Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Februar 2017, Teil 9
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Diese Meldung paßt hervorragend zum Anlaufen dieses Films in Deutschland. Denn Asghar Farhadi hat wegen des Einreiseverbots für Iraner durch Präsident Trump seine Einladung zur Oscarverleihung im Februar nach Los Angeles abgesagt – auch dann, wenn in letzter Sekunde noch eine Ausnahme für ihn gemacht würde.
Er will keine Ausnahme, sondern die Möglichkeit eines Visums für alle. Bisher war es ja umgekehrt. Der Iran ließ seine Filmemacher und seine Autoren nicht ausreisen. Von daher war amüsant zu lesen, wenn Fahrahdi sehr deutlich von den Scharfmachern hier und dort spricht. Und daß er sich das im Iran traut und wohl trauen kann, ist ein gutes Zeichen.
Für den Film gilt: Vor der Geschichte kommt die Vorgeschichte, die vielfältig ist. Regisseur Asghar Farhadi ist durch seinen Auslandsoscar für NADER UND SIMIN – EINE TRENNUNG aus dem Jahr 2012 noch in guter Erinnerung. Der neue, sein siebter Film, brachte ihm die Palme von Cannes 2016 für das Beste Drehbuch ein, Shahab Hosseini wurde Bester Hauptdarsteller.
Und gerade wurde der Film als einer von fünf für den besten ausländischen Film bei der Oscarverleihung im Februar nominiert, direkte Konkurrenz zu Maren Ades TONI ERDMANN . Vergleicht man diese beiden Filme, dann schränkt sich unsere Zustimmung zum iranischen Film etwas ein. Wir finden den Film gut, richtig gut, aber er bringt unter filmischen Gesichtspunkten nicht solchen Witz und solche Überraschungen wie der deutsche Beitrag. Grundsätzlich jedoch gilt, daß jeder Film auf dem Hintergrund seiner Entstehung und seiner Einordnung in die Welt gesehen werden muß.
Diese Sicht auf die Gesellschaft mochte man im Iran gar nicht. Herbe Kritik gab es am Regisseur und seinem neuesten Produkt, was konterkariert wurde durch einen massenhaften Kinobesuch der Bevölkerung. Das kann man gut verstehen, denn für uns schien der Film auch immer wieder zwischen den Zeilen zu sprechen, da gibt es so viele Sachverhalte, von denen wir annehmen, daß sie Codes für Ungesagtes, aber im Inland Erlebtes sind. Aber das Eigentliche, das bekommen wir alle mit. Da müssen nämlich das Paar Rana (Taranaeh Alidoosti) und Emad (Hosseini) fluchtartig ihre Wohnung verlassen. Es ist nachts, was das Gebäude nicht hindert, gleich einzustürzen, denn die Baugrube auf dem Nachbargrundstück hat zum Absacken des Fundaments geführt. Rana packt irgendetwas, was für sie in diesem Moment wichtig ist und flieht, ihr Mann hilft erst noch einer alten Frau, der Gefahr zu entkommen.
Wie gefährlich die Lage wirklich ist, zeigt der nächste Tag, wie nämlich die Wohnung in der Luft hängt. Aber woher eine neue Bleibe auftreiben in einer Hauptstadt, die an Wohnungsmangel leidet? Bezahlbaren Wohnraum zu finden, ist auch für das gut verdienende Paar schwierig. Sie sind Prototypen der aufgeklärten Mittelschicht. Er ist Lehrer und wird abends zum Theaterleiter. Seine freie Gruppe probt derzeit Arthur Millers Drama TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN, wobei der Filmtitel THE SALESMAN die Originalbezeichnung des Millerstückes: DEATH OF A SALESMAN aufnimmt. Auf Farsi heißt das FORUSHANDE und es ist absolut unverständlich, warum der Film bei uns mit dem englischen Titel läuft. Zurück zum Film: Die Proben des Theaterstückes sind intensiv, Rana und Emad spielen mit, in einigen Tagen soll die Premiere sein.
Wie hintersinnig die Filmworte und die Filmhandlung gewählt sind, wird gerade bei der Regiearbeit am Theaterstück im Film deutlich, wo der Lehrer und Regisseur potentielle Verbotsbedrohungen dadurch unterläuft, daß er durch die Zensur Kritisiertes ändert. Die im Stück vorkommende Nackte, eine Prostituierte, tritt hier im hochgeschlossenen Roten auf, sogar mit Hut. Daß aber die Zensur im Film überhaupt angesprochen werden kann, ist erstaunlich. Im Film sind es sechs Einsprüche, über die gesprochen wird und von denen drei akzeptiert werden, der Text also geändert wird. Die abendlichen Proben am Stück verfolgen wir nun in Wechselwirkung mit der neuen Bleibe des Paares. Babak, ihr Mitspieler und ziemlich vermögend, spricht sie nämlich auf den Verlust ihrer Wohnung an und bietet ihnen ein Apartment an, das ihm gehört und derzeit leer steht. Zwar muß man ganz schön hochsteigen und etwas heruntergekommen finden sie die Wohnung auch, aber sie liegt mit freiem Blick zentral über der Stadt. Ein Glücksfall. Nur das abgesperrte Zimmer irritiert.
