Zur Verfilmung des Kinderbuchklassikers am Ostersonntag in der ARD, Teil 2/2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ort des Geschehens des zufälligen Zusammenteffens der sich bisher unbekannten zehnjährigen Zwillinge wird der Wolfgangsee im Salzkammergut, dessen einer Teil in Oberösterreich, der andere in Salzburg Land liegt.
In Salzburg Stadt ist Luise Palfy ( Mia Lohmann) mit ihrem Vater Jan Palfy (Florian Stettner) zu Hause. Er hat eine Professur für Musik erhalten und will nun seßhaft werden, bisher nämlich sind die beiden hauptsächlich durch Afrika getourt, wo er mit einer Band Konzerte gab, komponieren tut er auch und gerade studiert er eine Oper ein. Luises Schulbildung ist deshalb auch naturwüchsig, vor allem in Mathe...Aber sie hat gelernt, sich ihrer Haut zu wehren und hat immer das letzte Wort, von denen sie übrigens viele hat.
Das Gegenteil ist die liebe, strebsame, zurückhaltende Lotte Körner (Delphine Lohmann) aus Frankfurt. Die ist schon früh von ihrer alleinerziehenden Mutter Charlize Körner (Alwara Höfels), sie hat ihren Mädchennamen wieder angenommen, eher als Partnerin denn als abhängiges Kind behandelt worden, wobei die Großmutter den reinen Frauenhaushalt immer wieder verstärkt. Lotte ist introvertiert, lernbegierig, hochmusikalisch, spielt sehr gut Klavier und ist auch noch gut in Mathe…
Luise also ist in das Ferienheim am Wolfgangsee, das Madame Muthesius führt – wie immer hinreißend Margarita Broich auf der Suche nach ihrer kleinen alkoholischen Stärkung, deshalb als Widmung an sie ein Bild von ihr, die wir sie zu der allerbesten deutschen Schauspielerin erklären - , gekommen, weil ihr Vater gerade anderes zu tun hat und sie auch europäisch sozialisiert werden soll, Lotte hingegen ist dort, damit sie aus ihrem ernsthaften Erwachsenenleben heraus mal mit Kindern herumtollen, Kind sein darf und nicht immer lnur ernen und streben soll.
Natürlich können sich solch zwei unterschiedlichen Mädchen erst einmal nicht leiden, bis sie entdecken, daß sie sozusagen immer nur halbe Teile sind und zusammen ein großes Ganzes werden. Daß sie nun aus ihrer Schwäche ihre Stärke machen, ist im Sinn des Buches und die ganze Modernisiererei mit Smartphone, Rechner und sonstigem Schnickschnack muß wohl sein, um heutigen Kindern glaubwürdig als Kinder von heute zu erscheinen. Außerdem macht das Dialogische, die vielen SMS die Handlung flott. Das Tolle ist ja, daß der soziale Hintergrund, der den mediokren Bundesdeutschen noch 1950 viel zu gefährlich schien: geschiedene Eltern, igitt, das darf doch nicht sein, daß dieser Hintergrund geschiedener Eltern heute so was von selbstverständlich ist. Dabei geht es natürlich nicht darum, daß jedes Kind dies kenne, aber jedes Kind kennt andere Kinder, die…
Egal, was man mit der originalen Geschichte macht, sie leicht verändert, die Struktur stimmt einfach und diese Geschichte hält sowohl Ortsveränderungen wie auch 'Modernisierungen' an technischer Umwelt aus. Schade, wir haben nur noch die Erinnerungen an DAS DOPPELTE LOTTCHEN von damals, von 1950. Warum, haben wir uns gefragt, ist das Fernsehen, hier die ARD eigentlich nicht in der Lage so etwas wie mediale Erziehung mitzuliefern. Warum wurde nicht nach der Neuverfilmung auch die von 1950 direkt hinterher geschickt. Oder am Ostermontagmittag gesendet. Sind nur wir an solchen Vergleichen interessiert oder hätten Kinder und Jugendliche von heute, die man bewußt anspricht, die beiden Fassungen zu vergleichen, daran kein Interesse?
