67. BERLINALE vom 9. bis 19. Februar 2017, WETTBEWERB, Teil 11

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – BLEIERNE ZEIT kam mir in den Sinn bei den langen Schweigepassagen zwischen Vater und Sohn und den stundenlangen Autofahrten durch das nördliche Norwegen. Dahin hat es nämlich den in Berlin lebenden Österreicher Michael (Georg Friedrich) kurzfristig verschlagen, weil sein Vater dort lebte und gerade verstorben ist.


Er muß nun – eine Schwester will nicht mal mitfahren – den Nachlaß und die Beerdigung regeln und bittet seinen bei der Exfrau lebenden Sohn Luis (Tristan Göbel) , ihn zu begleiten, was dieser auch tut, aber seine negativen Gefühle dem Vater gegenüber jeden Tag und jede Stunde deutlich artikuliert. Ein Pubertierender eben. Das kennt man doch, daß ein Satz wie: „Ich hasse Dich“, einfach fallen muß. Von daher ist die eingeschränkte, vom Vater erwünschte, vom Sohn abgelehnte Kommunikation gut verständlich. Nicht verständlich ist etwas anderes.

Als die beiden im Haus des Vaters/Großvaters ankommen, staunt Michael erst einmal, daß sein Vater ein regelrechtes Manuskript für ein Buch abgeschlossen hatte, dann aber wird ratzfatz eingepackt, was nach Hause mitsoll, denn Michael will eine Autotour durch Norwegen anschließen, wozu die Wanderausrüstung einschließlich Zelt etc. gehört. Der Sohn soll mit, was er gezwungenermaßen tut. Auf der Hinfahrt ins Haus des Großvaters hatte Luis seinem Vater erzählt, wie positiv seine Erinnerung an diesen sei, weil dieser einmal ein Baumhaus für ihn gebaut habe. Und dann fragt der Junge, einen Amethyst in der Hand, ob er diesen behalten dürfe, was der Vater bejaht. Das war die gesamte Kommunikation über den Verstorbenen zwischen Vater Michael und Sohn Louis.

Während wir im Kinosessel noch darüber nachdenken, daß hier wohl der Sohn vorbereitet wird, wie er dereinst auch das Erbe seines Vaters übernehmen, hüten oder wegwerfen wird, wir also in der ganzen Szenerie auch eine Einübung für den Jungen sehen, wird den ganzen Film über nie wieder auch nur ein Wort über den toten Vater/Großvater gesprochen. Das ist völlig unnatürlich, denn auch, wenn die Nähe heute zum verstorbenen Vater fehlte, hatte Michael als Kind doch einen Vater und Eltern sind einfach etwas, das Kindern ein Leben lang anhaftet. Und genauso unnatürlich ist es, daß der Junge, der dem  Großvater gegenüber gute Gefühle hat, kein Wort mehr zu dessen Tod sagt.

Stattdessen erleben wir Schweigen, Aggression, vorsichtige Annäherung, Sohn läuft weg, Vater holt ihn ein, harmloser Sturz des Jungen und die Zuwendung des Vaters, die darin besteht, daß Michael seinen Sohn auf dem Rücken trägt. Der Sohn kann dem Vater nicht verzeihen, daß es ihn in seinem Leben nicht gab. Das war‘s dann schon und das sollte auch kein Hinweise für zukünftige Nähe sein oder gar liebe Gefühle. Zu Hause in Berlin gehen die beiden fast grußlos auseinander.

Zum Schauspielergespann ist noch zu sagen, daß Georg Friedrich auch der schräge Klassenkamerad und Achterbahnpächter im Prater in WILDE MAUS ist und daß Tristan Göbel eine der Hauptrollen im wirklich sehr gelungenen Film vom letzten Jahr: TSCHICK spielte.

Foto: © berlinale.de


Info:
Thomas Arslan
Deutschland, Norwegen 2017
Deutsch, Englisch
mit Georg Friedrich, Tristan Göbel, Marie Leuenberger, Hanna Karlberg