Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Februar 2017, Teil 10
Filmheft
Paris(Weltexpresso) - Auch ohne die Oscarnominierung für THE SALESMAN - FORUSHANDE wäre ein Interview mit dem erfolgreichen iranischen Filmregisseur Farhadi interessant. Erfolgreich ist er in vielen Bereichen. Er darf im Iran kritische Filme machen, die Publikumslieblinge sind - und auch noch die Zustimmung der internationalen Filmkritik erhalten und viele Preise dazu.
Welche Lippe er riskiert, zeigte sich gerade, als das nun wieder vom Gericht kassierte Verbot der Einreise aus sieben muslimischen Ländern in die USA bekannt geworden war. Da sprach er ganz offen von den Hardlinern auf beiden Seiten, also den Vereinigten Staaten und dem Iran. Er sagte dann auch noch, daß er auch dann nicht nach Los Angeles fahren werde, wenn für ihn eine Ausnahme gemacht würde. Eine andere Haltung wäre auch eher ehrenrührig gewesen. Die Redaktion
Herr Farhadi, wie kam dieses Projekt zustande?
Ich hatte schon eine ganze Weile eine ganz simple Geschichte im Hinterkopf und habe mir dazu immer wieder Notizen gemacht und Ideen aufgeschrieben. Als schließlich die Möglichkeit auftauchte, einen Film im Iran zu drehen, begann ich diese im Laufe der Jahre entstandenen Aufzeichnungen zusammenzutragen. Ich wollte darüber hinaus schon immer mal einen Film drehen, der in der Welt des Theaters angesiedelt ist. Als ich jünger war, habe ich selbst Theaterwissenschaft studiert, und es hatte eine große Bedeutung für mich. Die Geschichte, die mir vorschwebte, eignete sich perfekt fürs Theatermilieu. Also begann ich, ein Szenario zu entwickeln, in dem die Charaktere ein Stück proben.
Wie würden Sie THE SALESMAN (FORUSHANDE) definieren? Ist es eine Rachegeschichte oder geht es um verlorene Ehre?
Ich hätte wirklich Schwierigkeiten, THE SALESMAN (FORUSHANDE) zu definieren oder zusammenzufassen oder überhaupt zu benennen, was die Geschichte mir persönlich bedeutet. Alles hängt von den ganz spezifischen, persönlichen Erfahrungen und Denkweisen des einzelnen Zuschauers ab. Wenn man es als Gesellschaftskritik sieht, wird man sich an diese Elemente erinnern. Jemand nimmt es vielleicht als moralische Fabel wahr, oder als etwas ganz anderes. Was ich sagen kann: Dieser Film handelt erneut von komplexen zwischenmenschlichen Beziehungen, vor allem innerhalb der Familie.
Zu Beginn des Films sind Emad und Rana ein gewöhnliches Paar. Sind die beiden typische Vertreter der iranischen Mittelschicht?
Emad und Rana sind ein Paar aus der iranischen Mittelschicht. Wir können nicht sagen, ob sie die Mehrheit in dieser Schicht repräsentieren, weder als Individuen noch in ihrem Verhältnis zu anderen. Ich habe diese Charaktere einfach geschaffen, damit der Zuschauer nicht das Gefühl hat, dieses Paar unterscheidet sich von so vielen anderen. Es ist ein gewöhnliches Paar mit seinen spezifischen Eigenheiten. Sie arbeiten beide im Kulturbereich, sie spielen beide Theater. Aber sie finden sich plötzlich in einer Situation, die unerwartete Aspekte ihrer Persönlichkeiten offenlegt.
Der Originaltitel bezieht sich auf das Stück von Arthur Miller, das Emad und Rana zusammen mit Freunden einstudieren, „Tod eines Handlungsreisenden“. Warum haben Sie entschieden, dieses Theaterstück einzubauen?
Ich habe „Tod eines Handlungsreisenden“ als Student gelesen. Es hat mich damals sehr beeindruckt, wohl vor allem wie es menschliche Beziehungen verhandelt. Es ist ein sehr vielschichtiges Drama, das viele unterschiedliche Lesarten erlaubt. Die wichtigste Dimension ist die kritische Auseinandersetzung mit einer historischen Phase, als die plötzliche Veränderung des urbanen Amerikas den Zusammenbruch einer bestimmten sozialen Schicht verursachte. Menschen, die sich der rasenden Modernisierung nicht anpassen konnten, kamen unter die Räder. In diesem Sinn reflektiert das Stück sehr stark die derzeitige Situation in meiner Heimat. Dinge ändern sich in atemberaubender Geschwindigkeit, und entweder kommt man mit oder man geht drauf. Diese Sozialkritik im Kern des Stücks ist für mein Land noch heute relevant.
Eine andere Dimension des Stücks sind die komplexen Beziehungen innerhalb der Familie, besonders deutlich in dem Paar des Handlungsreisenden und Linda. Das Stück hat eine starke emotionale Anziehungskraft, die nicht nur sehr bewegend ist, sondern das Publikum auch dazu bringt, über sehr subtile Fragen nachzudenken. Sobald ich entschieden hatte, dass die Hauptfiguren in einem Theaterstück auftreten würden, erschien mir Millers Drama hochinteressant, da es mir erlaubte, Parallelen zum Privatleben des Paares aufzubauen. Auf der Bühne spielen Emad und Rana den Handlungsreisenden und seine Frau. Und in ihrem eigenen Leben begegnen sie, ohne es zu ahnen, einem Geschäftsmann und seiner Familie und müssen über sein Schicksal bestimmen.
