Ein schöner langer Abend bei der Premiere im CINEMA in Frankfurt
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Richtig. Filme sollen sich beim Zuschauen aus sich selbst erklären. Aber wie spannend, wenn man nach dem Schauen mit dem Regisseur Chris Kraus und seinem Hauptdarsteller Lars Eidinger darüber reden kann. Das ist bei diesem Film, der außergewöhnlich mutig, weil unkonventionell Menschen, die beruflich mit dem Holocaust zu tun haben, in ihre eigenen persönlichen Fallstricke wickelt, besonders interessant.
Vor dem Film und der Diskussion brachte nach der Vorstellung der Gäste Lars Ruppel einen hinreißenden Poetry-Slam, was am Thema: Parteiprogramm der AfD – in Erinnerung: Da brat mir einer den Storch - und seiner munteren Vortragsart lag, absolut ungewöhnlich im Kino, großer Beifall vom Publikum.
Der Film, der heute anläuft und gesondert besprochen wird, ist ausgesprochen komplex, bringt in Wechselwirkung Menschen zusammen, deren berufliches Interesse an der historischen Aufarbeitung der mörderischen KZs eben auch persönliche, will sagen familiäre Hintergründe hat, was schon aus solchen intrinsischen Motiven zu einer explosiven Situation unter dem filmischen Personal am Institut führt, das mit dem Frankfurter Fritz-Bauer-Institut sicher nur die Aufgabe der Holocaustforschung gemein hat, aber dennoch wird einem darüberhinaus einiges klar.
Zuerst allerdings muß ein Mißverständnis beseitigt werden. Dies ist kein Holocaustfilm. Dies ist ein Film über Menschen, die sich aus unterschiedlichen Gründen mit dem Holocaust – und seinen Folgen! beschäftigen. Und der Film ist eine Tragikomödie. Für die vielen Lacher müssen sich die Zuschauer nicht entschuldigen. Die sind gewollt und immer wieder bleiben sie ja auch im Hals stecken, aber vieles, was uns diese sich mühenden Menschlein zeigen, ist eben komisch, ja urkomisch.
In aller Kürze. Da haben wir den ganz schön durchgeknallten Totila Blumen, genannt Toto, Holocaustforscher. Wir lernen ihn kennen, als er seinen ihm gerade vorgesetzten Kollegen Balthasar Thomas (Jan Josef Liefers) – wo doch er dran gewesen wäre - , wüst zusammenschlägt, obwohl doch der große Kongreß vorbereitet werden muß, und das noch dazu im ehrwürdigen Institut, das der von allen verehrte Professor Norkus als angesehenes Forschungszentrum aufgebaut hatte. Daß der daraufhin stirbt, hat dramaturgische Gründe, denn jetzt müssen sich die Mitarbeiter um das Gelingen des internationalen Kongresses kümmern und was da alles an Schwäbischer Gemütsart über die Finanzierung vom in die Naziverbrechen verstrickten Autokonzern aus Stuttgart herauskommt, ist eben auch komisch.
Doch dies ist nur der eine Strang, den anderen verkörpert die aus Frankreich angereiste Studentin Zazie (Adèle Haenel), die bei Toto ihr Praktikum machen möchte, gleichzeitig mit seinem Intimfeind Balti eine Affäre hat. Übrigens sind beide Männer verheiratet und die Ehe von Toto spielt im Film auch eine große, vielleicht zu große Rolle. Wesentlich – und das ist die Essenz des Films – geht es darum, daß Zazie herausbekommt, daß ihre in Auschwitz ermordete Großmutter in der Schule in Riga Banknachbarin des Großvaters von Toto war, was im Fotoalbum so harmonisch aussieht. Der Großvater hatte alle jüdischen Mitschüler verraten und in den Tod gehetzt. Toto weiß schon lange davon, daß er aus einer Täterfamilie kommt, sein Bruder ist Neo-Nazi geblieben. Sicher einer der Beweggründe für seine Berufswahl als Historiker.
