kpm Bundesweiter Vorlesetag c.jpgZum Bundesweiten Vorlesetag wurden auch AfD-Politiker eingeladen

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die „Stiftung Lesen“, die Wochenzeitung „Die Zeit“ und die „Deutsche Bahn Stiftung“ als Initiatoren des Bundesweiten Vorlesetags haben auch AfD-Politiker zur diesjährigen Aktion eingeladen, darunter den für nationalistische Phrasen bekannten Björn Höcke.

Eigentlich schließen die Leitlinien der „Stiftung Lesen“ die "Zusammenarbeit mit Parteien, Institutionen und anderen Gruppen oder Einzelpersonen, die antidemokratisches, rassistisches, fremdenfeindliches oder diskriminierendes Gedankengut vertreten oder verbreiten" aus. Soweit die Theorie. Praktisch hingegen wurden in einer Masseninfo-Sendung alle demokratisch gewählten Abgeordneten der Länderparlamente und des Bundestags mit Ausnahme der NPD eingeladen, sich am Vorlesetag, in diesem Jahr ist es der 17. November, zu beteiligen.

Zwar entscheiden die Schulen, Kindertagesstätten und sozialen Einrichtungen selbst, wen sie schließlich einladen. Aber die Aktion setzt eindeutig sowohl auf die Fürsprache als auch auf die direkte Unterstützung Prominenter. Auf der Homepage heißt es denn auch: „Dank [ ] dem Engagement von über 1300 Politikern und prominenten Personen konnten wir im Jahr 2015 die 100.000er Marke knacken! 2016 folgte direkt die nächste Rekordbeteiligung: 135.000 Vorleserinnen und Vorleser machten mit und den Bundesweiten Vorlesetag zu einem großen Erfolg!“

Vermutlich lief die Vorbereitung so unprofessionell ab, wie man das mitunter von Organisationen gewohnt ist, die sich offiziöser Unterstützung erfreuen und deswegen regelmäßig von bornierter Arroganz heimgesucht werden. Ein subalterner Mitarbeiter (Mann oder Frau), möglicherweise ein schlecht bezahlter Praktikant, beschaffte sich preiswert angebotene und folglich nicht sonderlich gefilterte Adressen, machte entweder keine Stichproben anhand von „verbotenen“ Namen oder es fielen ihm schlicht keine solchen Kriterien ein. Auch gab es mutmaßlich entweder keine Rückversicherung bei der nominell verantwortlichen Geschäftsführung oder diese erwies sich als ebenfalls unqualifiziert. Dann wurden die angekauften Adressen in einen Brief ohne persönliche Anrede importiert, postalisch verarbeitet und den Empfängern zugestellt. Die Kulturtechnik des verstehenden Lesens scheint zumindest auf der Handlungsebene der „Stiftung Lesen“ keine generelle Einstiegsvoraussetzung zu sein.

Auch Mitglieder der „Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen avj“, die dem Vorstand der „Stiftung Lesen“ angehört, zeigten sich von dem Vorfall überrascht, der durch die „taz“ öffentlich gemacht worden war. Sie forderten den Vorstand der avj auf, sich umgehend zu distanzieren. Der kam dieser Aufforderung nach, betonte aber gleichzeitig, über diese Aktion gar nicht informiert gewesen zu sein. Vorstand und Mitglieder äußerten ihr „Befremden über die unkritische bzw. undifferenzierte Einladung aller gewählten Politiker (m/w), die nur die der NPD ausschließt“.
Der Verleger Edmund Jacoby (Verlagshaus Jacoby & Stuart) setzte nach: "Ich glaube, dass es in [diesem] Fall darum geht, Sensibilität dafür zu wecken, dass die Maßstäbe der öffentlichen Moral auch in der Kulturszene sich schleichend zu verschieben beginnen und dass das unsere Aufmerksamkeit erfordert."

Die Präsidentin des PEN, Regula Venske, erinnerte auf „Spiegel online“ daran, dass die Grundsätze der AfD in Bezug auf kulturelle Vielfalt und Toleranz nicht mit den an Schulen und Kitas vertretenen Leitbildern vereinbar seien.

Vertreter der „Stiftung Lesen“, der „Die Zeit“ und der „Deutsche Bahn Stiftung“ reagierten mit dem hinlänglich bekannten Persilschein-Argument "Wir nehmen die Kritik an dem breiten Verteiler für Politiker ernst."

Der bundesweit stattfindende Aktionstag für das Vorlesen findet seit 2004 jedes Jahr am dritten Freitag im November statt. Er will nach eigenem Bekunden ein öffentlichkeitswirksames Zeichen für die Bedeutung des Vorlesens setzen. Ziel sei es, Begeisterung für das Lesen und Vorlesen zu wecken und Kinder bereits früh mit dem geschriebenen und erzählten Wort in Kontakt zu bringen.

Schulen und ähnliche Einrichtungen können also in diesem Jahr aufatmen. So werden sie beispielsweise einer spezifischen Lesart der Kyffhäuser-Sage von Björn Höcke entgehen. Auch Beatrix Amelie Ehrengard Eilika von Storch, geborene Herzogin von Oldenburg, die vermutlich schöne Geschichten über ihren Großvater Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk zu erzählen wüsste, der im NS-Staat Finanzminister war, wird stumm bleiben müssen. Interessanter, zumindest für ältere Schüler, hätte eine Lesung von Alexander Gauland aus Martin Walsers Schlüsselroman „Finks Krieg“ sein können. In dem Roman geht es um keinen anderen als um Gauland selbst, damals noch CDU-Mitglied, dem eine folgenreiche Falschaussage und Intrigen in der Hessischen Staatskanzlei vorgeworfen werden.

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