67. BERLINALE vom 9. bis 19. Februar 2017, WETTBEWERB, Teil 14
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) - Wie freut man sich, wenn ein bedeutender Filmemacher auch mit dem neuesten Film einen großen Wurf hinlegt! Der Finne Kaurismäki greift als Drehbuchautor und Regisseur das zentrale politische Problem Europas auf: Flüchtlinge aus Nahost und was mit ihnen passiert..
Das Entscheidende aber ist, daß er dies in tragikkomischer Form tut und die Flüchtlinge weder als arme Opfer, noch als raffinierte Wirtschaftsflüchtlinge rüberkommen, sondern als Menschen mit einem individuellen Wesen und einer je eigenen Geschichte. Hier erleben wir zu Beginn wie Khaled sich aus einem Kohlehaufen herausschält, als das Frachtschiff in Helsinki anlegt. Er hatte sich – wie er später der finnischen Ausländerbehörde erzählt – dorthin gerettet, aber dann fuhr das Schiff einfach los. Darum ist er da und beantragt nun politisches Asyl. Eigentlich gibt ihm die Situation in Aleppo recht, die noch am gleiche Abend im Fernsehen von der Bombardierung eines Kinderkrankenhauses und den Toten künden, an dem ihm am Morgen mitgeteilt wurde, daß die Behörde die Einschätzung habe, daß Leben in Aleppo nicht gefährdet sei, und deshalb seinen Asylantrag ablehnt.
Diese Geschichte wird im Wechsel erzählt mit der des Handelsvertreters Wikström, Waldemar, den wir kennenlernen, als er zu Hause seinen Koffer packt, den Ehering auf den Tisch legt, die Hausschlüssel dazu, denn seine Frau will nicht mehr. Nicht mehr mit ihm. Er trägt das mit Fassung und beschließt, einen Traum wahrzumachen, nämlich ein Restaurant aufzumachen. Er verkauft sein Lager mit 3 000 Hemden. Aber sein Geld reicht nicht und darum begibt er sich in eine verbotene Glücksspielhölle, wo er die ausgefuchsten Spielfüchse am Spieltisch abzockt, Lokalverbot erhält, aber mit genug Geld abhauen kann, um dieses Lokal zu erwerben, das im Titel zwar ‚Goldener Krug‘ führt, aber eine ziemliche Spelunke etwas abseits gelegen ist.
Ach, es geht gar nicht allein darum, die abgründig komische Geschichte zu erzählen, sondern in gleichem Maße darum, wie Kaurismäki uns mit den Menschen und Situationen bekannt macht. Eine solche Individualität, eine solche Ausprägung von Charakterzügen, die wirklich die handelnden Personen einzigartig macht, kennt man aus dem Kino einfach nicht. Das Besondere daran ist, daß ihre Darstellung nicht in die Karikatur abgleitet, aber jeder unsterblich komisch ist, so daß man nie genau weiß, ob man jetzt lachen oder weinen soll – und sich fürs Lachen entscheidet. Damit haben wir jetzt umgangen, die aberwitzige Truppe der drei Angestellten vorzustellen, die Wikström im Lokal mitübernimmt und die einen eigenen Dokumentarfilm wert wären. Eben einen fiktionalen Dokumentarfilm..
Und jetzt, nachdem die beiden Stränge im Film parallel erzählt wurden, verbinden sie sich. Denn Khaled soll abgeschoben werden, flieht aber und versteckt sich hinter den Mülltonnen des Lokals, wo er auch schläft, und von Wikström gefunden wird. Ein kurzer Schlagabtausch genügt und schon nimmt der Chef den Flüchtling unter seine Fittiche und läßt ihn im Lokal den Ausputzer machen. Papiere? Das ist kein Problem. Ein jugendlicher Hacker fälscht für einen Tausender einen Ausweis, immerhin so gekonnt, daß Khaled bei einer Personenkontrolle durch die Streifenpolizisten unbehelligt bleibt. Damit wäre ja alles in Ordnung. Aber zwei Dinge sind für den Film noch wesentlich.
Khaled ist auf der Suche nach seiner Schwester, die irgendwo in Europa gestrandet ist. Sie weiß noch nicht, daß die übrige Familie in Aleppo umgekommen ist. Sie zu finden und ihr Sicherheit zu geben, gilt sein ganzes Bestreben. Und mit der Hilfe von Wikström, der sich schon lange von einem langweiligen Angestellten und Ehemann zu einem cleveren und gutherzigen Geschäftsmann entwickelt hatte, kommt die in Litauen aufgetauchte Schwester nach Finnland.
Das Zweite ist das gesellschaftliche Klima in Finnland. Da finden wir auf der einen Seite Altmännerbands, die auf der Straße Rock‘n Roll und anderes darbieten. Überall wird Musik gemacht, immer sind es ältere gutgelaunte Männer. Eine entspannte, ja lustvolle Öffentlichkeit. Und da gibt es die Rechtsradikalen auf den Straßen, die nicht nur Ausländer hassen, sondern diese zusammenschlagen und abstechen. Auch dabei sind Kaurismäki so wunderbare Szenen gelungen, daß man sich unentwegt sagt: Dieser Mann kann wirklich Filme machen.
Das heißt auch, daß dieser Film ein nicht nur möglicher, sondern auch wahrscheinlicher Bärengewinner wäre- bisher. Und das sage ich, obwohl mir persönlich der in seiner zwischen Märchen und besserem Leben angesiedelte Film über die rasante polnische Tierfreundin in POKOT besonders am Herzen liegt, wie ich auch den ungarischen Beitrag BODY AND SOUL erstaunlich und erstaunlich gut fand.
Welch barocke Gestalt Aki Kaurismäki ist, konnte man in der Pressekonferenz bestaunen. Der Mann hat einen Mutterwitz und eine persönliche Ausstrahlung, die umwerfend ist. Und als er noch bei einer etwas dümmlich gestellten Frage nach der Islamisierung Europas zuerst damit antwortete, ja es sei schlimm, wie Island die Islandisierung Europas betreibe und dann mit einem Zitat von Niemöller inhaltlich antwortete, wußte er zwar, wie der ganze Saal, nicht, daß diese Worte der protestantische Pfarrer und Widerstandskämpfer, über den heute niemand mehr redet, gesagt hatte, aber gerade deshalb soll das von Kaurismäki gebrachte Zitat Niemöllers hier zitiert werden:
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Martin Niemöller
Foto: © berlinale.de
Info:
Aki Kaurismäki
Finnland / Deutschland 2017
Finnisch, Englisch, Arabisch
98 Min · Farbe · 2K DCP, 35 mm
mit
mit Sherwan Haji, Sakari Kuosmanen, Janne Hyytiäinen, Ilkka Koivula, Nuppu Koivu