NIPPON RETRO: Filmreihe ab heute, Donnerstag, 25. Mai, bis Sonntag, 28. Mai

Helga Faber

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Im November 1971 begründete das japanische Filmstudio Nikkatsu das Genre des Roman Porno. Bis 1988 wurden mehr als 1.000 dieser Hochglanz-Erotikfilme produziert, die alle erdenklichen Stilrichtungen abdecken.
Beinahe undenkbar, dass sich irgendwo sonst auf der Welt eine Firma von vergleichbarer Größe und historischer Bedeutung so eifrig der Produktion von Erotikfilmen widmet. Doch genau dafür ist Nikkatsu mittlerweile wohl bekannter als für seine bahnbrechenden Historiendramen aus der Stummfilmzeit. Im Gegensatz zum sogenannten Pink-Film verfügten Roman-Porno-Produktionen über die Ressourcen eines großen Studios und höhere Budgets.

Ein Stab erfahrener Techniker sorgte für glanzvolle Bilder auf der Leinwand, die in Scope und in sinnlichen Farben erstrahlten, während die meisten Pink-Filme noch in Schwarzweiß gehalten waren. Nikkatsu warb auch die attraktivsten Schauspielerinnen von der Konkurrenz ab und brachte eine neue Welle junger Filmemacher ins Rennen, darunter Tatsumi Kumashiro und Noboru Tanaka. Die Kritik feierte ihre Filme für ihren visuellen Einfallsreichtum und ihre narrative Komplexität. Als Teil der Retrospektive des japanischen Filmfestivals Nippon Connection werden neun Filme der beiden Regisseure gezeigt.
Mit Einführungen von Jasper Sharp und Akihiko Shiota.

Donnerstag, 25. Mai, 20:30 Uhr
TAMPOPO
Japan 1985. R: Juzo Itami
D: Nobuko Miyamoto, Tsutomu Yamazaki, Koji Yakusho. 114 Min. DCP. OmeU

Zwei Trucker lernen bei einem Stopp in einem schlecht laufenden Imbiss dessen Besitzerin kennen: die junge Witwe Tampopo. Um dem Laden wieder auf die Sprünge zu helfen, fassen die beiden den Entschluss, gemeinsam mit Tampopo nichts geringeres als die perfekte Nudelsuppe zu kreieren. Mit zahlreichen skurrilen Einfällen persifliert Juzo ITAMI die japanische Kultur. TAMPOPO ist Komödie, Gangsterfilm und Western zugleich vor allem aber eine Liebeserklärung ans Essen, die sicherlich jeder*jedem Zuschauer*in das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. In einer seiner ersten größeren Rollen ist NIPPON HONOR AWARD-Preisträger Koji YAKUSHO zu sehen.


Freitag, 26. Mai, 18 Uhr
MESUNEKOTACHI NO YORU Night of the Felines
Japan 1972. R: Noboru Tanaka. D: Tomoko Katsura, Hidemi Hara,
Keiko Maki, Ken Yoshizawa, Hidetoshi Kageyama. 68 Min. OmeU. DCP

Drei Prostituierte, die in einem Badehaus-Bordell arbeiten, bedienen auch die ausgefalleneren Wünsche ihrer Kunden. Nebenbei versucht eine von ihnen, einem unglücklich verliebten bisexuellen Callboy auszuhelfen, der ausgerechnet bei seiner Angebeteten im Bett versagt. Diese frivole Komödie wartet mit für das Genre erstaunlich starken Frauenrollen auf. Noch erstaunlicher ist allerdings, dass in diesem Wunderwerk zwischen all den fröhlichen Ausschweifungen noch genügend Platz für melancholische Momente von geradezu poetischer Schönheit bleibt.


