67. BERLINALE vom 9. bis 19. Februar 2017, WETTBEWERB, Teil 13

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Ein erstaunlicher Film, der erst einmal wie ein Hardcore-Thriller beginnt und uns in Taiwan einen Auftragsmörder vorstellt, der abräumt, wie es nur geht, und nun nach Japan geschickt wird, weil ein blondgefärbter Bösewicht daran glauben soll. Stattdessen wird er von dessen Mannschaft gekrallt und…


Und mitten in der Geschichte, die erst einmal unseren Profikiller als erfolg- und mittellos in einer japanischen Kleinstadt dahinvegetieren läßt, eine diffuse Situation, die erst das Auftauchen eines kleinen charismatischen Jungen – irre Type und ans Herz gehend – beendet, weil Mr Long nun weiß, wo es lang gehen muß, um seine Heimfahrt zu finanzieren. Er wird mit Unterstützung einer hinreißenden Stadtteilgruppe – tatsächlich auf der bisherigen Berlinale die humanistischste Szene, wenn ein Tor, ein Krüppel, eine komische Alte und noch andere seltsamen Leute hier zu den guten Geister von Japan werden - ein Koch, der seine fahrbare Suppenküche vor einen Tempel stellt, und so gut – vor allem Nudeln mit Rindfleisch – kocht, daß sein Stand umlagert ist und er ausreichend Geld für die Rückfahrt verdient.

Das alles ist positiv und macht großen Spaß, weniger die heroinabhängige Mutter des kleinen Jungen. Als Mr Long das mitbekommt, fesselt er sie und der Entzug wird hart, weil er die Hilfe des Jungen dabei braucht, der nämlich den Lockungen der eigenen Mutter, die Fesseln zu durchschneiden, widerstehen muß und dies kann. Längst weiß der Kleine, daß er in Mr Long die einzige Orientierung im Leben hat. Dabei läuft das ziemlich wortlos ab, denn wir müssen uns daran erinnern, daß der Taiwanese ja in Japan sprachlos ist, was der Junge ‚cool‘ findet. Und da Mr Long ein harter Bursche ist, klappt das auch. Die Mutter wird clean und überhaupt eine andere Person. Das bekommen wir mit und bisher war die Handlung stringent.

Nun aber passiert etwas ganz anderes. Wie ein Film im Film wird sehr, sehr lange in einer Art Rückblende die Geschichte dieser jungen Frau erzählt. Das wirkt wie ein eigener Film und in der Pressekonferenz wird der Regisseur selbstbewußt sagen, eigentlich war ihm das noch zu wenig. Auf jeden Fall erleben wir in Japan die mafiamäßig organisierte Prostitution. Daß dies in Japan ein besonderes Kapitel darstellt, das hatte man schon gemerkt, als der Auftragsmörder seine Zielperson in einem Sexclub vorfand, wo Stripperinnen und andere Angebote vorhanden sind. Als Prostituierte arbeitet auch die junge Lily, die Taiwanerin ist und an den Richtigen gerät, der sie aus diesem Sumpf herausholt. Sie verliebt sich in ihn, er liebt sie sowieso und wir erleben ein zartes Glück, das, als sie gerade feststellt, daß sie schwanger ist, jäh zertrümmert wird. Die Bosse haben die junge Frau entdeckt, ihn umgebracht(?), zumindest fertiggemacht, und Lily wieder einkassiert. Zwar kann sie das Kind bekommen, aber danach muß sie wieder als Prostituierte arbeiten, wird drogenabhängig, lebt also in der Situation, in der wir sie im Film kennengelernt hatten und aus der sie Mr Long herausholt, nun aber ihren Hintergrund kennen.

Und kaum läuft jetzt alles bestens, er scheffelt das Geld und die beiden Erwachsenen nähern sich einander an, werden durch die Nachbargruppe – die übrigens zusammen  japanisches Theater (Kabuki?)  mit diesen Masken spielen – unterstützt und dürfen im Vergnügungspark so richtig auf Kleinfamilie machen, einschließlich der gemeinsamen Töpferarbeit. Warum die drei gefertigten Tonbecher für das Weitere wichtig sind, erkennt man dann, wenn auf dem Weg zum Standplatz vor dem Tempel Lily auf einmal einen der Prostitutionsbosse erkennt. Nun kommt eine Szene, die zeigt, daß ihr neues Selbstvertrauen doch nicht so verankert ist, denn sie kehrt sofort nach Hause um. Eine Reaktion, die der Zuschauer nicht verstehen kann und die böse endet. Der Bösewicht schleicht ihr nach, dringt in die Wohnung ein, wirft zuallererst die drei Becher auf den Boden, die kläglich zerschellen, vergewaltigt sie und will sie zwingen, wieder für ihn anzuschaffen, würde andernfalls ihren Sohn, auf jeden Fall den Koch töten und läßt sie gedemütigt und voller Angst zurück.

Als Mr Long und Jun nach Hause zurückkehren, hängt die Mutter an der Decke. Als nächstes sieht man, wie auf der Straße vor dem Haus zum einen der Junge und sein Beschützer stehen, auf der anderen Seite die Schläger- und Mördergruppe von 2-3-4  auf gefühlte 20 Personen anwächst, die nun Mr Long umbringen wollen. Doch sie haben die Rechnung ohne den Wirt, der hier der Koch ist, gemacht. Denn in einem eleganten Messertanz erledigt er einen nach dem anderen, wie es die Martial Arts so schön vorführen können. Und wir sind hochzufrieden.

Wir erwarten, daß er nun den Jungen packt und mit ihm nach Taiwan reist. Aber er geht alleine, nachdem nach dem Massaker der Älteste der Gruppe ihn aus der Stadt weist. Und wie dann auf einmal diese Gruppe in Taiwan auftaucht, gibt dem Film märchenhafte Züge, auf jeden Fall sind wir zufrieden, daß die beiden wie Vater und Sohn zusammenbleiben. Selten hat ein Film mit so vielen Leichen  angefangen, dann gegen Schluß noch einmal in perfekter Choreographie zugelegt, aber einen versöhnlichen Schluß gezeigt, der dennoch nicht kitschig ist. Wie gesagt, ein erstaunlicher Film, den man nur geschehen lassen kann und der sich in vielem einer ‚normalen‘ Filmkritik entzieht.

Bitte schauen Sie sich die am Film beteiligten Länder unten an. Man ist überrascht. Regisseur Sabu ist Japaner.


Foto: © berlinale.de


Info:
Sabu
Japan / Hongkong, China / Taiwan / Deutschland 2017
Mandarin, Japanisch, Taiwanesisch
129 Min · Farbe
mit  Chen Chang, Sho Aoyagi, Yiti Yao, Runyin Bai, Masashi Arifuku