BERLINALE-TAGEBUCH 2017, Tag 2 (Freitag 10. 2.)

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - „Ich kann es nicht ertragen, angefasst zu werden“, röchelt der schöne junge Mann. „Prügel mich!“, gurrt die attraktive junge Frau. Im Zoo-Palast schaue ich das Dramolett „50 Shades of Gray (2)“. Es zeigt durchaus spannende Kinobilder von reichen Menschen mit tiefen Abgründen, die sie in angenehm temperierten Sado-Maso-Praktiken ausleben.


Auf einer großen Leinwand in der Akademie der Künste wackelt acht Minuten lang der Kopf des jungen Mädchens „Izadora“ am Bildrand. Sie läuft wohl auf Rollschuhen, schiebt vielleicht einen Wagen mit der Kamera - und träumt. Doch ihre Fantasien sieht man nicht. Ein weiteres Dutzend Video-Installationen befragt hier in der Sektion „Extended Forum“ Bilder hinter den Bildern, will den Prozess des Sehens verdeutlichen. 


Mit ihren gut 15 Sektionen ist die Spannweite der Berlinale, wie immer in den letzten Jahren, unglaublich. Einerseits also die durchaus dramatisch inszenierte, jedoch oberflächliche Scheinwelt des Illusionskinos. Andererseits das „Forum Extended“, dessen hochintellektuelle Ambitionen oft schwer nachzuvollziehen sind und (mich) wenig bewegen. Aber das kann kein Kriterium für Film-Kunst sein.


Die unterschiedlichen Erfahrungen haben mich gebeutelt, doch ich weiß, „meine“ Berlinale wird irgendwo zwischen diesen, zuerst erlebten Polen liegen.


Programmatisch und beispielhaft für das Festival ist  „Django“, der Eröffnungsfilm. Die kurze Zeitspanne im Leben des Musikers Reinhardt, ist ganz großes Kino. Der Streifen zeigt in Eifersucht, Verrat und Erpressung verstrickte Menschen, aber auch deren Mut, ihre Solidarität und Liebe. Django“ lehrt uns, dass es unmöglich ist, als Künstler nur Kunst zu machen und sich aus allem rauszuhalten. Der Streifen ist dennoch eine Ode an die Freiheit der Kunst, vor allem aber ein Requiem für die von den Nazis ermordeten Zigeuner.


Ach ja, wunderbare Augenblicke im Kino: Django spielt auf einer Bühne, man sieht die Köpfe seines Publikums - und ich sehe vor mir die Köpfe der Kolleginnen und Kollegen. Wir verschmelzen mit dem Film...


Auf der Jury-Pressekonferenz machte der isländische Juror Olafur Eliasoson diese Momente als Maßstab für seine Beurteilung eines Films noch grundsätzlicher deutlich: „Ich will mich selbst im Film wiederfinden und mir sagen, das kenne ich, aber konnte es bisher nicht formulieren. Es ist so, als ob man sich selbst erkennt: Ich bin ein Teil der Welt und gehöre dazu!“


Foto: Jury-Pressekonferenz