Wie geht die Enkelgeneration von Tätern und Opfern miteinander um? Hier geht es nicht um generelle Überlegungen, sondern in diese Situation geraten Zazie und Toto, in der sie sich, herrlich gespielt von Adèle Haenel, ineinander verlieben und vorübergehend ein Paar werden. Das Spiel der beiden, halb zog sie ihn, halb sank er hin, wird sehr glaubwürdig und auch die Sexszenen sind nicht aufgesetzt. Der Weg der beiden führt nach Riga, nachdem der Aufenthalt in Wien nötig war, um den verkrampften, vernagelten Toto aufzulockern. Und diese Rolle, zu der die Aggressivität als Ausdruck von Fremdheit im eigenen Körper und der eigenen Seele einfach dazu gehört, spielt Lars Eidinger eindrucksvoll, er spielt sie eben nicht, sondern verkörpert diesen Toto.
Kurz nur der Hinweis auf den Auftritt von Sigrid Marquardt, die die 90jährige Auschwitzüberlebende spielt, der ihre Karriere als Schauspielerin wichtiger ist, als das, was damals geschah, die auf dem Kongreß die Eröffnungsrede halten soll. Diese Szenen sind von messerscharfer Deutlichkeit, sie selber die große Schauspielerin, die in Grandezza den kleinen Wichten das Leben zeigt. Die berühmte Burgtheaterschauspielerin ist noch letztes Jahr gestorben, was dem Film auch insofern ein Vermächtnis gibt, weil sie zwar noch Theater spielte, aber 30 Jahre keinen Film gedreht hatte. Hier aber wollte sie mitwirken. Auch eine Art Liebeserklärung an diesen Film und seinen Regisseur und Drehbuchschreiber Chris Kraus, der in Frankfurt Rede und Antwort stand.
Erst einmal sprach er den persönlichen Hintergrund an, der für ihn diesen Film, an dem er mehr als zehn Jahre saß, nötig machte. In der Diskussion - das Publikum hatte nicht nur viel gelacht und in der Diskussion Beifall geklatscht, sondern sich auch sehr lebhaft an dieser beteiligt – ging es um alle Fragen, die des Filmemachens eben auch, wobei immer wieder vom Ton gesprochen wurde, besser von der Tonart, den dieser Film von anderen unterscheide. Kraus erläuterte sehr eindrucksvoll, wieviel man bei diesem Thema alles falsch machen könne. Immer wieder kam in den Beiträgen aus dem Publikum der Hinweis, daß man bestimmte Stellen oder auch die Personendarstellung als heikel empfunden habe, sich aber dann im Verlauf des Films besonnen habe, daß dadurch in den Film so etwas wie Wahrheit, die der Geschichte und die der Empfindungen gelange.
Auffällig war, wie zurückgenommen Lars Eidinger, auch im Raum mit seiner Strickmütze, war. Er antwortete zwar auf Fragen, aber überließ die Diskussion seinem Regisseur, wo sie in guten Händen war. Chris Kraus ist einer, der sich gut überlegt, was er tut.
Am diesem Sonntagabend sah ich den Film ein zweites Mal. Er hatte mir schon beim ersten Mal mit leichtem Schaudern gefallen. Schaudern, weil man sich an die Zusammenballung von Holocaust und einer Liebesgeschichte zwischen den Nachkommen erst einmal gewöhnen muß. Aber diese hat so gar nichts Versöhnlerisches oder Falsches an sich. Klar, daß sie nicht als Happy End ausgeht. Und gerade hier in den Abschlußszenen, wenn sich die beiden Protagonisten zufällig in New York über den Weg laufen, fragt man sich, wie der nun weich gespülte Toto – er blieb bei Frau und Kind – und die nun mit einer Frau lebenden Zazie eigentlich weiterleben. Geläutert, aber um die Emotionen gebracht? Auf jeden Fall wissen wir hier mehr als Toto, wenn Zazie mit ihrer Tochter, die sie ihm als Sohn vorstellt, ihrer Wege geht. Aber sein Blick zeigt, daß auch er ahnt, daß er der Vater ist. Bittersüß.
Sicher werde ich diesen Film noch ein drittes Mal anschauen. Mindestens. Es gibt soviel an filmischen Details zu entdecken, die man beim gespannten Zuschauen leicht übersieht.
Foto: Die beiden Forschenden bei der Vorbereitung des Kongresses an der Bilderwand (Adèle Haenel und Lars Eidinger