Die ersten deutschsprachigen und starken Beiträge auf der Berlinale

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Michael, ein Mann Anfang 50, hat schon Einiges verbockt. Die Ehe mit seiner ersten Frau scheiterte, weil er ihr nicht treu sein konnte, seinen Sohn Luis hat er schwer vernachlässigt. Es kann den Österreicher kaum mehr erschüttern, dass er nun auch noch seine Freundin, mit der in Berlin lebt, verlieren wird, die es beruflich nach Amerika zieht.  


Nur eine Sache will Michael noch reparieren, das entfremdete Verhältnis zu seinem Sohn. Er reist mit ihm nach Norwegen. Aber die erhoffte späte Versöhnung will nicht gelingen, blockt doch der Teenager jeden Versuch, mit ihm ins Gespräch zu kommen, patzig ab, geht fortwährend in Opposition zum Vater, bis er ganz explizit sagt, dass er ihn hasst.


Mit „Helle Nächte“ zeigte die Berlinale den ersten deutschen Beitrag im Wettbewerb von Thomas Arslan. An dessen subtiles, großartiges Kammerspiel „Ferien“, 2007 im Panorama der Berlinale, reicht das Roadmovie nicht heran. Es tritt zu lange auf der Stelle, die sparsamen Wortgefechte vor ebenso karger Gebirgskulisse bieten zu wenig Stoff.


Dagegen versteht der Österreicher Josef Hader, mit seinem Regiedebüt „Die wilde Maus“ ein ungleich größeres Interesse an seinen Figuren zu wecken. Auch wenn er seine Geschichte um einen Musikredakteur, der seine Arbeit verliert, mit kleinen Sachbeschädigungen Rache nimmt und sich schließlich eine Waffe kauft, komödiantisch reiflich überzeichnet, und die Medienkrise, auf die der vielversprechende Beginn noch anspielt, nur als dramaturgischer Aufhänger dient.


Hader selbst spielt den grantigen Kritiker Georg, den die Leute für seine vernichtenden Kritiken ebenso fürchten wie lieben, und der sich bei alledem gestresst fühlt durch seine Frau, die unbedingt schwanger werden will. Spätestens, als er mit einem alten Schulfreund mit einem ähnlichen Schicksal, den er zufällig wieder trifft, ein Fahrgeschäft im Wiener Prater aufzieht, entpuppt er sich als ein armes Würstel. Den pubertären, abstrusen, weidlich ausgewalzten Kampf zwischen ihm und dem Redaktionsleiter (Jörg Hartmann), mit dem der Film seinen dramaturgischen Tiefpunkt erreicht, hätte es zu dieser Erkenntnis allerdings nicht gebraucht.


Der polnischen Filmemacherin Agnieszka Holland gelingt mit ihrem Kino etwas, was nur wenigen gelingt: einen ganz und gar einzunehmen für Ihre Sicht. In „Pokot“, dem bislang stärksten Beitrag im Wettbewerb, geht es um die prächtigen Geschöpfe des Waldes,  Rehe, Füchse und Wildschweine. Und um grausame Menschen, die sie töten.  Einzig Duszeikjko, eine alte Lehrerin, die als Einsiedlerin im Wald lebt, macht sich zur Anwältin der Tiere, entfernt die Fallen der Wilderer, empört sich, zieht gegen die Jäger vor Gericht - jedoch vergebens.


Aber plötzlich macht jemand Jagd auf die Jäger,  und den Spuren nach sieht es fast so aus, als hätte vielleicht die Natur zurückgeschlagen. Man denkt an die „Vögel“ von Alfred Hitchcock, aber dann verlässt der Film seine märchenhafte Bahn und wird politischer.
Wenn Duszeijko einmal verzweifelt einen toten Eber umarmt und streichelt,  möchte man mit ihr weinen. Die Geduld für die dummen Ausreden der Schlächter hat sich erschöpft.

Foto: Die wunderbare Terfreundin (c) berlinale.de