Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 27. April, Teil 2

Filmheft

Berlin (Weltexpresso) – "Ein großes Privileg!", nannte Wotan Wilke Möhring seine Beteiligung an einem Film, bei dem allein Spaß macht, wie sehr er den Schauspielern Spaß gemacht hat. Lesen Sie selbst. Die Redaktion

HAPPY BURNOUT bringt das Kreativteam erneut zusammen, das bereits Das Leben ist nichts für Feiglinge gemacht hat.

Ich will die beiden Filme gar nicht miteinander vergleichen, weil das im Grunde auch gar nicht möglich ist. Inhaltlich und tonal gibt es bei HAPPY BURNOUT und Das Leben ist nichts für Feiglinge eigentlich keine Anknüpfungspunkte. Richtig ist, dass der Kern des Kreativteams bei beiden Filmen identisch ist. Und ich denke, ich kann sagen, die Arbeit an Das Leben ist nichts für Feiglinge war so toll und erfüllend, dass wir uns alle darauf gefreut haben, wieder miteinander arbeiten zu können.

Es hilft natürlich, wenn man schon einmal so gute Erfahrungen mit einem Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann gemacht hat, man versteht sich und weiß, dass man gemeinsam an einem Strang zieht. Es besteht bereits eine gemeinsame Sprache, man muss nicht erst zueinander finden. Das übliche Abtasten entfällt. Das erleichtert Vieles. Ich empfand es als großes Privileg, wieder mit diesem eingespielten Team zusammenkommen zu können. Ich hätte eigentlich blind zugesagt, mit dabei zu sein.


Dabei waren Sie schon während der Genese des Stoffs mit involviert und konnten das Projekt mit Ihrem Input auch entsprechend mit formen.

Es kommt nicht oft vor, dass einem eine Rolle sozusagen auf den Leib geschrieben wird. Gernot Gricksch wusste beim Schreiben, dass der Part für mich sein sollte, und hat das in seine Arbeit einfießen lassen. Es  fiel mir nicht schwer, da mit entsprechendem Einsatz einzusteigen.


Wie sind Sie bei der Entwicklung vorgegangen?

Wir haben viele verschiedene Varianten ausprobiert und fast ebenso viele wieder verworfen. Fest stand schon lediglich, dass Fussel ein Sozialschmarotzer sein sollte, der sich dieser Allzweckwaffe der Neuzeit, des Burnouts, bedient, um bequem und ohne großen Aufwand über die Runden zu kommen. Alles andere war Knetmasse. Mir war wichtig, das Thema ernst zu nehmen: Burnout sollte nicht einfach nur ein Gimmick sein, um die Handlung anzustoßen. Ich finde diese Zivilisationskrankheit, die sich aus unserer sich immer schneller drehenden Welt entwickelt hat, ein spannendes Thema. Die Komik fußt dann darauf, diese Krankheit auf einen Systemverweigerer prallen zu lassen, der sich den Burnout zu eigen macht, um sein eigenes Leben zu entschleunigen. Das fand ich lustig. Früher haben gestresste Menschen Magengeschwüre bekommen, heute haben sie Burnout. Dabei ist die Definition fließend, die Symptome sind vielfältig. Manchmal kommt es einem so vor, dass Ärzte, die mit einer genauen Diagnose überfordert sind, einfach pauschal „Burnout“ diagnostizieren.


Und bei Fussel?

Der Burnout ist für Fussel nur Mittel zum Zweck. Denkt er zumindest. Er hat sich sein Leben gezielt so eingerichtet, dass er den Weg des geringsten Widerstands geht. Wenn es einen gibt, der definitiv keinen Stress hat, der jeder Verantwortung aus dem Weg geht, dann ist es Fussel. Er ist ja schon froh, wenn er „Burnout“ richtig schreiben kann. Als er in die Klinik geschickt wird, damit seine Charade nicht auffliegt, muss er sich erstmals ernsthaft mit dieser Krankheit auseinandersetzen. Und er wird mit Menschen und ihren Schicksalen konfrontiert, die tatsächlich unter Burnout leiden. Dort wird er auch schnell durchschaut: Allen ist klar, dass es sich bei ihm tatsächlich um einen Schmarotzer handelt, der sich auf Kosten anderer durchs Leben wuselt.


