Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. Mai 2017, Teil 8
 
Heike Häßler

Stuttgart (Weltexpresso) - ... kann im Grunde als Aufforderung verstanden werden, denn der Mensch neigt dazu, angenehme Gefühle herbeizuführen und unangenehme Affekte wie Trauer zu vermeiden.
Da kommt eine neue Liebe, wie sie Schimon erfährt, gerade richtig, um die Trauer um seine verstorbene Jella bewusst und auch unbewusst zu vermeiden. Seine ihm eigene Art, einen Umgang mit dem Verlust von ihr zu finden, irritiert den Zuschauer und wirft die Frage auf, wie man scheinbar so leicht Schicksalsschläge bewältigen kann.

Es ist interessant, dass Männer stärker und häufiger problematischer auf Verluste reagieren und dennoch eher den Zugang zu ihren Gefühlen vermeiden oder rational aktionistisch kompensieren. Frauen dagegen zeigen bei einem Verlust ihres Partners eher Angstsymptome. Trauer gehört wie Angst, Freude, Ärger und Ekel zu den Primärgefühlen, welche als natürliche Reaktionen eines Menschen auf seine Umgebung verstanden werden können. Eine Trauerreaktion entsteht bei Verlusten durch Trennung, Scheidung oder Tod und wird durch individuelle Bewältigungsmechanismen, kulturelle Bedingungen und andere Einflüsse moderiert.

Die Beziehung zu der verstorbenen Person bestimmt die Qualität der Trauerreaktion. Dabei kann diese als Folge des Verlustes von gemeinsamen Zielen und Plänen, von sozialen Rollen und dem verlorenen Beitrag zur Regulation für das Wohlbefinden betrachtet werden.

Jella ist für Schimon die Liebe seines Lebens. Sie erwartete ein Kind von ihm. Das Bedürfnis nach Bindung, Lustgewinn, Orientierung, Intimität, Kontrolle und Selbstwerterhöhung kann durch einen Verlust eines geliebten Menschen auf gesundem Wege nicht mehr befriedigt werden. Schimon stürzt sich in ein neues Abenteuer, um diese schmerzvolle Leere nach einem solchen Verlust zu entgehen. Der normale Verlauf der Trauer ist durch eine graduelle Abnahme des Schmerzes und der damit verbundenen Intensität der negativen Emotionen gekennzeichnet.

Eine Trauerreaktion wird durch verschiedene Phasen beschrieben. Die erste Phase wird von vielen Betroffenen als Schockzustand erlebt. Auch Schimon befindet sich in dieser Phase, als er Milena kennenlernt. Mit der anschließenden Realisierung des Verlustes beginnt die emotionale und kognitive Auseinandersetzung mit dem Verlust. Die vielen Emotionen - auch Ärger und Angst können aufkommen - brauchen viel Raum zur Verarbeitung, weshalb ein sozialer Rückzug häufig zu beobachten ist. Schimon betritt diesen Raum zu Beginn jedoch gar nicht. Erst nach seiner Eheschließung mit Milena lässt er sich, einen Parkplatz suchend, doch darauf ein, sich von Jella zu verabschieden und fährt zu ihrem Grab. Von nun an fällt ihm das Atmen wieder leichter.

In der Phase der Auseinandersetzung können sich Abschnitte von Intrusionen (intensives Träumen, Gefühl von Präsenz der verlorenen Person, Sinnestäuschungen) und Vermeidung bzw. Realitätsverleugnung abwechseln. Schimon erfährt dies auch, bleibt aber vorwiegend in der Verdrängung, so wie er auch die Kondolenzkarten in die Schublade legt und sie schließt.

Die Phase der Integration und der Anpassung, d. h. sich den Anforderungen der neuen Realität zu stellen, neue Wege zu finden, Ziele und Pläne neu zu schmieden und Bedürfnisse ohne die verstorbene Person zu befriedigen, ist die eigentliche Trauerarbeit.

Trauern ist eine Kunst und das will gelernt sein, spricht auch der Opa von Schimon in das Tonbandgerät. Die größte Herausforderung in der Trauerarbeit ist, den Partnerverlust emotional zu bewältigen und in das eigene, „neue“ Leben zu integrieren. Dies gelingt Schimon nicht bzw. nutzt er diese Gelegenheit durch die rasante neue Liebe zu Milena nicht, wird dann aber bei der Hochzeit mit ihr von seinen verdrängten Gefühlen überschwemmt.
Die Beziehung zu Jella und ihr Platz in seinem jetzigen Leben sind nach deren Tod nicht hinreichend geklärt und verändert worden, was in Schimon einen ihm recht lange unbekannten Konflikt in der neuen Beziehung zu Milena auslöst.

Die Trauerarbeit bewirkt, dass der Schmerz der Trauer in ein klares, emotionales Schema überführt wird, der Verlust integriert ist und die emotional-kognitive Reorganisation abgeschlossen werden kann. Dieser Prozess variiert zeitlich und ist von vielen Faktoren, wie z. B. persönliche Ressourcen, soziale Unterstützung, Alter, Lebensumstände und kulturelles Umfeld, abhängig.

Dieser Film verdeutlicht, dass die neue Beziehung nur innig, wahrhaftig und zukunftsträchtig ist, wenn die Trauerarbeit bewältigt wurde und dieser Verlust in das jetzige Leben vollständig integriert wird.

Foto: aus dem Film (c) VErleih
Info: Text von Heike Häßler, Psychologische Psychotherapeutin, entnommen dem Presseheft zum Film