Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. März 2017, Teil 3


Filmheft


Paris (Weltexpresso) - Die Grundidee zu meinem Film entstammt einem Roman von Milena Agus, der mir auf sehr kraftvolle Weise vor Augen führte, wie ein Frauenschicksal aussehen kann. Aber Romane verlangen nach Interpretation und Neuerfindung. Um eine Geschichte als meine eigene erzählen zu können, muss ich sie mir aneignen können, ohne Wenn und Aber.

Es ist ja durchaus möglich, von einer Originalgeschichte abzuweichen, ohne ihre eigentliche Bedeutung, ihren innersten Kern zu verraten, und ich glaube, das ist Jacques Fieschi und mir gelungen, als wir das Drehbuch schrieben. Wir haben tatsächlich viele Dinge verändert, weiterentwickelt und neue Sachen hinzuerfunden. Aber ich habe nie aus den Augen verloren, was es war, dass mich ursprünglich zutiefst an dieser Geschichte bewegt hatte, also den eigentlichen Grund, weshalb sie mich dermaßen fasziniert.


Das Schicksal dieser Frau wird für mich durch das Imaginäre verkörpert, jene schöpferische Kraft, zu der wir alle fähig sind, wenn uns das, was wir fühlen und nach dem wir streben, an unsere Grenzen und darüber hinaus bringt. Gabrielle zeichnet sich schon in jungen Jahren durch eine intensive Sexualität aus, die sie als „die Hauptsache“ bezeichnet, diese süße Flucht in Lust und Liebe, dieses animalische Feuer.

Doch damit stößt sie bei dem Mann, mit dem sie schlafen möchte – dem Dorflehrer – auf brutalen Widerstand, und schließlich wird sie auch noch von ihrer Familie und der Gesellschaft jener Zeit – wir schreiben die 1950er Jahre – geschmäht und verurteilt. Trotzdem gibt sie sich selbst nicht auf – obwohl sie zwangsverheiratet und damit aus dem Weg geräumt wird. 17 Jahre ihres Lebens umfasst der Film und in dieser Zeit verliert sie nichts von ihrer pulsierenden Kraft, die dafür sorgt, dass sie die Welt, die sie umgibt, für sehr mittelmäßig hält.

Ihr Wahnsinn – beziehungsweise das, was die anderen als Wahnsinn bezeichnen – hilft ihr, an ihren Träumen festzuhalten. Als sie rebelliert und gebrochen wird, scheint sie sich zu fügen, doch in Wahrheit lässt sie nicht von ihren Überzeugungen ab. Als ihr endlich die große Liebe begegnet – und diese Ekstase ihrem Leben einen neuen Sinn geben könnte –, droht das Schicksal jedoch, sie ihr erneut zu nehmen. In dieser Situation beweist sie aber, wozu ihre Leidenschaft sie befähigt.

Gabrielle lebt zwischen zwei Welten: der archaischen Vergangenheit und einer hoffnungsvollen Zukunft, die größere Freiheiten verheißt. Weibliche Figuren werden für mich immer dann interessant, wenn sie dieses lebendige, bebende, poetische Etwas besitzen. Der Wahnsinn der Frauen ist eine Sache, die mich ungeheuer fasziniert, jene Zerbrechlichkeit, die die Gefahr in sich birgt, dass sie jederzeit aus dem Tritt geraten können und womöglich in eine Katastrophe steuern. Ich mag aber auch die männlichen Figuren – José, den Ehemann, und Sauvage, den Liebhaber. Was ich an ihnen mag, ist ihre Zurückhaltung, ihr Mut, ihr Schweigen. Zu den Eckpfeilern romanhafter Geschichten zählt, dass die Figuren nicht stagnieren dürfen, nicht zu Gefangenen ihrer Situation werden, sondern den Eindruck erwecken, sie würden vor unseren Augen ihr Leben improvisieren. Die Handlung schreitet nur ihretwegen voran, man verfolgt gespannt, was sie als nächstes tun werden, man beobachtet, inwieweit ihr Verhalten korrekt ist, aber auch, wohin ihre Fantasie und überraschende Fehltritte sie jenseits dieser Korrektheit führen. Es sind solche Freiheiten, die es einem ermöglichen, authentisch wirkende Dinge einzufangen.

Für die Besetzung der weiblichen Hauptrolle habe ich sofort an Marion Cotillard gedacht. Und mir fiel beim besten Willen keine Alternative ein. Also habe ich mich geduldet, bis sie ihre Filmverpflichtungen in den USA erfüllt hatte. So läuft es nun mal, und im Nachhinein bin ich froh, dass ich gewartet habe. Marion ist eine sehr gründliche Schauspielerin. Ihr Engagement und ihr Vertrauen haben mich zutiefst beeindruckt, aber auch, wie sehr sie sich fallen lassen kann. Sie hat sich eigenständig auf die Rolle vorbereitet und viele Dinge in ein Notizbuch geschrieben, das sie, wie ich ein paar Mal beobachten konnte, immer wieder aufschlug. Die Sinnlichkeit, die sie in diesem Film ausstrahlt, hat meiner Meinung nach im Kino Seltenheitswert. Beim Spielen hat sie sowohl die animalische als auch die obsessive Seite von Gabrielle – diesen schöpferischen Wahnsinn – auf den Punkt gebracht.

Ich mag die Geschichte, weil sie auch in meinem Leben ihren Widerhall findet. Für mich repräsentiert sie das Imaginäre, seine Stärke und heilsame Kraft. Was Gabrielle durchlebt, habe ich ebenfalls erlebt und viele andere Frauen auch. Diese Stärke ist ein Teil von uns, eine Stärke, die universell ist und das Leben überlebensgroß gestaltet, und sie ist es, die uns das Wunderbare anstreben lässt, das Unbekannte.

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