Freitag, 26. Mai, 20 Uhr
ICHIJO SAYURI: NURETA YOKUJO Following Desire
Japan 1972. R: Tatsumi Kumashiro. D: Hiroko Isayama, Sayuri Ichijo,
Kazoku Shirakawa, Go Awazu, Akira Takahashi. 69 Min. 35mm. OmeU

Harumi arbeitet im selben Stripclub wie Sayuri Ichijuko. Während die berühmte Kollegin mit immer neuen Ideen auf der Bühne aufwartet und es sogar ins Fernsehen schafft, muss sich Harumi mit Standardshows abfinden. Um nicht länger in Sayuris Schatten zu stehen, will sie die eigene Performance perfektionieren. Für seinen ersten Roman Porno Film bekam Kumashiro den Kinema-Junpo-Preis für das beste Drehbuch, Isayama wurde als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Ichijo spielt sich selbst und vermittelt einen Eindruck ihrer ausgefallenen Darbietungen, die ihr immer wieder Ärger mit dem Gesetz einbrachten.


Freitag, 26. Mai, 22 Uhr
KOIBITOTACHI WA NURETA Twisted Path of Love
Japan 1973. R: Tatsumi Kumashiro. D: Tetsu Oe, Rie Nakagawa,
Koichi Hori, Kunio Shimizu, Moeko Ezawa. 76 Min. 35mm. OmeU

Katsu kehrt nach längerer Abwesenheit in seinen Heimatort zurück, verleugnet jedoch seine Identität. Er beginnt eine Affäre mit der Besitzerin des Kinos, in dem er arbeitet, beobachtet ein Liebespaar beim Sex und versucht, eine Freundin dieses Paars zu vergewaltigen. In diesem nihilistischen Drama zeichnet Kumashiro nicht nur ein düsteres Bild menschlicher Interaktion. Er persifliert auch vorherrschende Zensurpraktiken, indem er sie besonders betont, sei es durch überdimensionierte schwarze Balken oder manuell eingefügte Kratzer im Filmbild.


Samstag, 27. Mai, 16 Uhr
YOJOHAN FUSUMA NO URABARI The World of Geisha
Japan 1973. R: Tatsumi Kumashiro. D: Junko Miyashita, Eimei Esumi,
Go Awazu, Moeko Ezawa, Naomi Oka. 72 Min. 35mm. OmeU

Vor dem Hintergrund von Unruhen im Land werden Episoden aus dem Alltag eines Geisha-Hauses gezeigt. Im Vordergrund steht Sodeko, die sich allen Ratschlägen zum Trotz in ihren ersten Kunden verliebt. Der Film erzählt sowohl von Bürgern aus der Oberschicht, die von profanen Ereignissen unberührt bleiben, als auch von der Lebensrealität junger Geishas, deren Aufgaben sich von denen gewöhnlicher Prostituierter kaum unterscheiden. Dabei ignoriert Kumashiro lineare Erzählstrukturen. Extradiegetische Mittel wie das Ausstreichen von Zwischentiteln verweisen auf staatliche Zensurpraktiken.


Samstag, 27. Mai, 18 Uhr
AKASEN TAMANOI: NUKERAREMASU Tamanoi, Street of Joy
Japan 1974. R: Tatsumi Kumashiro. D: Junko Miyashita, Meika Seri,
Naomi Oka, Aoi Nakajima, Keizo Kanie. 78 Min. 35mm. OmeU

Neujahr, 1955: der Tag vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Abschaffung lizenzierter Bordelle. Angesichts ihrer ungewissen Zukunft gehen Prostituierte ein letztes Mal ihren üblichen Tätigkeiten nach. Naoko will diese Gelegenheit nutzen, um den bestehenden Rekord von 26 Kunden an einem Tag zu brechen. Der Film fokussiert sich ganz auf die Geschichten dieser Frauen, zeigt ihren Arbeitsalltag und ihre privaten Probleme und vermeidet es dabei zu werten oder zu romantisieren. Aufgebrochen wird das Geschehen immer wieder durch eingestreute Cartoons und begleitende Enka-Lieder.


