Berlinale Tagebuch 2017, Teil 4

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Die Kollegen drängeln, schubsen, drücken, um den Berlinale-Palast zu verlassen. Doch auf den Treppen bleiben viele plötzlich wie angewurzelt stehen, um E-Mails zu checken. Kein Rauskommen.

Das ist die Gelegenheit, meine Medizin gegen trockene Augen einzuträufeln. „Kannste auch keine Filme mehr sehen?“ Den Joke höre ich seit Jahren. Mittlerweile habe ich mich eingelebt, mein Zeitgefühl verändert sich. Streifen, die ich vor Tagen gesehen habe, sind weit weg.


Einen Film sehe ich neben einer Übersetzerin. Ich habe noch nie über die Stimmen nachgedacht, die aus den kleinen Übersetzungsgeräten säuseln. Die Frau schaut immer vorher die Filme und dolmetscht in den Pressekonferenzen die Diskussionen. Sie liebt Kino und natürlich ihren Festival-Job: „Das ist schon anders, als bei der Landwirtschaftsausstellung“, meint sie. Von ihr erfahre ich, dass sie auch Interviews betreut. Also hätte ich, selbst mit meinem schlechten Englisch, Regisseur Aki Kaurusmäki interviewen können...


Es ist schon ein großes Privileg, neben den vielen neuen Filmen die ich sehen kann, hier als „Tagespresse“ akkreditiert zu sein. Draußen stehen die Leute in der Kälte am Hinterausgang des Pressecenters oder am roten Teppich, um Blicke auf ihre Stars zu erhaschen. Mir sitzen sie, meist ungeschminkt und in einfachen Klamotten, einige Meter gegenüber und ich kann sie in den Konferenzen zu ihrer Arbeit befragen.


Tja, drei bis vier Filme am Tag, wie schafft man das? „Ich könnte das nicht“, meinen viele Freunde. Manchmal bin ich schon müde, aber ich wähle die Streifen gut aus, so dass die meisten meinen Geschmack  treffen und mich begeistern. Im Kino schreibe ich dann mir wichtige Szenen oder Dialoge auf, notiere direkt, was mich ärgert oder fasziniert. Die Konferenzen vertiefen oft meine Eindrücke. Nach einem Kaffee habe ich dann Kopf und Seele halbwegs frei und kann mich auf die nächste Vorführung freuen. Wie jetzt auf den polnischen Wettbewerbsbeitrag „Spoor“.