Hier nimmt die Geschichte dann richtig Fahrt auf.

Er ist ein klassisches Beispiel für das, was man im amerikanischen Kino so schön „ shout of water“ nennt. In dieser Therapieklinik ist er ein Fremder in einer fremden Welt, daraus entstehen natürlich wunderbare komische Möglichkeiten, aber eben auch dramatische Reibung. Diese Reibung wird schließlich von der Leitung der Klinik erkannt und zu Therapiezwecken eingesetzt. Das wiederum öffnet eine weitere Tür, denn ohne es zu wollen, wird Fussel plötzlich mit sich selbst konfrontiert. Er muss sich auch bitteren Wahrheiten stellen, denen er bislang immer so elegant aus dem Weg gegangen ist.


Wie haben Sie sich diesem Fussel genähert?

Ich war früher selbst Punk. Es hat mir Spaß gemacht, mich bei der Gestaltung der Figur auf meine eigene Vergangenheit berufen zu können, auf die Dinge, die ich damals gesehen habe, und andere Menschen, die ich damals kannte. Seinen Gang, das Zeckenhafte, dieses Provokante – das kenne ich von Freunden aus dieser Zeit. Es hat mich gereizt, das in die Figur einfließen zu lassen. Aber gleichzeitig hat er ja auch eine entwaffnende, grundsympathische Art. Er sagt ganz unverstellt, was er denkt. Er ist niemandem Rechenschaft schuldig, es gibt keine Etikette, kein Kalkül. Spaß ist ihm wichtig. Er ist jemand, der in unserer von Burnout gezeichneten, aber dennoch reibungslos funktionierenden Gesellschaft so etwas ist wie der Stachel in der Seite. Er will für den Eklat sorgen. Das mochte ich an ihm.


Ist Fussels Punkattitüde mehr als nur ein Mittel zum Zweck?

Ich glaube schon, dass er früher einmal Punk aus Überzeugung war. Aber er ist hängen geblieben. Er belügt sich selbst damit, ein Punk zu sein. Dabei ist es längst nur noch ein Etikett für ihn, seine Überlebensstrategie des geringsten Widerstandes durchziehen zu können. Die Frage hat mich interessiert: Was macht einer mit 40, der immer noch Punk ist? Man ist hin- und hergerissen, wenn man ihn sieht. Klar findet man ihn cool und lässig, aber irgendwie hat man auch Mitleid mit ihm. Er ist in seiner Pose erstarrt. Er ist stehen geblieben, macht nichts aus seinem Leben. Seine Provokation hat nichts mit Haltung zu tun, sondern ist reine Gewohnheitssache. Er weiß einfach, dass er damit andere Leute auf Distanz halten kann.


Ist Fussel ein zufriedener Mensch?

Er redet es sich ein. Seine Probleme hält er weit von sich weg. Probleme, die haben die anderen. Sein Lebensstil sieht das nicht vor. Er verdrängt. Verdrängt die Geschichte mit seiner Tochter, verdrängt, dass er seit Jahren auf der Stelle tritt.


Verstärkt wird das noch durch die Location: Fussel ist wie ein Fremdkörper in der Schlossanlage, in der das Sanatorium untergebracht ist. Es ist zudem eine Location, zu der Sie ganz privat einen engen Bezug haben, richtig?

Constantin von Fürstenberg ist der Eigentümer der Anlage. Als Kind hat er bei uns gewohnt, neun oder zehn Jahre, in Herne im Ruhrgebiet. Er ist wie ein Halbbruder für mich. Ich kenne die Anlage noch von damals, als sie noch halb zerfallen war. Direkt daneben habe ich mein Landwirtschaftspraktikum mit meiner Waldorfschule gemacht. Während des Locationscoutings rief mich André Erkau aus NRW an und sagte mir, dass er sich gerade Schlösser für den Dreh ansehen würde. Ich musste gleich an Constantins Anlage denken und sagte ihm, dass ich ihm womöglich einen Tipp geben könnte. Ein paar Minuten später schickte er mir ein Foto von sich und Constantin vor dem Schloss und schrieb: Meinst du dieses? Das war Wahnsinn. Wir haben 20 Tage dort gedreht. Für mich war es wie ein Ausflug in meine Vergangenheit. Es war toll.


