Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Frankfurter Theaterkultur scheint in falsche Hände geraten zu sein. Nämlich in die ihrer Gegner.
Diesen Eindruck hätten viele Stammbesucher von Schauspiel und Oper gewinnen können, falls sie die Gelegenheit besaßen, die Sitzung der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung am letzten Donnerstagabend zu verfolgen. Denn mit Kultur, vor allem mit Bühnenkunst, hatte diese Debatte absolut nichts zu tun. Dafür aber mit der Standortfrage. Denn das Areal am Willy-Brandt-Platz ist längst in das Visier der Spekulanten geraten. Und deren verlängerter Arm, CDU und FDP, übt sich bereits als Bedenkenträger und bereitet klammheimlich die Übergabe vor. Der CDU-Sprecher Thomas Dürbeck wünscht sich die künftige Theateranlage als repräsentativen Komplex, notfalls aber - und das klang unüberhörbar mit - irgendwo an der Peripherie; dort, wo dann eines nicht mehr fernen Tages um der Kultur Willen Sozialbauten in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Dürbeck sorgt sich dabei auch um „gute Intendanten“, denen etwas geboten werden soll. Der jetzt ins Amt kommende Anselm Weber scheint nicht zu den Guten zu gehören. Stefan Wangenheim von der FDP plädierte für ein Hochhaus am jetzigen Standort, vermutlich eines mit Luxuseigentumswohnungen über dem Theatertrakt. Eine derartige Nachbarschaft würde das kulturelle Klima am Willy-Brandt-Platz mehr beeinträchtigen als die Rotlicht-Szene im nahen Bahnhofsviertel.
Angesichts solcher Vernichtungsszenarien wünsche ich mir, dass ab sofort nur solche Stadtverordnete und Magistratsmitglieder mitentscheiden, die während der letzten zwei Spielzeiten jeweils 50 Besuche in Schauspiel und/oder Oper nachweisen können. Die anderen sollten den siebten Satz aus Ludwig Wittgensteins „Tractatus logico-philosophicus“ beherzigen: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Das Frankfurter Kulturdesaster zeigte sich bereits vor einer Woche bei einer von der FR veranstalteten Diskussion. Der ehemalige Frankfurter Planungsdezernent Martin Wentz (SPD) brachte es auf den Punkt: Die Investition von 800 Millionen Euro in einen künftigen Theaterbau müsse man diesem auch von außen ansehen können. Doch wer in solchen Kategorien denkt, offenbart seine Kulturferne und schämt sich noch nicht einmal dafür.
Zwar benötigt der Theaterbetrieb einen in jeder Hinsicht zweckmäßigen Bau. Der ist in zentraler Lage vorhanden, auch wenn er erheblich sanierungsbedürftig ist. Und er ist Symbol für einen Neuanfang nach dem Krieg. Die Kunst, um die es vorrangig gehen müsste, spielt sich auf der Bühne ab. Mit Ausnahme von Willy Praml, der mit seinem Ensemble eine ehemalige Industriehalle, die Naxos-Halle, eindrucksvoll bespielt, hat das nach meiner Wahrnehmung keiner der anderen Diskussionsteilnehmer zur Sprache gebracht.
Zudem wird das Gutachten der Hamburger PFP Planungs GmbH, die so genannte Machbarkeitsstudie, zu wenig hinterfragt. In Auftrag gegeben wurde sie vom städtischen Hochbauamt. Doch hat man den Gutachtern eindeutige Anweisungen ins Pflichtenbuch geschrieben? Zu welchem Ergebnis wäre diese Studie gekommen, hätte man eine Kostenobergrenze von 400 Millionen Euro festgesetzt? Dazu schweigen sich die Verantwortlichen aus.
Auch das Lavieren von Kulturdezernentin Ina Hartwig schafft kein Vertrauen in die anstehenden Entscheidungen von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung. Zwar spricht sie sich für den bisherigen Standort aus, befürwortet aber einen Neubau an selber Stelle und regt einen Architekturwettbewerb für dieses Projekt an. Darüber hinaus träumt sie von einem „Zentrum für Künste“ in Bockenheim, das aus der Übergangslösung entstehen sollte (was die Kosten mutmaßlich in Richtung einer Milliarde Euro bewegte).
Äußerlichkeiten über Äußerlichkeiten, an denen die Frankfurter Theaterkultur insgesamt scheitern könnte. Denn eines sollte nicht vergessen werden. Trotz aller Erfolgsmeldungen lassen sich beispielsweise nicht mehr als 20.000 Einzelpersonen nachweisen, die das Schauspiel besuchen. Diese gehen im statistischen Durchschnitt zehnmal pro Jahr ins Theater, sodass man rechnerisch auf ca. 200.000 ausgegebene Eintrittskarten kommt. Es sollte die Verantwortlichen beunruhigen, dass allenfalls 3 Prozent der Bevölkerung den Weg ins Schauspiel finden. Deswegen: Frankfurt benötigt Kultur und keine potemkinschen Theaterfassaden.
Foto: Die inzwischen schon klassische Doppelanlage von Theater und Oper © Städtische Bühnen Frankfurt