Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. August 2012, Teil 1

 

Romana Reich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Diese Woche kann man wieder einmal erleben, wie verrückt Kino sein kann und je verrückter, desto mehr bei sich und je normaler in den alten Bahnen, desto vorhersehbarer und am Ende dadurch fast langweilig. Fast. Dazu noch mehr, denn es geht dabei um Woody Allen, während jetzt erst einmal die Überraschung kommt.

 

HOLY MOTORS

 

Atemlos zugeschaut. Nichts verstanden. Alles verstanden. Und dann war es aus und ein tiefes Bedauern, daß man in die Normalität des Alltags zurückmuß, wo das Abenteuer auf der Leinwand einen gerade so aufgebaut hatte, daß man hätte abheben können, hätte man nur ein Flugzeug dabei gehabt oder wenigstens eine weiße Strechlimousine.

 

Richtig. Die erinnert Sie an was. Uns auch. Denn in dem aufgeblasenen New York Film COSMOPOLIS um diesen reichen Bankmenschen, gespielt mit gelangweilter Miene von Robert Pattinson, spielte auch die Strechlimousine die Hauptrolle. Denn die kam nicht vorwärts im Stau von Manhattan, weshalb dieser junge reiche Schnösel dauernd Besucher drinnen hatte oder selber welche machte. Das absolute Gegenteil des amerikanischen Films ist dieser, eine französisch-deutsche Zusammenarbeit, wobei sich das Deutsche wahrscheinlich auf die Finanzierung bezieht, denn Hauptdarsteller Denis Lavant hat Eva Mendes, Kylie Minogue und vor allem Edith Scob an seiner Seite und Michel Piccoli kommt auch vor! Und der Wagen schnell voran.

 

Leos Carax hat diesen undurchsichtig-durchsichtigen Film gedreht und auch das Buch dazu geliefert. Ideen hat der Mensch! Da fängt der Film so bürgerlich an, wie es nur geht, wenn einer, der Oscar heißt, mit Schlips und Köfferchen so ein richtiger reicher Finanzheini das Haus am Rande von Paris verläßt und ihm vom Dach aus die Kinder den Gruß für den Tag nachrufen. - Erst am Schluß fragen wir uns, ob dies auch eine gespielte Rolle war, denn er ist ja ein Angestellter, der nur Aufträge ausführt. - Er steigt in den Wagen und fährt. Ach nein, ein Chauffeur, aber es kommt noch schlimmer.

 

Denn nun ist es eine strenge gestylte Chauffeuse (die 'alte' Dame des französischen Films Edith Scob), die ihn beim Umsteigen in den Riesenwagen empfängt, den Schlag öffnet – von einer Strechlimousine, in der er in den Akten zu studieren anfängt. Aha, also zu einem Treffen von Großkopferten, denkt man noch, als man sich zu wundern anfängt, warum sich der Büromensch in den rückwärtigen Wagen zurückzieht und seltsame Sachen hervorholt, Kleidung und Haare und Bart und vor allem Schminkzeug. Denn seine Rollen, die er kostümiert zu spielen hat, stehen in diesen Akten.

 

Dann stolpert an einer Brücke eine verlotterte Gestalt aus dem edlen Wagen und sammelt die Groschen der Passanten ein, die ihn aber immer wieder aus dem Weg jagen. Ein Bettler also, der Vorstadtmensch, der so sein Geld macht? Ach, ziemlich bald ist einem egal, warum etwas wie und was in diesem Film passiert, weil man dieser 'menschlichen Komödie' einfach folgen muß. Das ist die Aufhebung von Zeit, auch von vorzeigbarem Sinn. Es ist das pure Sein, die totale Veränderung eines – wie man glaubte – Durchschnittsmenschen, dessen Verwandlungen eben nicht nur Sache der Schminke oder Kleidung ist, sondern so durchgehend körperlich angelegt ist, daß einem immer wieder der Atem stockt.

 

Jede der Verwandlungen in eine Rolle heißt auch eine spezielle Episode zu erleben. Die wollen wir hier nicht weitererzählen, sondern nur betonen, daß Sie Ihren Augen nicht trauen werden. Sei es auf dem Friedhof – der die mit großer Lust die Grabblumen fressende alter ego, ein Ausbund von Häßlichkeit, ist vielleicht die sinnlichste Verkörperung im Wechselspiel – oder in den Abwasserkanälen, aber auch in der Mixed Martial Arts Episode. Es sind zehn Verwandlungen und wenn Sie den Film gesehen habe, entschweben Sie dem Kino geläutert und auf eine spezielle Art weise geworden, daß Ihnen so schnell keiner dumm kommt. Auf die vielen vielen Zitate im Film – filmische, literarische, personelle - konnten wir jetzt nicht eingehen. Der Film 'funkioniert' auch ohne deren Kenntnis.

 

 

AM ENDE EINES VIEL ZU KURZEN TAGES

 

Eine Romanverfilmung. Ein Fünfzehnjähriger hat Krebs und kämpft gegen seinen potentiellen Tod mit selbstgeschaffenen Comics an. Hauptdarsteller Thomas Brodie-Sagnster ist phantastisch.

 

CHICO & RITA

 

Sehr schön. Sehr ungewöhnlich, wen sich sowohl die USA und Kuba treffen, aber auch Musik und Animation. Eine Liebesgeschichte transportiert die lateinamerikanischen Rhythmen.

 

DOPPELLEBEN

 

Witzig gemacht, wenn deutsche Politdoubles dokumentiert werden, was Douglas Wolfsperger gelang.