weitesten Sinne, vor allem die Frisur Ruth Leuweriks (1924 - 2016), die die Genia Hofreiter, die weibliche Hauptfigur, spielt, sind satte 1960er Jahre. Die 68er-Revolution ist noch nicht gewesen oder hat diesen gutsituierten Vorort Wiens noch nicht erreicht. - Und es fragt sich, in diesem Zusammenhang ganz generell, ob ein Schauspieler überhaupt eine historische Figur je wirklich spielen kann, da er seiner eigenen Zeitverhaftung und Zeitgenossenschaft sich nicht entziehen kann, und daher alles, was er anfässt, aus dem Charakter seiner Zeit geboren sein muss. - Damit haben wir zu leben; und so ist jeder letztlich notwendig zeitverhaftete Ausgangspunkt zwar ein Handicap, aber vielleicht auch eine Chance, insofern als jede Zeit unterschiedlich frei mit der Materie umgehen kann.

"Das weite Land" ist mehrfach verfilmt worden. Bekannt ist die Aufzeichnung der Theaterinszenierung des Burgtheaters/Akademietheaters von 1959/60 mit Attila Hörbiger (1896 - 1987) als Hofreiter und (auch im 'normalen' Leben seiner Ehefrau) Paula Wessely (1907 - 2000) als Genia. Regisseur der Inszenierung war Ernst Lothar (1890 – 1974). Und es ist sehr schwer, da es sich um eine sehr gute Inzsenierungen handelte, sich von diesem ersten Eindrucksbild frei zu machen und eine andere Interpretation des Stückes gelten zu lassen. - Erst im zweiten Anlauf ist mir das gelungen. Der erste Versuch diente offenbar nur als Graben, der zwischen die Inszenierung von 1959 und die von 1969 gelegt werden musste, um wieder frei auf das spätere Werk blicken zu können. - Beiden Aufführungen haftet die Zeit ihrer Entstehung an, die jetzt, für mich, beide gleichberechtigt nebeneinander stehen, fast überwogen durch den Farbfilm von 1969. 

Peter Beauvais (1916 – 1986) hat diese filmische Umsetzung des Schnitzler-Stückes inszeniert, die 1969 vom ORF in Verbingung mit dem ZDF herausgebracht wurde. Sabine Sinjen (1942 – 1995), zu der Zeit mit Beauvais verheiratet, spielt in dieser Schnitzler-Verfilmung die junge Anbeterin und bald auch ansatzweise Geliebte Hofreiters, Erna Wahl.

Der Selbstmord Korsakows ist es nicht so sehr, der die Unruhe in die vorstädtische Wiener Ruhe und Beschaulichkeit bringt; der bleibt für die Gesellschaft, die sich, nun bei herrlichstem Sommerweter wieder, im Garten der Hofreiters an einem im Grünen angelegten Sitzplatz versammelt hat. Die Unruhe bringt der Ehemann Genias mit nach Hause. Hofreiter kommt aus der Stadt, "Küss die Hand!", Höflichkeit, fast Förmlichkeit gegenüber seiner Frau und Mauer, dem Arzt und Hausfreund, selbstverständlich, der sich bald empfehlen muss. Fortsetzung folgt

 

Foto: O.W. Fischer und Ruth Leuwerik