67. BERLINALE vom 9. bis 19. Februar 2017, WETTBEWERB, Teil 8

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) –  Zwei Regisseurinnen, beide aus Osteuropa, die heutige aus Polen, die freitägliche aus Ungarn, beginnen ihre Filme mit einem Hirschen in der freien Natur, im Wald also. Beide Male sind die Bilder berückend schön. Aber sie haben eine ganz unterschiedliche Bedeutung. Im ungarischen Film war der Hirsch das Sinnbild für seinen freien Lebensraum im Gegensatz zum Schlachthaus, wo die Rinder nur zum menschlichen Verzehr gezüchtet und dann getötet werden.


Für den rasanten Film von Agnieszka Holland, auf Deutsch SPUREN, aber ist die mörderische Jagd von Männerbünden auf Hirsche und alle Tiere des Waldes das Fanal, aufzuräumen mit diesem menschlichen Gesocks der Jäger. Wir sehen den zuvor so stolzen schönen Hirsch aufgehäuft bei den massenhaft erschossenen Tieren des Waldes, hinter denen sich die Jäger zu einem Gruppenbild versammeln. Daß die beiden Hunde der älteren Duszejko (Agnieszka Mandat), einer pensionierte Brückenbauingenieurin, und derzeit freiwilligen Lehrerin auch dabei liegen, weil sie einfach erschossen wurden, ist der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Aber noch wissen wir von gar nichts und machen uns erst einmal  mit den drei Personen bekannt, die außerhalb der Ortschaft eines Bergdorfs an der polnisch-tschechischen Grenze leben. Ziemlich einsam leben. Da ist zuvörderst diese Duszejko, die keinen  Vornamen hat und so angeredet werden möchte, was wir tun. Schon deshalb, weil wir einen Heidenrespekt vor dieser Frau entwickelten, die uns alle in die Tasche steckt, was Kraft und Energie angeht. Sie will  das Gute, sorgt für die Schwachen, ist bei ihren Grundschülern absolut beliebt – immer ein gutes Zeichen - , weil sie Empathie ausdrückt, ihre eigene Meinung hat und diese deutliche ausdrückt, es mit dem Übersinnlichen in Form von Astrologie hat und aus ethischen Gründen strikte Vegetarierin ist.

Dann gibt es den etwas mysteriösen Nachbarn, der sich als Vater des Staatsanwalts entpuppt  und schon mal ein dolles Ding als Terrorist drehen wollte. Dieser kommt zu ihr und teilt ihr mit, der dritte Nachbar liege tot im Wald. Ja, natürlich will sie das sehen, denn mädchenhafte Scheu vor Gewalt oder Tod hat sie nicht. Als beide dann die Polizei rufen, hat sie längst entdeckt, daß um den Toten Tierspuren auf Wild hindeuten. Bei diesem Toten bleibt es nicht. Und immer sind es Männer, die wir schon zuvor als Ekelpakete erlebt hatten. Dieser Lude da mit dem Bordell und der Fuchsfarm, wo er seine Wut auf wen auch immer an den Käfigen und den Tieren ausläßt. Nein, das werden wir jetzt nicht schildern. Aber der Film schenkt uns nichts, was das Verschweigen oder Schönreden von bestialischer Grausamkeit Tieren gegenüber angeht, die wir andererseits friedlich im Wald äsen und fressen sehen. Nur wenn Gewehrschüsse zu hören sind, geht die wilde Jagd der Wildschweine und Rehe durch den Wald los.

Wir können die vielen Menschen, die den Film bevölkern, gar nicht aufzählen. Der Polizeipraktikant gehört unbedingt dazu, eine richtig gut erfundene Figur, im Gespann mit dem jungen Mädchen, aber eindrucksvoll auch dieser professorale Insektenforscher, der unserer Duszejko – köstlich dazu, wie manche Männer ihren Namen immer in Duszenko wandeln, das kennt wohl jede Frau, die sich einmischt, daß Männer daraufhin ihren Namen "vergessen" oder nur verballhornt aussprechen können - der Insektenforscher also, von dem auch diese exzellente Naturkennerin Duszejko noch viel lernen kann. Und nicht nur das. Denn wir entdecken eine weitere Seite an ihr, eine sinnliche, als sie erst mit den beiden Verehrern am Lagerfeuer einen Joint raucht und dann mit dem Insektenforscher das Lager teilt. Denn daß Vegetarierinnen frigide seien, erzählen fleischessende Männer gerne. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Diese Frau ist wirklich dem Leben zugewandt, dem Leben und nicht dem Tod. Zumindest nicht dem Tod von Tieren.

Dann wird auch noch ein unschuldiges Mädchen der Morde verdächtigt, was erst deutlich wird, als ein weiterer geschieht. Es handelt sich also um einen Massenmörder, was das Mädchen entlastet. Belastet aber werden die Tiere. Denn bei jedem Toten fand man Spuren von spezifischen Tieren. Ja, wo sind wir denn? In einem Krimi, ach was, einem Ökothriller oder einer Naturfabel oder erzählt uns der Film ein feministisches Märchen, ein Gleichnis und was nicht alles.


