67. BERLINALE vom 9. bis 19. Februar 2017, WETTBEWERB, Teil 12

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – In der Kunstgeschichte gibt es den Begriff der leeren Mitte. Das drückt aus, daß sich vieles in dem Bild ereignet, aber die Mitte, um die doch alles kreist, leer bleibt. Eine solche leere Mitte hat auch dieser Film, der ein Kammerspiel ist, abfotografiertes Theater, aber nicht von schlechten Eltern und noch dazu in Schwarz Weiß.


Versammelt sind im Haus der gerade zur Ministerin im Schattenkabinett ernannten Janet (Kristin Scott Thomas) erst einmal ihr Ehemann Bill (Timothy Spall), der – ein häufiger Topos auf der diesjährigen Berlinale – nicht nur den üblichen Rotwein trinkt, sondern Musik auflegt – mit dem Plattenspieler. Wir hören Jazz, wir hören Barock, Klassik, Folklore.  Dabei geht es um etwas ganz anderes, was keiner hören will und keiner sagen will. Etwas ist faul im im Staate…
 
Zu allererst lernen wir, daß auch politische Frauen für ihre Küche zuständig sind. Janet bereitet die Party vor, wird aber ständig durch Anrufe gestört, die sie – schon ganz die versierte Politikerin  - nett abwickelt, sich bedankt und telefonische Betreuung leistet. Aber dann wird unvermittelt ihre Stimme leiser, ja zärtlich und sie murmelt Liebesworte ins Telefon und die Bitte, jetzt nicht anzurufen, weil sie funktionieren muß. Aha, da ist also was.

Und schon schellt es, der erste Gast ist da. Ihr alte Freundin April (Patricia Clarkson) zusammen mit ihrem deutschen Freund (Bruno Ganz),  einem abgedrehten Esoteriker. Eine schöne Blondine und das Zusammenspiel dieser beiden ist innerhalb der Gruppe dann noch einmal ein besonderes Vergnügen. Sie macht ihn verbal fertig, wo sie kann, kündige ihm die Beziehung auf, macht aber dann lustig weiter. Also, als Geliebte scheint sie anstrengend zu sein, als Freundin für Janet aber ist sie hinreißend. So eine aufmunternde und die zukünftige Ministerin motivierende Freundin, eine richtige beste Freundin, braucht jeder, besser: jede.

Die Dynamik des Geschehens beginnt, wenn Jinny (Emily Mortimer) kommt, die sichtbar schwanger ist und dann der schon anwesenden weiteren Freundin Martha (Cherry Jones) im Garten mitteilt, daß sie Drillinge erwartet, aha, jetzt verstehen wir, eine künstliche Befruchtung und der zukünftige Vater eben diese Martha. Die ist als Professorin eine Theoretikerin und hat ein wenig Angst vor der neuen Verantwortung. Das aber kann die Schwangere, der ständig schlecht ist, nun überhaupt nicht vertragen. Das heißt, zwischen den beiden steigen ständig schwarze Wolken auf. Dabei ist das ärmste Schwein der reiche Banker Tom (Cillian Murphy). Der hat wirklich ein Problem.  Der kommt uns gleich komisch vor. Denn er rast ins Bad, zieht sich Kokainlinien rein, schwitzt wie ein Schwein, ständig scheint er zu explodieren. Er rauft sich die Haare und auf einmal rast er in den Garten, holt eine Pistole aus der Jacke und wirft sie in die Mülltonne.

Das beobachtet die Schwangere, die das Nervenbündel befragt, woran er kranke. Der hat die Pistole längst wieder aus der Mülltonne geholt, wirf sie wieder rein…, wo sie zufällig die Hausherrin findet, als sie das verkohlte Gebäck wegwirft. Janet nun kann die Pistole noch gut gebrauchen. Denn sie hält, als es wieder klingelt und der letzte Gast eintreten will, die Pistole direkt auf diesen gerichtet. Schluß. Alles Weitere ist der Phantasie überlassen.

Dazwischen aber passiert das Eigentliche. Denn der Ehemann, der halbblöde, auf jeden Fall stockbesoffene und bisher stumme, fängt an zu reden. Er ist unheilbar krank, teilt er mit. Er sagt nicht, was es ist, aber die Tatsache des tödlichen Ausgangs ist für alle so schockierend und am niederdrückendsten  für die Ehefrau, die sofort auf ihre politische Karriere verzichten will und beim nächsten Anrufe des Gspusis diesem mitteilt, daß es aus sei zwischen ihnen, weil ihr Mann todkrank sei.

