Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 27. April, Teil 14
Karin Schiefer
Wien (Weltexpresso) – «Es ist ein historischer Stoff und behandelt ein stets aktuelles Thema – Kinder im Krieg.»
„Maikäfer flieg“ ist die Verfilmung des autobiografischen Romans einer der populärsten Autorinnen dieses Landes – Christine Nöstlinger. Wie sind Sie mit dem Stoff in Berührung gekommen?
Gabriele Kranzelbinder: Die Regisseurin Mirjam Unger, der Schauspieler Gerald Votava und die Drehbuchautorin Sandra Bohle haben die Initiative ergriffen, den Stoff zu bearbeiten und haben mich mit einem Treatment kontaktiert. Im Wiener Rabenhof-Theater wurden 2012 die Nöstlinger-Texte Iba de gaunz oamen Leit dramatisiert, wo u.a. Ursula Strauss und Gerald Votava mitspielten. Mirjam Unger war von dieser Produktion so begeistert, dass sie nach weiteren Nöstlinger-Texten suchte und da fiel ihr Maikäfer flieg! in die Hände. Votava/Unger/Bohle haben zunächst die Option auf den Stoff beim Beltz Verlag erworben und diese dann später auf mich übertragen. Ich habe damals den Roman nochmals gelesen, er hat mich begeistert und berührt. Es ist ein historischer Stoff und behandelt ein stets aktuelles Thema – Kinder im Krieg.
Worum geht es kurz gefasst?
Gabriele Kranzelbinder: Es ist die autobiografische Kindheitsgeschichte von Christine Nöstlinger. Sie war 1945 neun Jahre alt, als die elterliche Wohnung in Hernals in den letzten Kriegstagen von Bomben zerstört wurde. Ihre Familie fand in einer Villa in Neuwaldegg ein zugewiesenes Ersatzquartier, was bei der Ankunft eine Art Paradies gewesen sein muss. Von April bis Herbst hat Nöstlinger als Kind dort das Ende des Krieges und den Einzug der Russen erlebt, die diese Villa besetzten. Es geht in Maikäferflieg um das Miteinander zwischen Besatzern, Wienern, die in der eigenen Stadt Unterschlupf suchen mussten und denen, die noch etwas besaßen, wie etwa die Villenbesitzer, die mit den Nazis kooperierten. Christine, das Mädchen, geht mit dieser Situation ganz unverblümt um. Sie schließt Freundschaft mit Cohn, dem russischen Koch der Truppe, einem Juden, der ursprünglich Schneider in Leningrad war. Er ist ein Außenseiter, der von den anderen Soldaten gemieden wird und komisch ausschaut. Was die Erwachsenen als Gefahr begreifen, ist beim Kind positiv besetzt, weil es sich vorurteilsfrei darauf einlässt. In ihrer Unbeschwertheit, bringt Christine Cohn in eine Situation, die zu seiner Verhaftung führt. Es ist also für sie auch ein Stück Erwachsen-Werden, wo sie lernt, die Konsequenzen ihres Handelns zu erfassen.
In dieser Produktion sind alle Key-Departments mit Frauen besetzt. War das eine grundlegende Idee, die von Beginn an beabsichtigt war?
Gabriele Kranzelbinder: Bei mir versteht sich das von selbst... (lacht) und Mirjam arbeitet schon seit vielen Jahren mit Teams, die hauptsächlich weiblich besetzt sind und auch bei MAIKÄFER FLIEG ist das so. Christine Nöstlinger als Autorin der Romanvorlage, Sandra Bohle als Drehbuchautorin, Mirjam Unger als Drehbuchautorin und Regisseurin, Eva Testor als Kamerafrau aller bisherigen Filmprojekte von Mirjam, Katharina Wöppermann für Set-Design und Caterina Czepek für Kostüm und was für Mirjam wichtig war, Eva Jantschitsch macht die Musik des Films. Darauf aufbauend haben wir in der Tat in Departments, die noch unbesetzt waren oder jemand aus Zeitgründen nicht zusagen konnte, eher nach Frauen gesucht. Den Schnitt macht Niki Mossböck, im Ton haben wir unseren Quotenmann Dietmar Zuson.
