Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. März 2017, Teil 7

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es handelt sich um eine Dokumentation über den russischen Konzeptkünstler Pjotr Pawlenski, der durch gewagte Aktionen, die an die Körperdeformationen des Wiener Aktionismus, hier vor allem Rudolf Schwarzkogler erinnern, gegen den verheerenden Einfluß der Mächtigen protestieren will, um alle Bürger aufzurütteln, was vor sich geht.


Die deutsche Regisseurin Irene Langemann stellt Pjotr Anrejewitsch Pawlenski als Politkünstler vor, der aufklärerisch seinen eigenen Körper als Instrument nimmt, also sich permanent selber verletzt, um die Öffentlichkeit auf die Mißstände in Rußland überdeutlich hinzuweisen. Wir haben ihn erstmals wahrgenommen, als er sich anläßlich der Festnahme der Band Pussy Riot 2012 den Mund zunähte. Echt. Nicht metaphysisch, sondern physisch. Das tut schon beim Hinschauen weh und setzt in einem selber eine innere Diskussion in Gang ob der Mittel der Selbstverletzung.

Von daher fordert der Film vom Zuschauer einiges an Toleranz oder auch Erduldungsmechanismen. Darüber zu schreiben, ist einfacher, als sich das anzusehen: Er wickelt sich nackt in Stacheldraht , also die Stacheln direkt auf die Haut und legt sich so in St. Petersburg auf die Straße. Furchtbar. Noch schlimmer die Aktion, als er seine Hoden – ebenfalls nackt – in Moskau auf dem Roten Platz festnagelt. Das war eine Aktion gegen die Korruption der russischen Polizei. Auch wenn mir die männlichen Kollegen sagten, daß Hoden relativ schmerzunempfindlich seien und wir eben keine haben, fühlt man den Schmerz.

Die Frage ist eben, ob diese Aktionen geeignet sind, die Öffentlichkeit aufzuklären und aufzurütteln. Nach Pawlenskis Ansicht sind politische Künstler in Putins Russland zum Schweigen verurteilt. Mit seinen Aktionen möchte er die Beziehungen zwischen der Macht und der Gesellschaft zum Ausdruck bringen. Politische Kunst heißt für Pawlenski, die Hebel und die Mechanik der Macht darzustellen.


Auf jeden Fall hat aber nicht die Selbstverletzung, ein Ohrläppchen hat er sich auch abgeschnitten, die große Gegenwehr des Staates hervorgerufen, denn er wurde nach kurzfristigen Festnahmen, schnell wieder freigelassen. Es war Ende 2015, als er die Eingangstür zum russischen Geheimdienst FSB anzündete und endlich die Reaktion durch Festnahme und einen Prozeß so öffentlich hatte wie er wollte. Er wurde nach längerer Haft, die für ihn so entsetzlich war, daß er nie wieder ins Gefängnis will, zu einer Geldstrafe verurteilt.

Zu seinem Ausbildungsprozeß sagt er: „Ich habe an einer Kunsthochschule studiert. Und es wurde Jahr für Jahr deutlicher, wie das rigide System funktioniert. Wie aus zukünftigen Künstlern, die Kunst machen wollen, Bedienungspersonal gemacht wird.“


Der Film bringt zum einen die politischen Aktionen des 33 jährigen Konzeptkünstlers im Körpereinsatz, zum anderen aber auch die privaten Verhältnisse. Er hat eine blondierte Frau und zwei kleine Töchter, die aber keine Rolle spielen, sondern in den Filmaufnahmen recht verloren vor sich hinspielen. Die Frau ist diejenige, die das Geld verdient, wobei aber nicht gesagt wird, womit, denn gleichzeitig ist sie diejenige, die zu Hause die Kinder beaufsichtigt, die nicht in die Schule geschickt werden, damit sie nicht verbildet werden. Die Aussagen der Frau des Künstlers sind sehr gelassen. Angst um ihren Mann hat sie nicht. Ungemach kann sie ertragen.

Sein Anwalt  Dmitri Dinze kommt mehrmals zu Wort: „Die Einschätzung ist eindeutig: Nach der Rechtslage gibt es keinen Straftatbestand. Ein hoher Rechtshüter in Moskau oder St. Petersburg war wohl erzürnt. So kam der Befehl einen Kriminalfall zu erfinden und aus ihm einen gewöhnlichen Kriminellen zu machen. Früher hat man Künstler nicht belangt. Hier hat man entschieden, mit Pawlenski einen Präzedenzfall zu schaffen.“ Aber es gibt auch einen  Ex-Untersuchungsrichter, der interviewt wird. Pavel Jasman sagt: „Ich glaube, es ist ein politischer Prozess. Die Strafsache wegen Vandalismus dürfte nicht vom Untersuchungsrichter des Ermittlungskomitees aufgeklärt werden. Das Ermittlungskomitee beschäftigt sich mit schweren Verbrechen: mit Morden, Vergewaltigungen, Schmiergeldzahlungen, aber nicht mit Vandalismus.“


Leider versäumt es die Regisseurin die Fragen zu stellen, die einen bei den Aufnahmen auf der Seele brennen. So zum Beispiel nach der Lebensgrundlage des Paares. Sie arbeitet an einem Mac von Apple , auch der Rechtsanwalt , der Pawlenski verteidigt und der Ex-Untersuchungsrichter (von was lebt er heute? Und ist das so einfach in Rußland, sich aus dem Staatsdienst zurückzuziehen?), haben einen Mac. Daß man in Hollywoodfilmen und den europäischen Spielfilmen auch, immer für Internetarbeiten allein die Appleprodukte sieht, ist man schon gewohnt. Wieso aber in einem Dokumentarfilm die doch politisch Gefährdeten, gesellschaftliche Underdogs,  alle an Macs arbeiten, hat uns nachhaltig verstört. Und eben auch, warum die Regisseurin weder hier noch bei anderen Sachverhalten nachfragt, sondern eher eine filmische Heldenverehrung abdreht.

Inzwischen ist sowieso alles anders. Pawlenski ist nicht mehr in Rußland. Und Schuld ist eine russische Schauspielerin. Die habe, so äußerte sich Pawlenski gegenüber Doschd, einem russischen Oppositionssender, ihm und seiner Frau vorgeworfen, sie gemeinsam vergewaltigt zu haben. Dieser Versuch, ihnen einen sexuellen Übergriff unterzujubeln, könnten ihm und seiner Frau in Rußland bis zu zehn Jahren Haft einbringen. Deshalb sei er über Weißrußland in die Ukraine gelangt und von dort nach Frankreich geflogen, wo er um politisches Asyl gebeten hat. Das war Mitte Januar.

Erstaunlich, wie wenig man von Pawlenski in Deutschland mitbekommt. Denn gerade mal das Türanzünden ist hier verbreitet worden, aber nicht seine vorherigen Aktionen und auch nicht die Festnahmen und Prozesse gegen ihn. Das steht völlig im Gegensatz zur Aufmerksamkeit, die die Vorgänge um Pussy Riot erfuhren, so daß wir einfach fragen müssen, was hier los ist. Der Film hat mich eher nachdenklich gemacht, denn eine große Solidarität mit dem Künstler hergestellt.