Was uns nämlich am alten Film interessiert, wäre der soziale Hintergrund von damals. Spielte Geld damals auch keine Rolle? Daß der Wolfgangsee eine herrliche Urlaubskulisse für Seen und Berge ist, geschenkt. Auch Kinderheime finden an solchen Orten ihren Platz. Und daß die Mutter in Frankfurt einen Roller fährt, das ist eher schon ungewöhnlich. Aber nicht, daß sie soviel Verantwortung an die Tochter abgibt. Ist das im alten Film auch so auffällig, daß sie mehr die Kameradin als die Mutter mimt. Mütter haben es wohl immer schwerer. Denn Florian Stettner als Vater kann unbekümmert den etwas sorglosen Musiker geben, der von vielen Frauen umschwärmt, in der Sekunde der Not nur sein kleines Mädchen im Sinn hat.
Alwara Höfels hingegen kann ihre Mutter eigentlich nicht aus dem allgemeinen Mutterspiel herauslösen. Sie ist es, die es im Nachhinein als katastrophal ansieht, die Zwillinge überhaupt getrennt zu haben. Als Journalistin ist sie dauernd unterwegs, macht aber einen Blog VATERSEELENALLEIN, womit sie ja nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten kann. Dazu dienen die Interviews mit Künstlern. Diese Mutter ist irgendwie zu bemüht, zu brav, zu langweilig und bekommt als Frau kein eigenes Gewicht hier im Film.
Alwara Höfels äußert zu ihrer Rolle als Charlize: „Erich Kästner hat mit der Mutterfigur für die damalige Zeit eine sehr moderne interessante Frau erzählt. Gewissermaßen war sie ihrer Zeit voraus. Sie lebt als berufstätige alleinerziehende Mutter. Ihr Beruf ist eigentlich Männern vorbehalten. Trotzdem lebt sie unabhängig und selbstbestimmt mit ihrer Tochter. Eine starke Frau. Das ist sie in der Neuauflage immer noch. Aber unsere Gesellschaft hat sich verändert und die Rolle der Frau hat sich dementsprechend auch verändert, somit ist das heutzutage nichts Unübliches mehr.“ Das schon, aber sie soll ja auch für den Vater zumindest potentiell eine tolle Frau sein. Der Funken fehlt hier.
Gottseidank wird das Weitere beim Zusammentreffen der vier in Salzburg nicht in einer Soße verrührt. Die falsche Luise, also die eigentliche Lotte, ist ob der Sorge, daß sich ihr gerade wiedergefundener Vater von der rasanten Leni Gerlach (Mina Tander), mit der er die Opernaufführung einstudiert, einwickeln läßt, in hohes Fieber gefallen. Längst hat die Mutter ja die beiden Schwestern enttarnt, den Vater über das Telefon der Tochter angerufen und ist mit dem zweiten Zwilling nach Salzburg geflogen.
Als dann alle zusammen sind, wird nur vereinbart, daß Mutter mit Lotte nach Salzburg zieht, wo ja Vater und Luise zu Hause sind und sich die Zwillinge nun dauernd sehen können. Mehr nicht. Und das ist auch gut so, daß nicht ein unglaubwürdiges Happyend in Form einer 'intakten' Familie nur vorgegaukelt wird. Andererseits kann die Zukunft genau eine solche Wendung nehmen. Gut, daß auch die Zukunft noch eine Chance hat und offen bleibt. Das wäre heute unglaubhaft. Das merken auch Kinder. Und Jugendliche sowieso.
Bleibt noch, über die Zwillinge Delphine und Mia Lohmann etwas zu sagen. Sie machen ihre Sache gut. Gerade deshalb sind sie überzeugend, weil sie 'normale' Kinder, 'normale' Mädchen in der Vorpubertät sind, keine hochgezüchteten Kinderleinwandschönheiten, sondern einfach lebendige Mädchen. Das gibt der Neuverfilmung einen starken Rückhalt.
Denn ansonsten fanden wir dann vieles doch sehr konventionell. Und daß Geld immer in Hülle und Fülle da ist und sich niemand Sorgen um sein Auskommen machen muß, das verwundert dann schon. Und auch, daß die heutige Umwelt von Kindern nicht stärkere Brüche aufweist. Hat Lotte in Frankfurt in ihrer Klasse keine Flüchtlingskinder, hat Luise von ihren Afrikatouren außer tollen Tiergeschichten oder anderen Anekdoten kein Elend, Leid, Armut gesehen. Will sagen, eine etwas härte Umwelt, die in den Erfahrungshorizont von Kindern heute gehört, hätte dem Film gut getan. So ist er mit dem Blick auf die beiden Mädchen zwar gelungen, aber die beiden agieren doch irgendwo im luft-, will sagen menscheneeren Raum.
Foto: Delphine(Liottchen) und Mia (Luise) Lohmann (c) ARD
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