In einem Film, der von einer Zeit erzählt, wo Frauen quer durch alle Schichten den Alltag und das Überleben praktisch zur Gänze in die Hand nehmen mussten, spielt das Thema der Geschlechterrollen und der Emanzipation gewiss ein wichtige Rolle.
Gabriele Kranzelbinder: Die Hauptfigur ist ein kleines Mädchen, das sich hauptsächlich mit Männern befreundet, die in diesem Film wichtig sind. Die starken Frauen des Films sind Christines Mutter und Frau von Braun, die Villenbesitzerin, die plötzlich mit ihrem kleinen Sohn dort auftaucht und einzieht. Dann ist da Christines Vater, der im Leben von Nöstlinger eine tragende Rolle hatte. Er kommt als Deserteur zurück und muss sich zunächst im Keller verstecken. Durch seine Figur wird deutlich, wie die zurückkehrenden Männer erst langsam wieder Teil der Familie werden. Tatsache ist, dass im Wiederaufbau nach 1945 Enormes von den Frauen geleistet wurde. Umso verwunderlicher ist die Entwicklung in den fünfziger Jahren, wo die Frauen wieder an den Herd zurückkehren. Im Material, das ich bisher gesehen habe, sieht man die beiden weiblichen erwachsenen Hauptfiguren – die eine blond, die andere dunkel – wie sie immer wieder die Hände in die Hüften stellen und damit sagen „Wir tragen’s“.
Ende des Krieges, erste Nachkriegsjahre bedeutete ein Wien Mitte der vierziger und der frühen fünfzigerer Jahre nachzubauen, aber auch die
Zerstörung zu zeigen. Wie wird die Aufgabe einen Epochen-Film auszustatten, gelöst?
Gabriele Kranzelbinder: Wir drehen nur drei Tage im Studio, wo wir die zerbombte Wiener Wohnung gebaut haben. Der Rest ist „on location“. Wir
fanden in Südtirol die zwei Haupt-Villen – eine für Innen, eine für Außen –, an einem dritten Ort drehen wir die Nachbarvillen. Von der Architektur
her war es gar nicht schwierig, etwas zu finden, das nach Neuwaldegg aussieht. Das Gros der Dreharbeiten findet in Südtirol statt, einige Tage
haben wir in Wien und Niederösterreich.
Die Idee, in Südtirol zu drehen, ist erst zu einem späteren Zeitpunkt gekommen. Wir versuchten, ein Budget auf die Beine zu stellen, das nach Möglichkeit unter drei Mio Euro bleibt und wir bemühten uns, das Team möglichst klein zu lassen, um uns eine gewisse Flexibilität zu erhalten. Das war auch Mirjam sehr wichtig. Ursprünglich hatten wir eine sehr gute Location in Oberösterreich gefunden. Von Seiten des Landes OÖ und FISA fiel aber schließlich ein beträchtlicher Teil der Finanzierung aus und wir standen vor einer Finanzierungslücke. Dann erst begannen wir auch eine Koproduktion anzudenken. Eine der Möglichkeiten, Geld außerhalb Österreichs zu lukrieren, war Südtirol. Wir kannten die Arbeitsbedingungen dort sehr gut, weil wir BAD LUCK von Thomas Woschitz dort gedreht hatten und an LOU ANDREA SALOMÉ als Koproduzenten beteiligt waren. Diese beiden Projekte haben sich bei den Dreharbeiten sogar überschnitten.
Zwei Tage vor Drehschluss von Lou begannen die Dreharbeiten zu MAIKÄFER FLIEG. Unsere Produktionsleiterin Stefanie Wagner hatte ihrerseits bei
Produktionen wie DAS FINSTERE TAL und BLUTGLETSCHER in Südtirol Erfahrungen gemacht. Das Budget erhöht sich natürlich durch den Faktor
Dreh im Ausland, dennoch konnten wir dank des Geldes aus Südtirol die Lücke schließen und gleichzeitig auf bereits Vertrautes zurückgreifen. Mir
schien das eine optimale Lösung.