Samstag, 27. Mai, 20 Uhr
JITSUROKU: ABE SADA Sada and Kichi
Japan 1975. R: Noboru Tanaka. D: Junko Miyashita, Eimei Esumi,
Ikunosuke Koizumi, Nagatoshi Sakamoto. 76 Min. 35mm. OmeU
Nach einer kurzen, aber intensiven Affäre stranguliert Sada Abe im Mai 1936 ihren Geliebten, schneidet dessen Genitalien ab und trägt sie bis zu ihrer Festnahme als Andenken bei sich. Dieser Vorfall verschafft ihr sofort landesweite Bekanntheit und bietet Stoff für zahlreiche künstlerische Bearbeitungen. Bereits ein Jahr vor Nagisa Oshimas wohl bekanntester Verfilmung, IM REICH DER SINNE (JP/FR 1976), inszeniert Noboru Tanaka diese Amour fou als erotisches Kammerspiel in knalligen Rottönen: ein ekstatischer Rausch, in dem sich beide Liebenden verlieren und sich der Außenwelt fast völlig entziehen.


Samstag, 27. Mai, 22 Uhr
KUROBARA SHOTEN Ecstasy of the Black Rose
Japan 1975. R: Tatsumi Kumashiro. D: Shin Kishida, Naomi Tani,
Meika Seri, Hajime Tanimoto, Akira Takahashi. 72 Min. 35mm. OmeU

Juzo muss den Dreh seines Sexfilms unterbrechen, weil die Hauptdarstellerin schwanger geworden ist. Als er Tonaufnahmen abhört, die er heimlich in einer Zahnarztpraxis gemacht hat, stößt er auf das Stöhnen einer Frau, das ihn sofort in seinen Bann zieht. Er setzt alles daran, sie zu finden und für die Hauptrolle in seinem Film zu gewinnen. Dabei verfällt er ihr stärker als ihm aus professioneller Sicht lieb ist. Dieser Porno über das Pornomachen wirft einen ironischen Blick auf die Branche, in der für die Tonspur auch mal leidende Zahnarztpatient/ innen oder keuchende Zootiere herhalten müssen.


Sonntag, 28. Mai, 18 Uhr
YANEURA NO SANPOSHA The Stroller in the Attic
Japan 1976. R: Noboru Tanaka. D: Junko Miyashita, Renji Ishibashi, Hiroshi Osa, Tokuko Watanabe, Koji Yashiro. 76 Min. 35mm. OmeU
Lady Minako betreibt im Tokio der 1920er Jahre eine Privatpension, in der sich zahlreiche exzentrische Gäste einfinden. Goda, einer der Hausbewohner, beobachtet regelmäßig vom Dachboden aus die grotesken Vorgänge in den Zimmern der Pension. Als er Zeuge eines Mordes wird, ist dies erst der Anfang einer bizarren Reihe von Todesfällen. Tanakas Verfilmung einer Geschichte von Edogawa Rampo schwelgt in prachtvollen Farben und sollte mit seiner karnevalesk anmutenden Ausstattung stilbildend für kommende Adaptionen des Meisters der erotisch-grotesken Literatur sein.


Sonntag, 28. Mai, 20 Uhr
AKAI KAMI NO ONNA The Woman with Red Hair
Japan 1979. R: Tatsumi Kumashiro. D: Renji Ishibashi, Junko Miyashita,
Ako, Kai Ato, Miyako Yamaguchi. 73 Min. 35mm. OmeU
Die beiden Bauarbeiter Kozo und Takao vergewaltigen Kazuko, die Tochter ihres Chefs. Während Kazuko schwanger wird und von Takao die Hochzeit fordert, stürzt sich Kozo in die Affäre mit einer mysteriösen rothaarigen Frau. Mehr aus Verzweiflung als aus Lust verbringt das Paar Tage in seiner schäbigen Wohnung, während draußen der Regen an die Scheibe prasselt. Das düstere Drama, das viele Kumashiros besten Film nennen, wurde mit zahlreichen Preisen und Nominierungen bedacht, darunter zwei Auszeichnungen für Junko Miyashita in der Titelrolle.


Foto: Night of the Felines (c)CMYbraun

Info:

www.deutsches-filminstitut.de | www.deutsches-filmmuseum.de
www.filmportal.de | www.europeanfilmgateway.eu

SONDERAUSSTELLUNG:

ROT. Eine Filminstallation im Raum
8. März bis 13. August 2017