Arthur Schnitzler: "DAS WEITE LAND", ORF, 1969, Teil 3/3
Helmut Marrat
Weltexpresso. (Hamburg) - Die Spannung wird aber noch weiter aufgebaut. Es kommt zu mehreren Tennis-Matches. Schön heißt es naiv-doppeldeutig im Text, die Verhältnisse müssten endlich klar gestellt werden, - man hat ja den ganzen Sommer über Tennis miteinander gespielt, was bereits im II. Akt gezeigt wurde. Schnitzler stellt sie dann vor allem im menschlich-übertragenen Sinne klar.
Der Otto von Aigner, in der Liebe freizügig auf den Spuren seines ihm umgekannten Vaters weiterwandelnd, wird gespielt von Michael Heltau (*1933). Zuerst, wie bereits erwähnt, unauffällig, fast lästig und sperrig, ungelenk. Man käme nicht auf den Gedanken, einen künftigen Liebhaber vor sich zu haben. Dann aber, während seines Tennis-Matches mit Hofreiter, das ist auch sehr gut gefilmt!, kommt es zu einem wahren Schlagabtausch, einem hartneckigen Ball-Duell, das lange unentschieden bleibt. Die Kamera zeigt abwechselnd die hin- und hergehenden Bälle; vor allem aber die energischen, auf Sieg konzentrierten, fast feindseligen Blicke der beiden Kontrahenten des Spiels; vor allem die Augen Michael Heltaus fallen hier auf, weil er sich so überraschend aus seiner Deckung begibt und hier plötzlich zum wirklichen Gegenspieler Hofreiters geworden ist; eine Wandlung vom dabei sitzenden noch neutralen Jüngling zum Liebhaber, zum besitzenden Mann.
Stück und vor allem der Film sind hier in der Spannung stark gesteigert. - Das Tennis-Match nimmt das dann später erfolgende Duell im Ergebnis bereits vorweg. Hofreiter hat gewonnen. - Die Gruppe steht der Spieler und Zuschauer steht noch zusammen, Genia kommt aus dem Hintergrund heran, da provoziert Hofreiter Otto auf eine beleidigende, wenn vielleicht auch sogar wahre Weise, indem er ihn öffentlich, ihn, den Solaten, als "feig" bezeichnet. Auf Ottos Nachfrage wiederholt Hofreiter diese Charakterisierung noch einmal für alle vernehmlich. So kommt es zu Ottos Forderung. - Mauer, der die willentliche Provokation Hofreiters durchschaut hat und sich deswegen entziehen will, wird als Arzt zu dem unausweichlich kommenden Duell verpflichtet. Die Rolle wird von Walter Reyer (1922 - 1999) gespielt, der übrigens sechzehn Jahre später den Hofreiter in einer recht durchwachsenen Inszenierung am Berliner Schillertheater und Heribert Sasse (1945 - 2016) spielte. -- Natter, - von Helmut Qualtinger (1928 – 1986) schwer greifbar, schmierig und gleichzeitig wie ein negativer Felsblock gespielt, - bei Wikipedia kann man sehen, dass Qualtingers Grabstein ebenfalls in dieser Weise gearbeitet worden ist -, gibt Hofreiters Sekundanten. ---
Die nachfolgende Szene zeigt die wartende Genia, die von Frau Meinhold aufgesucht wird, der das Verhältnis ihres Sohnes zu Genia Hofreiter nicht entgangen ist. Aber sie kommt jetzt aus einer für sie unerklärlichen Unruhe heraus. Sagt, sie habe sich mehr und mehr um ihren Sohn zu ängstigen begonnen. - Auch hier zeigt Schnitzler wieder eine seiner doppeldeutigen, im wahren Sinne des Wortes sogar doppelzüngigen Szenen: Frau Meinhold weoß noch nichts vom Duell, schon gar nicht, dass ihr Sohn bereits gefallen ist, als Hofreiter kurz darauf das Haus betritt. Schwarz gekleidet; wie nach Korsakows Beerdigung. Er hat Otto von Aigner im Duell tödlich getroffen. Er stellt sich 'natürlich' gegenüber seiner Mutter aber unwissend.
Beide begrüßen sich freundlich, ja freundschaftlich. Frau Aigner hat einen Brief ihres Mannes erhalten, nach zwanzig Jahren, er wird ja bald nach Wien kommen. Und letztlich hat Hofreiter mit seiner Besteigung des Aigner-Turms diese Wiederannäherung ausgelöst. Als es um seine Ehre ging, - auf dem Tennisplatz kommentierte er die Forderung Ottos sinngemäß mit der Bermerkung, man wolle nicht als dummer Esel dastehen -, da hat er an diese, wohl kommende Begegnung zwischen Vater und Sohn nicht gedacht. Sie, denke ich, hätte als einziges ihn von der Beleidigung und von dem Duell abhalten können. Hätte. Aber das nützt nichts.