Der aber hat die eigentliche Keule noch gar nicht ausgepackt, denn er teilt nun seiner Ehefrau und den versammelten besten Freunden mit, daß er die kurze Zeit, die ihm zum Leben noch bleibe, mit der Frau verbringen will, die er schon länger heimlich liebt. Es ist Marianne, die Frau des Bankers und gute Freundin von Janet und April sowie von Martha und Ehefrau von Tom, auf die alle noch warten. Der Schock sitzt tief. Für alle. Am meisten aber bei Janet, die sich nicht nur über die Geliebte ihres Mannes aufregt, beleidigt ist und wütend, sondern die auch noch etwas anderes umzutreiben scheint, das nach Explosion schreit. Da läutet es an der Tür…



Die achte Kinoarbeit der englischen Regisseurin Sally Potter ist ein geschliffenes Juwel, das die Beschränkung auf das Londoner Haus, in dem alles Geschehen passiert, gut aushält. Es geht hier um das lebenslange Beziehungsgeflecht dieser Menschen, die seit ihrer Studienzeit miteinander verbunden sind, was nun durch die Enthüllungen von Bill in den Grundfesten erschüttert wird. Liebe, Freundschaften, politische Überzeugungen und Lebensentwürfe stehen zur Disposition. Unter der kultivierten linksliberalen Oberfläche brodelt es, und in der Auseinandersetzung werden schließlich scharfe Geschütze aufgefahren. Natürlich kennen wir das von Ibsen, von Strindberg, von Ingmar Bergman Filmen, von WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF, von DER GOTT DES GEMETZELS, aber dieser verbale Schlagabtausch bringt die Beziehung nicht nur immer wieder auf den Punkt, sondern entspricht auch dem richtigen Leben, ist also wahr.

Da der Film in Schwarz Weiß gedreht ist und ein raffiniertes Licht verwendet, haftet ihm etwas Rätselhaftes, ja Unheimliches an. Das allerdings tritt nicht in Erscheinung, es bleibt alles im sichtbaren Diesseits. Das Jenseitige kündet allein Gottfried an, der nicht nur so spricht, sondern tatkräftig den vom eifersüchtigen Ehemann, dem schicken Banker, niedergeschlagenen Bill sogar wieder zum Leben erweckt. Hoffen wir, daß er noch eines hat, denn die nächste und Endszene könnte das Glück seines Lebens auslöschen. Aber, da hier ständig geredet und alles mit Worten bekämpft und umkämpft wird, wird es vielleicht doch nicht so tödlich ausgehen...


Übrigens ist THE PARTY in zwei Wochen Drehzeit heruntergedreht worden. In der Pressekonferenz betont Bruno Ganz dann, er wollte Frau Merkel glücklich machen und mal einen guten Deutschen darstellen.

Foto: ©berlinale.de


Info:
Sally Potter
Großbritannien 2017
Englisch
71 Min · Schwarz-Weiß
mit
Patricia Clarkson (April)
Bruno Ganz (Gottfried)
Cherry Jones (Martha)
Emily Mortimer (Jinny)
Cillian Murphy (Tom)
Kristin Scott Thomas (Janet)
Timothy Spall (Bill)
Stab
Regie, Buch
Sally Potter
Kamera
Alexey Rodionov
Schnitt
Anders Refn, Emilie Orsini
Ton
Jean-Paul Mugel
Production Design
Carlos Conti
Kostüm
Jane Petrie
Maske
Naomi Donne
Casting
Irene Lamb, Heidi Levitt
Herstellungsleitung
Alice Dawson
Produzenten
Christopher Sheppard, Kurban Kassam
Ausführende Produzenten
Jim Reeve, Robert Halmi Jr., John Giwa-Amu
Co-Produzent
Michael Manzi


Biografie
Sally Potter
Geboren 1949 in London. Ihren ersten Film drehte sie als 14-Jährige auf 8mm. Erste experimentelle Kurzfilme folgten. Ab 1969 arbeitete sie auch als Performerin, Choreografin, Tänzerin und Musikerin. Der internationale Durchbruch als Regisseurin gelang ihr 1992 mit der für einen Oscar® nominierten Verfilmung von Virginia Woolfs Roman „Orlando“. 2007 inszenierte sie „Carmen“ an der English National Opera. Mit den Filmen The Gold Diggers, The London Story, Yes und Rage war sie Gast der Berlinale.

Filmografie
1969 Jerk; Kurzfilm 1970 Play; Kurzfilm 1971 Hors d’oeuvres; Kurzfilm 1979 Thriller 1983 The Gold Diggers 1986 The London Story; Kurzfilm 1987 Tears, Laughter, Fears and Rage; TV-Serie 1988 I Am an Ox, I Am a Horse, I Am a Man, I Am a Woman; Dokumentarfilm 1992 Orlando 1996 The Tango Lesson (Tango-Fieber) 2000 The Man Who Cried (In stürmischen Zeiten) 2004 Yes 2009 Rage 2012 Ginger & Rosa 2017 The Party