Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. Mai 2017, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nein, nach Liverpool konnten wir nicht reisen, und in Dortmund diesen Film zu sehen, das gefiele zwar sicher Joachim Krò , der als BVB-Fan durch diesen Dokumentarfilm führt, ein Film, der allen erklärt, was es mit dem Lied auf sich hat, das heute als Fußballhymne gefeiert wird, aber eine völlig andere Vergangenheit hat.

Daß die sogar nach Budapest führt, wo 1909 mit LILIOM vom ungarischen Dramatiker Ference Molnár das Schießbuden- und Rummelstück uraufgeführte, das dann später die Grundlage für das Musical wurde, in dem die Weise YOU‘LL NEVER WALK ALONE erklingt, war die erste Überraschung. Was der Film nicht ist, ist ein klassischer Fußballfilm, obwohl Fußball durchgängig eine Rolle spielt. Man begibt sich bei diesem Film von André Schäfer eher auf eine Reise, was durch das Erzählen der Geschichte sowohl zeitlich gemeint ist, wie auch geographisch über die USA und Liverpool bis nach Dortmund, führt; aber im Innersten ist es eine Reise des Liedes YOU‘LL NEVER WALK ALONE durch die Welt.

Dabei erfährt man viel Neues und fällt sogar von einer Überraschung in die andere. Und das betrifft jetzt das Jahr 1945, in dem im April in New York das Musical CAROUSEL uraufgeführt wurde, das jahrelang am Broadway lief. Im April? Das war noch vor Kriegsende, aber vielleicht hat sogar beides miteinander zu tun, daß ein lockeres, aber inniges Musical die schwierige Kriegs- und Nachkriegszeit leichter machte. Denn aus dem eher sanft-traurigen Stück von Molnár mit bösem Ende hat Oscar Hammerstein eine so fetzige wie sentimentale Vorlage konzipiert, die aus dem Schlamassel das Licht zeigt, was Richard Rodgers vertonte. Dabei kommt nach Walzer und vielen anderen musikalischen Genres auch eine Weise zum Klingen, die sogar als Schlußlied wiederholt wird und das ganze Stück zusammenfaßt. Dabei geht es um eine Schwangere, die ihren Mann verloren hat und nun mit dem Ungeborenen an die Zukunft denken muß, den Tod überwinden kann und weiterlebt.

1956 ging das Musical als verfilmtes CAROUSEL auch noch durch die Welt. Schwere Kost ist das und hat auf Anhieb auch nichts mit Fußball zu tun. Denkt man. Aber Gefühle sind nicht an die Ursachen gebunden. Und das Gefühl von Verlust, von Niederlage, von Versagen, von Aussichtslosigkeit, vom Weitermachen müssen und der Gewißheit, daß man damit nicht alleine ist, sondern vereint mit anderen schon darüber hinwegkommen wird, also das Hoffen, das ist die Essenz, die es möglich machte, daß aus einer Musicalballade ein Fußballhit, eine Fußballhymne wurde. Und davon handelt dieser Film auf eine schöne, eine berührende Weise.

Es geht um die Leidensfähigkeit der Fußballfans, von denen so manche ja ihr ganzes Leben diesem Sport und seinen Spielen widmen. Und deshalb bekommt auch Zustimmung, wer sagt: „Armer Bayern München Fan, wie langweilig, immer zu gewinnen.“ Denn dieses Gefühlschaos zu leben, dieses Rauf und Runter, Bangen und Hoffen, ist einfach interessanter, als immer Sieger zu sein. Stimmt. Im Film nun reist der bekennende BVB-Fan Joachim Król, im normalen Leben als Filmschauspieler, auch ehemaliger Frankfurter Tatortkommissar bekannt, nach Liverpool, weil dort im Stadion des FC an der Ansfield Road die Fußballkarriere des Liedes YOU‘LL NEVER WALK ALONE begann.

Und auch das ist Geschichte. Denn der damals sehr bekannte Musiker Gerry Marsden – er kommt im Film vor - hatte das Lied durch den Film kennengelernt und 1963 mit seiner, damals auch total bekannten Band GERRY AND THE PEACEMAKERS übernommen und zum Hit gemacht. Das ist alles interessant. Dennoch bleiben die vielen Szenen von Liverpool am stärksten im Gedächtnis. Wir sehen nicht nur, wie immer wieder das Lied von den Zuschauern intoniert wird, sondern wir erleben eben auch die unterschiedlichen Zeiten und Anlässe des gemeinsamen Gesangs. Sehr eindrucksvoll, wie dann das schreckliche Ereignis vom 15. April 1989 aufgearbeitet wird. Als Hillsborough-Katastrophe mit 96 Toten und 766 Verletzten blieb es für den in Sheffield spielenden FC Liverpool auch deshalb in ständiger Erinnerung, weil erst 2016 juristisch geklärt wurde, daß nicht die Fans, sondern die Polizei an dem entsetzlichen Unglück im Block der Liverpooler Fans im Hillsborough-Stadion schuld war.

Ehrlich gesagt, bleiben alle diese Aufnahmen von Liverpool, damals, dazwischen, heute, die eindrucksvollsten im Film, wobei man sich wundert, wie die Fußballfreunde dort das ganz schön schwierig zu singende YOU‘LL NEVER WALK ALONE a capella hinbekommen. Doch, doch, auch im Dortmunder Stadion klappt es und in Dortmund fühlt sich Joachim Król völlig zu Hause. Ist er auch und darf nun die personelle Klammer sein, die diesen Film zusammenhält, wobei eine zweite Klammer zeitlich wirkt, denn der BVB wurde just im selben Jahr gegründet, als LILIOM auf die Bühne kam; wir spazieren mit Król in den Raum der Gründungsversammlung des BVB. Das war, so fingen wir oben an, im Jahr 1909.
Fortsetzung folgt

Foto: (c) Verleih

Info:
Premierenvorstellung von You’ll never walk alone – Die Geschichte eines Songs (D 2017, Regie: André Schäfer) in den E-Kinos in Frankfurt am 18. Mai 2017 um 19.00 Uhr, Filmabend mit Einführung und Gespräch
Eine Kooperation des Jüdischen Museums Frankfurt am Main mit Evonik AG, dem Eintracht Frankfurt Museum und den E-Kinos Hauptwache
Einführung zum Film von Alfons Maria Arns, Frankfurt am Main
Danach Diskussion. Ende gegen 24 Uhr

Da wir die Besprechung ausführlich gehalten hatten, haben wir die Filmrezension zusammen mit Einführung und Diskussion im Anschluß an den Pokalsieg 2017 von Borussia Dortmund veröffentlicht.