Zur Verfilmung des Kinderbuchklassikers am Ostersonntag in der ARD, Teil 1/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Was wäre die Nachkriegszeit für Kinder ohne die Bücher von Erich Kästner? Ich auf jeden Fall erinnere mich genau an jedes einzelne. Wann ich es bekam, was ich dabei fühlte – die Eisenbahnfahrt nach Berlin von EMIL UND DIE DETEKTIVE mit den Geldscheinen und der Nadel verfolgt mich bis heute – und wie das Leben dann später ohne Erich Kästner und seine Bücher weiterging.

Schaut man heute in den Roman von den Zwillingen hinein, dann wundert man sich erst einmal über den Weitblick von Kästner, der, als er 1945 seinen Drehbuchentwurf zu einem Roman ausweitete, schon unsere heutige Welt mitsah. Ja, die Welt ist seltsam. Aus einem Drehbuch, das der ab 1942 erneut von den Nazis mit Schreibverbot belegte Autor dann 1945 schrieb, wurde 1950 die erste Verfilmung. Und da waren die beiden Orte, um die es im Original geht, schon sehr weit auseinander: Wien, die wie Berlin viergeteilte Stadt, wo Luise Palfy bei ihrem Vater wohnt und München in der amerikanischen Zone, wo Lotte mit ihrer Mutter zu Hause ist.

Und warum das Buch nicht DIE DOPPELTE LUISE heißt, ist auch klar, denn die Mutter – ja, Mütter fühlen doch mehr als Väter? - merkt ja, daß da etwas nicht stimmt, daß aus ihrem bescheidenen Lottchen die aufmüpfige Luise geworden ist. Ihr Lottchen hat sich verdoppelt. Aber im Kinderheim merken es auch die anderen Kinder, bis die Zwillinge selbst draufkommen. Und jetzt beim Niederschreiben sind die Kindergedanken wieder da, wie sehr sich die Verdoppelung auch im Namen vom DOPPELTEN LOTTCHEN wiederfindet – hier als Buchstaben wohlgemerkt.

Nein, wir wollen jetzt keine Exegese anstimmten, über damals und heute, sondern nur noch daran erinnern, daß der Film von 1950 von Josef von Báky die erste und sehr gelungene Verfilmung war – kein Wunder, das Drehbuch schrieb doch Autor Erich Kästner, der auch die Erzählerrolle spricht. Auch daß es bis heute wohl mindestens 14 Verfilmungen gibt, von Japan über England nach Polen und Schweden, soll keine Rolle spielen, sondern wir wollen uns nur mit der Verfilmung vom Ostersonntag, wo Lancelot von Naso Regie führte, beschäftigen und damit, ob und gegebenfalls welche grundsätzlichen Unterschiede zum Buch von 1945 und dem ersten Film von 1950 diese Geschichte heute für Kinder und Jugendliche, ja und auch Erwachsene aufweist.

Ich weiß, wovon ich spreche. Daß Eltern getrennt sind, kam in der Nachkriegszeit sogar viel öfter vor, als es gesellschaftlich akzeptiert war. Damals hatten Kinder einen Vater und eine Mutter oder nur die Mutter, weil der Vater im Krieg gefallen war. Punkt. Geschiedene Eltern? Eine Mutter, die ihren Beruf hat, weshalb das Kind kochen lernt und anderes...Das war eine absolute Ausnahme, nachdem die Trümmerfrauen ihren Dienst an der Gemeinschaft geleistet hatten, die Männer wieder in ihre Berufe aus dem Soldatenleben zurückgekehrt waren und die Frauen zu reinen Hausfrauen wurden. Die reaktionären Fünfziger Jahre.

Warum mich DAS DOPPELTE LOTTCHEN ansprach, hatte aber genau damit zu tun. Ich hatte eine geschiedene Mutter, die arbeitete – und noch dazu gerne – und die aus Wien kam. Schon deshalb war das Interesse an diesem Kinderroman groß, oder sollte man schon Jungmädchenroman sagen – die Grenzen sind schwimmend und auch uninteressant. Erich Kästner schreibt einfach für Menschen, kleine, mittlere und große, jüngere und ältere.

Vor der Ostersonntagverfilmung und für alle weiteren Verfilmungen der Inhalt abgespeckt: zwei Mädchen treffen in einem Ferienlager aufeinander. Sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Das ist kein Zufall. Sie finden nämlich heraus, daß sie am selben Tag im selben Monat im selben Jahr in der selben Stadt geboren sind und schließen daraus, daß sie Zwillinge sind, die sich nur darin unterscheiden, daß die eine bei der Mutter, die andere beim Vater lebt. Um diese getrennte Existenz zu beenden, beschließen sie, als die jeweils andere nach Hause zu Vater und Mutter zurückzukehren und es irgendwie hinzukriegen, daß alle vier, insbesondere aber die Zwillinge wieder vereint sind.

Im Original wohnt Luise in Wien bei ihrem Vater und Lotte in München bei ihrer Mutter. Aus den Orten wird diesen Sonntag einmal Salzburg, ein andermal Frankfurt am Main. Dazu sagt Regisseur von Naso: „Ich mochte den alten ‚Das doppelte Lottchen‘-Film, an dem Erich Kästner Anfang der 50er ja selbst mitgearbeitet hat, wirklich sehr und das Buch sowieso: eine Geschichte, die eigentlich ein großes Drama ist, und doch so wunderbar leicht und oft komisch erzählt wird. Wir haben dann versucht, das ins Heute zu übertragen: modern und frech zu erzählen und trotzdem möglichst viele Elemente aus der Vorlage zu behalten. Immer mit den beiden Fragen im Kopf: Wie hätte wohl Erich Kästner die Geschichte heute erzählt? Und was für einen Film würde ich mit meinen beiden Töchtern heute gerne anschauen?“
Fortsetzung folgt

Foto: Delphine(Liottchen) und Mia (Luise) Lohmann (c) ARD

Info: