Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 27. April, Teil 12

Anna von Stillmark

Wien (Weltexpresso) – Wer die Nachkriegszeit erlebte, der singt gleich weiter, was nach dem Aufruf zum Fliegen kommt, die Worte und die Weise weiß er wohl, aber kopfschüttelnd fragt man sich heute, was man da als Kind eigentlich von sich gab.

Maikäfer, flieg.
Der Vater ist im Krieg.
Die Mutter ist in Pommerland,
Pommerland ist abgebrannt.
Maikäfer, flieg.

Kennen Sie die Melodie? Dann gehörten Sie zumindest 1999 zu zwei von drei Deutschen, die das Lied noch kannten und singen konnten, das wären dann heute vielleicht noch die Hälfte und wir wollen dazu beitragen, daß mit dem Film auch das Lied wieder zum kulturellen Gedächtnis der Deutschen gehört, schon deshalb weil es so absurd ist. Aber auch deutlich. Denn es hbedeutet: nichts wie weg.

Die wunderbare Wiener Autorin Christine Nöstlinger hat 1973 über ihre Kriegsendeerinnerungen den gleichnamigen Roman geschrieben, in dem sie also autobiographisch ihre Kindheitserinnerungen verarbeitet. Sehr eindringlich schildert die Icherzählerin nicht nur die Ereignisse, sondern durch innere Monologe auch die Gefühle. Der Film, bei dem Mirjam Unger aufgrund eines von ihr mitverfaßten Drehbuchs Regie führte, ist auch eine Hommage an die heute 80jährige Autorin.

Die neunjährige Christl (Zita Gaier), geboren als Christine, erlebt 1945 das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Russische Besatzung in der siegerviergeteilten Stadt Wien. Die Familie ist obdachlos geworden, arm war sie schon immer. Im besseren Neuwaldegg, eingemeindet in den 17. Bezirk Hernals, angrenzend an den Wienerwald, steht eine Reichenvilla leer, das eigene Haus in Hernals ist kaputtgebombt worden. Und daß die Villa leer steht, hat Gründe. Denn in der Aufteilung der alliierten Siegermächte, fiel dieser Stadtteil den Russen zu, weshalb die reichen Nazis aus Angst unter Mitnahme ihrer Wertgegenstände flohen.

Aber nicht die Schwiegertochter Frau von Braun (Bettina Mittendorfer) , die ist mit den beiden Kindern geblieben und heimgekommen ist Christls Vater (Gerald Votava), der zwar in der Wehrmacht war, aber nach einer schweren Verwundung desertierte und zurückkommt. Die Mutter (Ursula Strauss) versucht ihr Bestes.

Für Heutige ist das spannend, welche Ängste die Uniform des Vaters bei der Familie hervorruft. Sie muß weg, wird verbrannt, aber der Vater, wohin mit ihm? Er wird im Keller versteckt, bis es ihm zu bunt wird. Und tatsächlich durchsuchen die Russen nun Häuser und Familien auf der Suche nach Soldaten, aber sie lassen sich auch selbst in den schönen vornehmen Häusern nieder.

Wir erleben, was übrig bleibt, wenn der Krieg vorbei ist: Trümmer, Wohnungsnot, Dreck, und Hunger. Und das Aufatmen kann hier nicht stattfinden, weil ja die Furcht vor den Russen erst recht die Ängste schürt. Clou des Films und damit des damaligen Lebens der Autorin ist nun, daß sie die Russen anders wahrnimmt, als der Ruf, der ihnen verpaßt wurde. Und es stimmt, daß russische Soldaten Kinder mochten. Christl findet im Feldkoch Cohn (Konstantin Khabenskiy), der eigentlich Schneider und aus Leningrad ist, einen Freund, der ihr auch hilft, die Großeltern (Krista Stadler, Heinz Marecek) zu besuchen, in ihrem „Puppenhaus“. Die Wände der Wohnung sind nämlich durch die Bombadierung weggefegt, aber die rechtschaffene Oma würde nie, nie, nie in ein Nazihaus ziehen.

Der Film schildert atmosphärisch dicht, was heute bei uns – gottseidank – nicht mehr zum Großwerden dazugehört: Kriege und verlorene Kriege zu erleiden. Ob Kinder und Jugendliche von heute das Elend nachvollziehen können und die Einsamkeit von Kindern, um die sich keiner groß kümmerte, weil alle mit dem Heranschaffen des Nötigsten beschäftigt waren. Halt! Vielleicht ist das zu schwer zu vermitteln, aber was der Film wie selbstverständlich eben doch unter die Haut gehen läßt, das ist, wieviel Freiheiten sich ein Kind dann nehmen kann, wenn die Erwachsenen mit anderem beschäftigt sind.

Und so spüren wir bei allem materiellen Elend eben auch die Kraft der Kindern, nein, ganz besonders die von Christl, denn die ist so widerborstig, wie ein Kind sein muß, will es von der Erwachsenenwelt nicht einkassiert werden. Selber denken, selber fühlen, ist so eine Botschaft, die der Film über alle geschichtlichen Tatbestände hinweg, eben auch weitergibt. Dies ist ein zeitloser Film, gerade weil er von einem Zeitenende und einem Neuanfang spricht.

Foto: (c) Verleih