Kolumne: Berlinale, Die Dritte
Jackie Schwarz
Berlin (Weltexpresso) - Klassische Musik im deutschen Kino ist eine Seltenheit geworden. Da wird man mitunter ziemlich voll gedröhnt mit Techno- und Discomusik, das wird mir oft zu laut.
Umso mehr erfreut es mich, wenn hier und da bei Altmeistern oder im internationalen Kino die Klassik noch eine Rolle spielt. Allerdings bergen geniale Werke auch eine Gefahr: Wenn die Geschichten auf der Leinwand zu nichtssagend und lapidar erscheinen, wird die Fallhöhe zu groß.
Im Wettbewerb der Berlinale laufen zwei Filme, auf die das zutrifft:
Volker Schlöndorff versucht es in seiner Max- Frisch - Adaption „Rückkehr nach Montauk“ mit dem Adagietto aus Mahlers Fünfter. Dieses Stück ist besetzt durch ein Meisterwerk der Filmgeschichte: „Der Tod in Venedig“ von Visconti.
Auf diese elegische Thomas Mann - Verfilmung wirkt diese Musik wie zugeschnitten, die subtil erzählte platonische Liebesgeschichte des Gustav Aschenbach, hinter dem sich freilich der Komponist Mahler verbirgt, besitzt eine vergleichbare Tiefe.
Im Film von Schlöndorff wirkt sie alles andere als zwingend. Zum einen liegt das an Stellan Skarsgard, dem man nicht abkauft, dass ihm in diesem Moment große Gefühle überkommen und der so wenig Charme, Charisma und Ausstrahlung besitzt, dass man sich über seinen behaupteten Erfolg bei Frauen nur wundert.
Zum anderen würde man einen Bezug zum Film von Visconti erwarten, sonst hätte es auch ein weniger filmhistorisch besetztes Stück sein können.
Mit dem langsamen Satz aus dem Streichquintett von Franz Schubert hat auch der Koreaner Hong Sangsoo eines der bedeutendsten Werke der Kammermusik für seinen Film „On the beach at night alone“ gewählt. Er spielt diesen Satz schon im Vorspann und dann zwischen den einzelnen Kapiteln lang aus. Aber auch hier wirkt die Genialität Schuberts gegenüber der banalen Handlung um eine junge Frau, die ihrer gescheiterten Liebe mit einem verheirateten Mann nachtrauert, total überhöht. Wo Mimik und Gestik versagen, soll es die Musik richten. Schlecht beraten.
In einem einzigen Film hätten beide Stücke tatsächlich gepasst: in dem serbischen Film „Requiem for Mrs.J” in der Reihe Panorama Spezial.
Die großartige Mirjana Karanovic spielt in diesem Drama eine Frau, deren Lebensenergien aufgebraucht sind, von ihrer anstrengenden Arbeit, die sie eines Tages verlor, von der Armut, den undankbaren Kindern, die ihr noch Vorwürfe machen, dass es ihnen schlecht geht, und zu guter Letzt von dem Verlust ihres verstorbenen Mannes. Sie hat nur noch ein Ziel vor Augen, will dem Leben ein Ende setzen, aber die Behördengänge, die erforderlich sind, um ihre Krankenversicherungskarte zu verlängern, die ihr einen Termin bei einem Arzt ermöglich soll, der ihr die Schlaftabletten verschaffen soll, arten zu einem aussichtslosen Unternehmen aus. Zu diesem Stationendrama hätte Mahler oder Schubert tatsächlich gepasst. Aber es kommt ganz ohne Untermalung aus. Und das ist viel besser als die falsche Musik.
Foto: Aus dem Film des Koreaners Hong Sangsoo (c) Kim Jinyoung © 2017 Jeonwonsa Film Co.