Wie wird sich der Krieg darstellen lassen?
Gabriele Kranzelbinder: Um den Krieg optisch in die Handlung einzubringen, arbeiten wir mit Archivmaterial, das koloriert wird. Anders wäre es mit dem vorhandenen Budget nicht möglich. Und es ist sehr wichtig, dass alles einen schmutzigen Look hat – da versuchen wir, möglichst authentisch zu sein. Katharina Wöppermann hat auch da wieder beeindruckende Arbeit geleistet. Sie hat zum Beispiel mit ihrem Team im Garten der Villa ein Lusthaus gebaut, in das Cohn einzieht, das sieht aus, als wäre es schon immer dort gestanden.
Die Besetzung ist gemischt: Es gibt einige bekannte österreichische SchauspielerInnen, aber einige auch aus Russland.
Gabriele Kranzelbinder: Das Schwierigste waren natürlich die Kinder, da man sie erst dann casten kann, wenn Finanzierung und Drehstart stehen. Sie verändern sich zu schnell. Für Christine suchten wir ein aufgewecktes, neugieriges Kind, das auch eine Tiefe hat. So, wie man sich die kleine Christine Nöstlinger vorstellt. Wir haben mit der neunjährigen Zita Gaier eine ganz tolle Darstellerin gefunden, die ihre Arbeit wie eine professionelle Schauspielerin leistete. Sie kam jedes Mal gut vorbereitet zum Set, abends hielt sie durch, auch wenn der Dreh spät angesetzt war. Sie hat eine fantastische Ausstrahlung und lernte täglich dazu. Wir waren begeistert.
Ursula Strauss spielt die Mutter, Gerald Votava den Vater. Frau von Braun wird von Bettina Mittendorfer gespielt, sie stammt aus Bayern und bringt sprachlich eine interessante Färbung in die Rolle ein. Die Großeltern werden von Krista Stadler und Heinz Marecek dargestellt und Hilde Dalik gibt den „Erzengel“, die Mutter des Nachbarkindes, eine Opportunistin, deren politische Haltung sich mit dem neuen Wind auch gleich dreht. Bei den Russen war es ganz wichtig, dass es sich tatsächlich um Schauspieler handelt, deren Muttersprache Russisch ist. Cohn spricht nur gebrochen Deutsch, das er vor dem Krieg von seiner jiddischen Mama beigebracht bekommen hat. Die russischen Soldaten können nicht mehr als ein paar Wörter, sie reden untereinander Russisch, mit den Wienern meist non-verbal oder mit vereinzelten Brocken Deutsch. Für Cohn konnten wir sensationellerweise den russischen Superstar Konstantin Khabensky gewinnen, der in Russland u.a. durch seine Rolle in den Kinoblockbustern WÄCHTER DER NACHT bzw. WÄCHTER DES TAGES bekannt geworden ist und auch in Hollywood spielt. Den Feldwebel gibt der fabelhafte Ivan Shvedoff und auch der schöne Major, mit dem sich Frau von Braun einlässt, ist russisch besetzt. Am Set musste mit einer Dolmetscherin gearbeitet werden.
Welche Rolle spielen der Romantext bzw. die Autorin Christine Nöstlinger in dieser Verfilmung?
Gabriele Kranzelbinder: Es gab die Überlegung, dass Christine Nöstlinger einen kurzen Off-Text aus dem Roman spricht. Unger/Bohle/Votava haben
sich mehrmals mit ihr getroffen und mehrstündige Gespräche zur Kindheit geführt und aufgezeichnet. Sie hat auch das Drehbuch in verschiedenen
Fassungen gelesen. Einige der Darsteller haben sie vor dem Dreh besucht. Sie war präsent, aber sie wollte sich nicht einmischen. Sie fand, da sind
lauter begabte Leute am Werk, die ohne ihr Zutun gute Arbeit machen würden.
Interview vom Juli 2015
Foto: die Autorin Christine Nöstlinger(c) oe1.orf.at