Starker Film heute, am 20. Januar 2017 um 20:15 Uhr auf Arte

Margarete Frühling

München (Weltexpresso) - Im Sommer 1968 wird der freiheitsliebende 14-jährige Wolfgang (Louis Hofmann) gegen den Willen seiner Mutter (Katharina Lorenz) von seinem Stiefvater (Uwe Blohm) von Osnabrück in ein Heim für schwer erziehbare Jungen nach Freistatt (Kreis Diepholz) geschickt - einer Außenstelle der v. Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel (jetzt ein Stadtteil von Bielefeld).

Dort müssen die Jungen unter der Aufsicht von pädagogisch unausgebildeten Diakonen beim Torfstechen arbeiten.

Wolfgang wird dort mit der gesamten Härte der Züchtigungs-Pädagogik konfrontiert. Dabei geht es nicht nur um körperliche Züchtigung, sondern auch sexuellen Missbrauch und knochenharte Zwangsarbeit im Moor. Keiner der jungen Insassen erhält dort eine gründliche Ausbildung oder auch nur vernünftigen Schulunterricht. Der überhebliche Anstaltsleiter (Alexander Held) und seine schlecht ausgebildeten, brutalen Helfer (Stephan Grossmann, Max Riemelt) versuchen alles, um den Willen der ihnen anvertrauten Schützlinge zu brechen. Auch der örtliche Pfarrer (Hans Peter Korff), der regelmäßig in Freistatt den Gottesdienst leitet, schaut weg. Wolfgang versucht mehrmals, aus dem Heim zu fliehen, wird aber immer wieder - auch aufgrund der unberechenbaren Moorlandschaft - eingefangen und drakonisch bestraft.

Selbst als er es bis zum Haus seiner Eltern schafft, wird er von seinem Stiefvater - unter nur leisem Protest seiner Mutter - wieder ins Heim zurück gebracht. Sein Leben ändert sich erst 1970 nach dem plötzlichen Tod seines Stiefvaters. Doch da vertraut er seiner Familie längst nicht mehr.


"Freistatt" wurde zum großen Teil an Originalschauplätzen im Moor in der Nähe von Diepholz gedreht. Der Film wurde in Co-Produktion mit dem SWR, SR, WDR und NDR sowie mit Arte hergestellt.

Er wurde auch inspiriert durch wahre Schicksale wie z.B. der Lebensgeschichte von Wolfgang Rosenkötter, der einige Jahre in Freistatt als sogenannter Zögling war oder dem Buch von Matthias Benad, Hans-Walter Schmuhl, Kerstin Stockhecke (Hrg.): "Endstation Freistatt – Fürsorgeerziehung in den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel bis in die 1970er Jahre" - erschienen im Bethel Verlag, Bielefeld 2009.

Obwohl der Film teilweise bis an die Schmerzgrenze geht, findet Kamerafrau Judith Kaufmann zusammen mit Regisseur Marc Brummund doch auch wunderschöne Bilder der norddeutschen Moorlandschaft. Die starken Darsteller, vor allem Louis Hofmann - bekannt aus "Unter dem Sand" (2015) und "Die Mitte der Welt" (2016) - und seine Gegenspieler Alexander Held und Stephan Grossmann, zeigen deutlich auf, dass Freistatt für die Jugendlichen der Vorhof zur Hölle war. Daneben wird die Hierarchie in solchen Heimen - auch unter den Jugendlichen - hervorragend herausgearbeitet.

Beim Soundtrack schafft Marc Brummund den Spagat zwischen Liedern der 60iger und 70er Jahre und heute, indem er Remixes z.B. von "Scarborough Fair" und "The House of the Rising Sun" in seinen Film integriert. Allerdings wäre es verwunderlich, wenn es den Jungen beim Marsch ins Moor erlaubt gewesen wäre, die "Moorsoldaten" von Wolfgang Langhoff, Johann Esser und Rudi Goguel zu singen.

Insgesamt ist "Freistatt" ein beklemmendes aber absolut sehenswertes Drama. Es ist sehr gut, dass der Film jetzt erstmals bei Arte gezeigt wird und zwar am 20. Januar 2017 um 20:15 Uhr und nicht erst im Nachprogramm.

Foto: Auf der Flucht: Wolfgang (Louis Hofmann) und Anton (Langston Uibel) © Edition Salzgeber

Info:
Freistatt (Deutschland, 2014)
Genre: Drama
Filmlänge: 98 Min.
Regie: Marc Brummund
Drehbuch: Nicole Armbruster, Marc Brummund
Darsteller: Louis Hofmann, Alexander Held, Stephan Grossmann, Uwe Blohm, Max Riemelt u.a.
FSK: ab 12 Jahren