Museum moderner Kunst (mumok) Wien vom 23. September 2017 bis 14. Jänner 2018, Teil 1/3
Anna von Stillmark
Wien (Weltexpresso) - Die Ausstellung Naturgeschichten. Spuren des Politischen befasst sich mit Darstellungen von Natur, die auf gesellschaftliche Prozesse und zeitgeschichtliche Ereignisse Bezug nehmen. Die Arbeiten unterlaufen sowohl die Vorstellung von Natur als geschichtsfreiem Raum als auch die Fiktion eines unveränderlichen, naturgegebenen Geschichtsbildes.
Sie verdeutlichen in unterschiedlichen Themenfeldern den Wechselbezug von Natur und Geschichte jenseits romantisierender Natur- und Geschichtsverklärung. Auf drei Ausstellungsebenen spannt die Präsentation einen Bogen von den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart. In der Ausstellung zeigt sich, dass zeit- und systemkritische Kunst, die sich auf den Kolonialismus und seine Folgen, auf totalitäre Ideologien und kriegerische Konflikte sowie auf gesellschaftliche Veränderungen im Zuge politischer Systemwechsel bezieht, bis heute eine zentrale Bedeutung besitzt.
Natur als oppositionelles Feld der Neoavantgarde
Naturgeschichten setzt mit Arbeiten von Neoavantgardist_innen ein, die in ihrer Reflexion über die Rahmenbedingungen künstlerischer Produktion und Rezeption auch deren gesellschafts- und geschichtskritische Dimensionen mitdenken. Beispielhaft dafür sind Arbeiten von Marcel Broodthaers, Joseph Beuys, Hans Haacke, Mario Merz, Hélio Oiticica oder der Künstler_innengruppen Sigma aus Rumänien und OHO aus Slowenien. In seiner Rauminstallation Un jardin d’hiver (1974) spielt Broodthaers mit exotischen Pflanzen- und Tiermotiven auf die bürgerliche Sehnsucht nach fernen und fremden Ländern ebenso wie auf deren kolonialistische Ausbeutung an. Joseph Beuys verweist in seiner Aktion I Like America and America Likes Me (1974) mittels eines Kojoten als Symboltier der indianischen Ureinwohner_innen Amerikas auf deren gewaltvolle Kolonialisierung. Während Mario Merz mit dem Motiv des Iglus als Zeichen naturverbundener nomadisierender Lebensform Zivilisationskritik betreibt, unterläuft Hans Haacke mit seinem Grass Cube (1967) die im minimalistischen Kubus imaginierte nüchtern- zweckfreie Form und aktiviert stattdessen naturhaft-physikalische Prozesse als Gegenentwurf zu einem realitätsblinden Kunst- und Gesellschaftsbegriff.
Auch in naturbezogenen Arbeiten von Künstler_innen aus osteuropäischen Staaten und aus Lateinamerika spiegeln sich zeit- und systemkritische Anliegen: In den Arbeiten der Sigma-Gruppe (Ștefan Bertalan, Constantin Flondor, Roman Cotosman, Doru Tulcan u. a.) werden in den zunehmend restriktiver werdenden 1970er-Jahren unter dem Ceauşescu-Regime Natur und Wissenschaft zu Plattformen nonkonformistischer Kunst. Im titoistischen Jugoslawien bekundet die OHO-Gruppe (Marko Pogačnik, David Nez, Milenko Matanović, Andraž Šalamun, Naško Križnar u. a.), anknüpfend an die Konzeptkunst und durch den Rückzug in die ländliche Natur, ihre Kritik an der politischen Fortschrittsideologie wie auch am kunstbetrieblichen Karrieredenken. Die globale Bedeutung der Natur als politisches Motiv Ende der 1960er-Jahre zeigt sich auch in Oiticicas Installation Tropicália (1968), die auf die gleichnamige Protestbewegung gegen die brasilianische Militärdiktatur der Zeit Bezug nimmt.
Fortsetzung folgt
Foto: © mumok.at
Info:
vom 23. 9. 2017 - 14. Jänner 2018
Eröffnung
22. September 2017, 19 Uhr