Das Schloss sieht nicht nur toll aus, es erfüllt auch rein dramaturgisch eine wichtige Funktion.

Im Grunde sagt es ja schon die Dame im Arbeitsamt, die Fussel dorthin vermittelt: Es ist eine sehr gediegene Anlage. Es ist teuer, nicht jeder wird dort untergebracht. Für den Film war die Location optimal, weil wir auch visuell den elementaren Kon ikt des Films betonen konnten: abgerissener Punk wird mit einer Welt konfrontiert, die ihm fremd ist. Er haust in seiner Zeckenbude im Hamburger Schanzenviertel und ndet sich auf einmal in diesem gediegenen, geregelten, ruhigen Umfeld wieder. Für ihn ist es Stress, sich allein dort aufhalten zu müssen. Es ist aber auch für die Geschichte wichtig, ihn aus seinem Trott herauszuholen.

Die Orte, an denen man sich aufhält, haben eine Wirkung auf die Menschen. Mit aller Macht will er für sich die Illusion aufrechterhalten, dass er nicht an diesen Ort gehört, dass er anders ist als die Menschen, die sich dort be nden. Aber natürlich ist das ein Trugschluss: Er ist einer von ihnen. Und das muss er lernen. Wenn er am Ende des Films auf die Frage seiner Tochter, wer diese Leute seien, antwortet „Das sind meine Freunde!“, dann ist das ein echter Durchbruch für ihn. In diesem Moment verinnerlicht er, dass es kein Makel ist, einer von ihnen zu sein. Ohne andere Menschen sind wir allein, einsam, ein Nichts. Fussel muss das erst lernen, weil er für sich vor langer Zeit beschlossen hat: Auf keinen Fall normal sein. Dass er sich damit auch isoliert, realisiert er nicht. Weil seine Angst, er könnte als Spießer gelten, so groß ist. Und ich behaupte einfach einmal: Tief in sich drin ist er genau das, ein Spießer. Und das bekämpft er mit allen Mitteln.


Was hat Sie bei der Rolle am meisten gefordert?

Vor allem war es ein Heidenspaß für mich, eine Reise 30 Jahre zurück in meine Jugend, in meine Vergangenheit. Ich habe früher auch Springerstiefel und knallenge Jeans getragen und bin mit schlufgem Gang und mit Iro herumgelaufen.


Wie wichtig war dabei die Arbeit mit André Erkau?

Sehr wichtig, er ist ein toller Regisseur. Er weiß, wie er seinen Weg beschreitet, ohne dabei laut werden zu müssen oder dem Anderen das Gefühl zu geben, ihn überstimmt zu haben. Ganz subtil bekommt er das von seinen Schauspielern, was er haben will. Das bewundere ich. Das ist konfliktarm und angenehm. Mir gefiel das schon bei unserem ersten Film, jetzt war es eigentlich noch besser, weil wir uns bereits kannten. Nichts bei ihm ist gestellt oder falsch. Und er hat keine Angst vor Gefühlen. Zudem verbindet uns unser norddeutscher Humor.


Ist der Film so geworden, wie Sie ihn sich vorgestellt hatten?

Auf jeden Fall. Ich sehe den Figuren gerne zu, ich kann mit ihnen lachen und weinen. Gleichzeitig nimmt der Film aber auch sein Thema ernst. Es ist auch ein Film über Burnout, und das war mir ebenso wichtig wie die Comedy, die das Publikum unterhalten soll.


Würden Sie in dieser Konstellation auch einen dritten Film machen wollen?

Auf jeden Fall. Aber es müsste wieder etwas ganz Anderes sein. Ich lasse mich überraschen.