Dort nämlich hat die Vormieterin noch ihre Sachen, ja, wie sich herausstellt, wurden deren Möbel und ihre Habe in dieses Zimmer geräumt, als sie trotz Aufforderung keine Miete mehr zahlte; die Sachen sollen von ihr abgeholt werden im Ausgleich mit der Zahlung. Muß eine merkwürdige Frau gewesen sein, befinden die beiden, nachdem auch die neuen Nachbarn Seltsames äußerten. Nicht nur merkwürdig, sondern leicht anrüchig. Eine Prostituierte! Auf jeden Fall kommt der Vermieter, bricht den Raum auf und räumt die Sachen auf einen Platz vor der Wohnung. Typisch, daß dann Regen aufkommt und das insgeheim von Emad empfundene Unrecht des Tuns – die Vormieterin hatte Rana erzählt, die ihr zugesagte Wohnung habe sie nicht bekommen und müsse erst eine neue anpeilen – durch einen heftigen Regenguß, ja orkanartige Wassermassen nun auch die Gegenstände durchnäßt.
Der Zuschauer empfindet die ganze Zeit eine Gefahr, von der er nicht weiß, woher sie rührt. Da liegt ein Grauen in der Luft, eine Gespanntheit, die der Regen nicht gelöst hat, sondern verstärkt. Dabei kommt das Eigentliche erst noch. Denn am Tag der abendlichen Premiere geht Rana tags nach Hause. Sie will weiterräumen und sich duschen. Doch als sie sich gerade auszieht, klingelt es, sie glaubt, daß Emad hochkomme, öffnet die Wohnungstür und stellt sich unter die Dusche. Doch es war nicht der Ehemann und als dieser seine Frau nicht erreicht und nach Hause eilt, findet er in der Dusche nur noch Blutspuren, die ihm schon auf der Treppe Angst machten.
Tatsächlich liegt seine Frau mit einer Kopfverletzung im Krankenhaus, will aber keinesfalls die Polizei einschalten und verhält sich merkwürdig, zumal sie sich an nichts erinnert, von nichts weiß. Das alarmiert den Ehemann. Was ist vorgefallen? Die Nachbarn hatten Rana ins Krankenhaus gebracht, als sie sie ohnmächtig in der Dusche fanden, nachdem sie zuvor einen Mann haben wegrennen sehen. Aha, Männer, die hier die Vormieterin mit ihrem gewissen Gewerbe suchen. In dieser Grauzone bleibt die Geschichte, die nicht nur die Phantasie des Ehemanns, sondern auch unsere in Gang setzt.
Dann wird der Film vorübergehend zu einem Thriller, denn der Ehemann findet etwas in der Wohnung, was der ominöse Besucher zurückließ und kann ihn mit Detektivtricks auch überführen. Aber längst ist zwischen den Eheleuten eine tiefe Entfremdung eingetreten. Während sie kein Aufhebens davon machen will, aber alles, was der Zuschauer als Deutung erhält, auf eine Vergewaltigung hinweist, will er den Schuldigen an den Pranger stellen, ohne daß er konkret weiß, was los war. Vor allem macht er dem Kollegen und Vermieter den Vorwurf, sie nicht über die Umstände der Vormieterin aufgeklärt zu haben, was dieser für borniert und kleinbürgerlich hält. Und Emad findet den Täter, eine unerwartete Person, aber welche Probleme ergeben sich jetzt! Sehen Sie selbst.
Längst ist das Stück und das Leben kein Nebeneinander oder Nacheinander mehr, sondern es greifen die Stimmungen ineinander über und die gespannte persönliche Situation führt zu Aggressionen von Emad und entsprechenden Textabweichungen bei der Aufführung, was dem Publikum im Theatersaal verborgen bleiben muß, wir Filmzuschauer aber verstehen.
Was übrig bleibt ist die Brüchigkeit der Situation. Die Eheleute entfremdet, das neue Heim keine Heimat, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Truppe gestört, der Helfer mit der Wohnung verprellt, die neuen gutwilligen Nachbarn irritiert. Kein Stein bleibt auf dem anderen, wenn nur einer aus dem Gefüge gezogen wird. Instabilität, wohin man auch blickt. Der Iran heute?!
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