Inwieweit reflektiert der Film die Situation in der iranischen Gesellschaft?
Vieles ist eng verbunden. Wir gelten als etwas prüde, weil unser Körper etwas Privates ist, ebenso die Familie und das Privatleben. Im Film sieht man einen kleinen Jungen, der auf die Toilette muss, aber nicht will, dass ihm eine Frau, die nicht Teil seiner engsten Familie ist, ihm beim Ausziehen hilft. In der Schule sind die Klassen nach Geschlechtern getrennt, Emad unterrichtet nur Jungen. Die starken Moralvorstellungen und Traditionen lernt man von Klein auf. In einem anderen Land, einer anderen Gesellschaft, hätte der Mann wahrscheinlich anders auf den Übergriff auf seine Frau reagiert. Neben dem Privaten sind auch der Ruf und das öffentliche Urteil extrem wichtig. Wenn die Nachbarn von dem Vorfall nichts bemerkt hätten, wäre Emads Reaktion womöglich eine andere gewesen. Stattdessen macht er sich Sorgen darüber, was andere wohl denken, was in dieser Nacht in der Wohnung passiert ist, und das lässt ihn gewalttätig werden. Diese Gewalt, die scheinbar gerechtfertigt ist, hat mich interessiert. Wenn der Handelnde überzeugt ist, er habe gute Gründe, Gewalt auszuüben, obwohl er ein kultivierter, toleranter und hilfsbereiter Mann ist. Was bringt ihn dazu? Diesen Prozess wollte ich zeigen, ohne ein Urteil zu fällen. Das überlasse ich dem Zuschauer.
Sie evozieren diese anarchische Entwicklung Teherans durch den Blick der Protagonisten von der Terrasse ihres neuen Apartments. Ist das auch Ihre persönliche Sicht auf die Stadt, in der Sie leben und arbeiten?
Das heutige Teheran ähnelt sehr dem New York, das Miller zu Beginn seines Stücks beschreibt. Eine Stadt, deren Antlitz sich rapide verändert, in der alles Alte zerstört wird und Obstgärten und Parks durch Gebäudekomplexe ersetzt werden. Das ist genau das gleiche Umfeld, in dem auch Millers Handlungsreisender lebt. Dadurch gibt es eine neue Parallele zwischen dem Film und dem Theaterstück. Teheran wandelt sich auf rasende, unkontrollierte und irrationale Weise. Wenn ein Film von einer Familie erzählt, spielt das Heim natürlich eine große Rolle. Das war auch schon bei meinen vorherigen Filmen der Fall. Und auch diesmal wieder spielen das Haus und die Stadt eine zentrale Rolle.
Gleich in der ersten Szene droht das Haus einzustürzen, in dem das Ehepaar wohnt. Ist dieser Notfall auch als Metapher für Sie als Filmemacher zu verstehen?
Nein. Wir haben auf unser Land einen anderen Blick als der Westen. Natürlich ist die Situation für Filmemacher in Iran eine sehr spezielle, mit allen Vor- und Nachteilen. Bis zu NADER UND SIMIN – EINE TRENNUNG fand ich es einfacher, in Iran zu drehen, weil ich dort viele Leute kannte, die sich mit Leidenschaft einbrachten und mitarbeiteten. Dadurch konnten wir einige der Schwierigkeiten ausgleichen, denen man als Künstler in Iran ausgesetzt ist. Aber ich kann nicht sagen, dass ich jemals das Gefühl hatte, als Filmemacher in einer Notlage zu sein. Aber wenn man wie ich viele Jahre in der Branche arbeitet, lernt man mit Problemen und Hindernissen umzugehen und sie zu überwinden. Würde ein Regisseur aus dem Westen hier drehen wollen, würde er die Situation wahrscheinlich unlösbar finden. Aber wenn man damit aufgewachsen ist, kann man sie als Energiequelle und Motivation nutzen. Ich arbeite gerne hier und werde das auch weiter tun, selbst wenn ich zwischendurch einen Film im Ausland drehe.
Wie war es, nach dem letzten Film LE PASSÉ – DAS VERGANGENE, den Sie in Frankreich drehten, wieder in Ihrer Heimat und in Ihrer eigenen Sprache zu drehen?
Eigentlich war ich in den Vorbereitungen für ein Filmprojekt in Spanien mit internationaler Besetzung und Pedro Almodóvar als Koproduzent. Wir suchten nach Drehorten und alles lief sehr gut, aber irgendwann habe ich gespürt, dass ich meinen nächsten Film zuhause drehen muss. Almodóvar war zunächst überrascht, aber er merkte, wie wichtig mir das war und unterstützte mich voll. Und damit ist auch unser gemeinsamer Film nicht gestorben. Es wird nun wohl mein nächstes Projekt.
Foto: Der Regisseur, der 2011 den Goldenen Bären der Berlinale für NADER UND SIMIN - EINE TRENNUNG erhielt und hier die zwei Silbernen Bären für seinen männlichen und seine weibliche Hauptdarstellerin in den Händen zu insgesamt drei Bären für den Film hält (c) Berlinale.de
Info: Abdruck aus dem Filmheft