Nun auf dem Duell-Platz sah er deutlich in den, wie er es formuliert, frechen Augen des Fähnrichs dessen Vernichtungswillen, der seinen eigenen Vernichtungswillen entfacht. Auch, wie schon gesagt, in diesem Duell geht Friedrich Hofreiter als Sieger vom Platz. - Es ist makaber. Genia erfährt von ihrem Mann nicht nur den Ausgang des Duells, sondern auch, dass dessen Leiche sich bereits auf dem Weg ins Haus seiner Mutter befinde. Sonderbar: Gerade in dem Moment, in dem sich ihr ehemaliger Mann und der Vater ihres Sohnes wieder mit ihr in Kontakt setzt, wird, als sollte alle Zeit zwischen ihnen annulliert werden, auch der Sohn völlig weggenommen, anstatt dass Schnitzler hier eine Aussicht auf eine wieder geheilte Familie und ein Happy End geschrieben hätte.
Und auch bei Hofreiter selbst kommt es zu einer Trennung: Er sagt seiner Frau, die Ottos Mutter jetzt ihrerseits aufsucht, um sie das schwere Schicksal gemeisam tragen zu lassen, "Adieu". Es ist wahrscheinlich, dass sie ihn bei ihrer Rückkunft nicht mehr sehen wird. - Das "Aus!", das Pauly Wessely noch so eindrucksvoll bewusst und entschieden gesagt hatte, nachdem sie vom Ausgang des Duells erfuhr, ist hier gestrichen. - Und so bleibt Ruth Leuwerik bis zum Ende des Films eigentlich offen, nicht völlig entschieden und also zurückgewinnbar, würde sie Hofreiter zurückgewinnen wollen. - Nun kommt Erna noch einmal ins Spiel. Sie weiß um das Duell und dessen Ausgang. Sie hatte vor Frau Meinhold schon Genia besucht und da erfahren, dass Genia um die Ereignisse am Völser Weiher bescheid wisse. -
Nun nähert sie sich Friedich, dem sie sich jetzt völlig anheimgeben möchte. Er lehnt das ab. Auf ihre Worte: "Ich gehöre dir!"antwortet er: "Ich niemandem!" - und er wolle auch nicht (mehr). Das Spiel ist aus, das Spiel der Tändeleien, Flirts, der vielen außerehelichen Verhältnisse, des Fremdgehens und Verheimlichens. - Attila Hörbiger, wie auch Michel Piccoli (*1925) in Luc Bondys (1948 - 2015) "Das weite Land"-Verfilmung von 1986/87, sagt das knapp und entschieden – und geht. O. W. Fischer spielt das in Peter Beauvais' Film-Inszenierung anders, und ich finde das sehr bemerkenswert: Er lässt O. W. Fischer nach der Absage an Erna einen Schritt nach links treten, steht nun mit seinem Rücken zum Publikum (zur Kamera), und einen Moment heftig aufweinen. Als Stufe. Als Begreifen. Als Abschied vom losen, lockeren, freien Leben.
Gleich darauf kommt Percy, sein Sohn an, der dieses Ende seines freien und ja auf gewisse Weise verantwortungsfreien Lebens noch einmal besiegelt und unumkehrbar macht. - Attila Hörbiger spielte das noch anders: Sieht, hört Percy – und nimmt das zum Anlass, Erna stehen zu lassen und sich endgültig von ihr zu treffen, nimmt dessen Ankunft und seinen Ruf: "Percy!" als Absprung, um weiter zu kommen, weg zu kommen, weg in ein anderes Leben, fast hat man als Zuschauer das Gefühl: Weg in sein altes Leben zurück. - Nicht so hier bei O. W. Fischer. - Eine sonderbare Doppelung: Dem einen, seinem entfernten Freund von Aigner schießt er den Sohn weg, sich gegen die Vernichtung durch die Jugend verwahrend; er selbst wird wenig darauf durch die Ankunft seines eigenen Sohnes 'zum alten Eisen' geworfen. Allerdings, und das kommt in dieser ORF-Inszenierung besonders heraus, nicht ohne sich zuvor selbst gegen seine eigene Jugend-Verwilderung entschieden zu haben.
Foto: Das Match