Auf jeden Fall hat das Durcheinander eine feste Ordnung. Denn der Film ist der früher üblichen Jagdsaison nach gegliedert. In schöner Schrift und anmutig wird aufgezeigt, in welchen Monaten welche Tiere gejagt werden dürfen, ein Ritt durch das Jahr, was im Umkehrschluß  auch heißt, wann Tiere erschießen verboten ist, woran sich diese dörfliche Gemeinschaft, in der der Bürgermeister und der Priester als die Schlimmsten - ‚Der Mensch mache sich die Erde untertan. Tiere haben keine Seele. - entpuppen, aber nicht halten.

Nur als auf einmal die Lehrerin der Morde verdächtigt wird und deshalb am Schluß sich die Vierergruppe auf den Weg macht und bei dem Insektenforscher Unterschlupf sucht und findet und alle in Frieden miteinander ohne weitere Tote leben, da denkt man sich, einen solchen harmonischen Schluß hätte es nicht gebraucht. Aber das ist halt der märchenhafte Anteil an diesem Genremix, der unsere Welt in einer Deutlichkeit und Schärfe zeigt, die nichts zu wünschen übrig läßt. Oder doch: Der Wunsch, die Natur die Natur sein zu lassen und als Mensch Rücksicht zu nehmen auf das Lebensrecht von anderen Lebewesen.

 


Aus der Pressekonferenz

Verfilmung eines Buchs, das einen langen Titel als Zitat von William Blake hat. Die Benennung des Films als SPUREN  sollen auch die Krimihandlung ausdrücken. Es dauerte lange 2 Jahre und 17 Entwürfe später, bis aus dem Buch ein Drehbuch wurde, das dann auch noch bearbeitet wurde. Ein tschechischer Freund half dann und leitete die Wende ein, daß nun gedreht werden konnte. (Die Regisseurin: „Das Haus stand, die Fenster waren dreckig. Er hat sie geputzt. Das ist sein Beitrag.“)

Eine solche dumme Frage wird tatsächlich von einem Kollegen gestellt.: Ob die Ermordung der Menschen, die Tiere ermordet haben, gerechtfertigt ist. So empfand der Fragende den Film. Beide, die Regisseurin und ihre Hauptdarstellerin beantworten, daß sie beide gegen das Töten sind, von Menschen und von Tieren.

Die Beziehung zwischen Geschichte der Landschaft und der Geschichte der Tiere. Die Region, in der der Film spielt, ist erst auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 Polen zugeschlagen worden und ist in Polen bis heute recht unbekannt. Der Glatzer Kessel ist multinational: polnisch, tschechisch, deutsch. Niemandsland.  Eine Gegend aus der Geschichte herausgefallen und ein europäischer Teil. Polen hat diese Gebiete nie so recht eingenommen, ausgeschlossen aus der polnischen Gesellschaft…

Die Tiere im Film treten auch stellvertretend für die Schwachen in der Gesellschaft  auf. Tierwelt und Menschenwelt: Zufall oder Flucht? Daß Frauen solche Filme machen, das ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer besonderen Sensibilität,...vier Jahre lang wurde gedreht. Inzwischen ist die Frage eine politische geworden. Damals nur das Öffnen der Phantasie. Wir befinden uns in einer intellektuelle Krise, sichtbar, gegen die zunehmend totalitären Bedingungen...Demokratie gefährdet, die Schwächsten.. Frauen und die Natur.  

Der Jagdkalender ist gültig, daß immer bestimmte Monate das Töten der Tiere verboten ist, war muß man sagen, denn heute haben die Jäger sogar viel stärkere Freiheiten . Die Jagd ist die Quintessenz einer Bühne von Männern, die Politik machen. Die Jagd ist in diesem Film ganz bewußt als Metapher genommen worden…
Gesetze in Polen ist ein großes Thema. Daß das Thema nah dem Film aufgegriffen werden könnte und dank des Films ein ernsthaftes Gespräch in Polen möglich ist.. Jagd als Tradition und ...und Hurenhäuser, eine rein männliche Gesellschaft.

Der Film war eine stilistische Herausforderung. Auch bei der Finanzierung will man ein vorher definiertes Genre. Das ist hier nicht möglich: Psychodrama, eine schwarze Komödie, ein Thriller, ein Märchen, alles vermischt sich…

Foto: die Lehrerin mit dem Insektenforscher (c) berlinale.de

Info:

Agnieszka Holland
Polen, Deutschland, Tschechische Republik, Schweden, Slowakische Republik 2017
Polnisch
mit Agnieszka Mandat, Wiktor Zborowski, Miroslav Krobot, Jakub Gierszał, Patricia Volny