Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 27. April, Teil 13

Mirjam Unger

Wien (Weltexpresso) – Der Urspung dieses Films liegt im Wiener Rabenhoftheater. Dort wurde Nöstlinger aufgeführt, bravourös, wie ich meine, zauberhaft, wie Nöstlinger sagte, „Iba de gaunz oamen leit“ mit, in den Hauptrollen, Uschi Strauss und Gerald Votava. Da durften wir alle die grandiose Autorin persönlich kennenlernen, die Heldin unserer Kindheitslesenächte, die große Christine Nöstlinger, witzig, intelligent, unkorrumpierbar, der wahrhaftigste Mensch, der mir je begegnet ist.

So lag der Gedanken nah, wieder einmal etwas von Nöstlinger zu lesen und da fiel mir in einer Buchhandlung „Maikäfer flieg“ aus dem Jahr 1973 in die Hände. Ich kannte es nicht aus meiner Jugend, ich habe dieses wundervolle Buch erst als Erwachsene entdeckt und da passierte einiges gleichzeitig mit mir. Ich war gebannt, hingerissen, belustigt und vor allem habe ich etwas über den 2. Weltkrieg und die unmittelbaren Nachkriegswochen erfahren, so wie ich es von niemandem bislang geschildert bekommen hatte.

Ich komme aus einer gespaltenen Familie. Einerseits ist da der jüdische Background, meine Urgroßeltern, die nach Auschwitz kamen, meine Großeltern,
die sich nach Israel retteten, mein Vater, der dann wieder nach Wien kam und dem das Judentum wichtig war und der uns auch – mit
meiner Mutter, die konvertierte – jüdisch/zionistisch großzog.

Mütterlicherseits komme ich allerdings aus einer ur-Wiener, sozialistischen Heurigen-Familie aus Sievering. Mein Großvater war Eisenbahner und später arbeitete er sein Leben lang in seinem Heurigen, einer Hendlstation, wo es nur Back- oder Brathendl und Wein, Veltliner, gab. Zufällig lag dieser Heuriger vis à vis von der Wien Film und der Sascha Film, den legendären Filmstudios, wo sie in den 50er Jahren alle ein und aus gingen, Hans Moser, Romy Schneider, Paul Hörbiger, Peter Alexander, Hannerl Matz, Ernst Marischka, Willy Forst und wie sie alle hießen. Und der Lieblingsstammgast meines Opas war der Anton Karas, weil er so oft kam, um den Wein vom Großvater zu trinken und die Melodie vom 3. Mann auf der Zither für die Gäste im Lokal und für den Martinkovits-Opa zu spielen....

Mit meinen jüdischen Wurzeln habe ich mich in dem Dokumentarfilm „Viennas Lost Daughters“ (2007) beschäftigt. Es hat mich unheimlich bereichert. In „Maikäfer flieg“ fand ich durch Nöstlingers großteils autobiografische Schilderungen ihrer Familie in den Monaten April bis September 1945 die Beschreibung derer, die keine Nazis waren, aber mit ihnen zurechtkommen mussten, die in Wien den Krieg miterlebten und überlebten. Ich fand hier die Beschreibung des Alltags im Krieg. So musste es gewesen sein, für meine Mutter, meine Großmutter, meinen Großvater, meine Urgroßeltern mütterlicherseits. Denn zwischen den Tätern und den Opfern gab es die ganz normale, arbeitende Zivilbevölkerung, die diese Jahre aushalten mussten und dabei die Kinder durchzubringen hatten und darauf hofften, dass die Brüder, Söhne und Männer aus dem Krieg wieder zurück kehren würden. Kaum waren die Deutschen weg, waren die Besatzer da. Das alles hinterlässt Spuren, die bis in die Jetztzeit wirken, das fasziniert, beschäftigt mich und betrifft uns alle, denk ich. Da schließt sich der Kreis zu heute...

Als Gerald Votava, Dramaturg und Vermittler zu Christine Nöstlinger, Sandra Bohle und ich begannen, den Stoff zu einem Drehbuch zu adaptieren, da hatten wir natürlich keine Ahnung, dass ein aktueller Krieg uns so nahe kommen, bald so omnipräsent sein würde. Aber es war spürbar, die Ruhe war trügerisch. Das Kind im Krieg ist ein so universales Thema, daran wollten und konnten wir nicht vorbei sehen. Und der prägendste Satz aus den vielen Gesprächstunden, die wir mit Christine Nöstlinger in der Vorbereitung erleben durften, war: „Die Wochen aus <Maikäfer flieg>, die Wochen im Sommer 1945, als alles in Schutt und Asche lag, waren die aufregendsten und spannendsten und vielleicht sogar schönsten Wochen meiner Kindheit.“ Die Ambivalenz von Krieg und kindlicher Wahrnehmung dessen, was die Erwachsenen als Katastrophe empfanden, ist ein wesentliches Grundelement dieser Verfilmung. Die wütende, sture, gescheite Christl, im Film gespielt von Zita Gaier, wird hoffentlich viele Kinder und auch die Kinder in den Erwachsenen ansprechen und bewegen.

Natürlich ist Christine Nöstlinger, abgesehen vom historischen Background der „Maikäfer flieg“ Geschichte, eine wichtige Leitfigur für viele von uns und auch für mich. Dass sie am Küchentisch mit etwa 40 begann ihre Bücher zu schreiben, neben Ehe, Kindererziehung und Haushalt, hat mir immer
Perspektive gegeben. Sie ist als Frau mit politischer Haltung und als Künstlerin ein Vorbild, eine Kraftgeberin. Es ist sicher kein Zufall, dass bei dieser Verfilmung ihrer Kindheit hinter den Kulissen in fast allen Main Departments Frauen am Werk waren, Gabriele Kranzelbinder, eine der ganz wenigen Produzentinnen des Landes, Katharina Wöppermann verantwortlich für das Szenenbild, Eva Testor hinter der Kamera, Niki Mossböck beim Schnitt, Sandra Bohle, mit der ich das Drehbuch erarbeitet habe, Gustav/Eva Jantschitsch als Filmmusikkomponistin und ich als Regisseurin, wir alle durften uns mit einem Budget, das die (für Frauen bislang) gläserne Decke durchbrochen hat, an diese historische Verfilmung wagen. Es ist uns allen bewusst, dass wir hiermit ein klares frauenpolitisches Statement setzen.

Und eins noch: Christine Nöstlinger feiert heuer im Oktober ihren 80. Geburtstag und wir Kinder, Frauen und Männer, die wir diesen Film gemacht
haben, gratulieren ihr schon heute auf’s Allerherzlichste. Hoch soll sie leben!

Und wie man im Judentum sagt, 120 soll sie werden! Nöstlinger forever.
Maikäfer flieg! 

Verfaßt im Jänner 2016

Foto: (c) Verleih